Weil nun alle gegen den Neoliberalismus seien, brauche die Linke ein politisches Update, findet deren sächsischer Landeschef Rico Gebhardt. Der Linken-Parteitag Anfang Juni dürfe nicht zur Bruchlandung werden, sagt Gebhardt im L-IZ-Interview. Er wünscht sich Katja Kipping, Katharina Schwabedissen und Dietmar Bartsch gemeinsam in der neuen Parteispitze.
Herr Gebhardt, Europa schlägt sich mit einer Finanzkrise herum, die den Wesensgehalt des modernen Kapitalismus berührt, und die Partei Die Linke befindet sich auf Sinnsuche. Wie passt das zusammen?
Leider sehr gut. Der Neoliberalismus, der die Märkte hemmungslos dereguliert hat, ist auf ganzer Linie gescheitert. Plötzlich dürfen im Zweifel sogar Banken verstaatlicht werden – Beispiel Hypo Real Estate -, und gewaltige Euro-Rettungsschirme sollen steuernden Einfluss auf die Finanzmärkte ausüben.
Bei aller Kritik im Detail hat sich also unsere Sicht der Dinge parteiübergreifend durchgesetzt, dass man das Kapital nicht einfach schrankenlos machen lassen darf. Deshalb sind auch die Zeiten vorbei, in denen das strikte Nein zum Neoliberalismus schon für ein klares Profil der Alternative der Linken ausgereicht hat.
Wir brauchen also ein politisches Update, eine Aktualisierung unserer Aussagen, denn die soziale Spaltung der Gesellschaft ist ja keineswegs überwunden, sondern vertieft sich zurzeit weiter.
Nun haben sich die Genossen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt am letzten Donnerstag in Schkeuditz zur Regionalkonferenz versammelt. Gab es in Flughafennähe ein inhaltliches oder stimmungsmäßiges Take-Off?
Um in Ihrem Bild zu bleiben: Es gab die gemeinsam erklärte Bereitschaft, den bevorstehenden Bundesparteitag in Göttingen nicht zur Bruchlandung werden zu lassen. Angesichts der derzeitigen schweren Krise unserer Partei war die Stimmung natürlich alles andere als euphorisch, aber von unverkrampfter Entschlossenheit geprägt.
Das “Take-Off” bestand vor allem in der Absage von Dogmatismus und Besserwisserei – in diesem Sinne fand die Alternative zum Leitantrag des noch amtierenden Parteivorstandes große Zustimmung. Man sieht daran, wir sind nicht nur mit personeller, sondern auch mit inhaltlicher Erneuerung befasst.Vor dem Bundesparteitag der Linken Anfang Juni in Göttingen bringen sich die Kandidaten für die Parteispitze in Stellung. Wie sähe denn Ihre Wunschkombination aus?
Gute Personalpolitik – das gilt für Parteien wie für Unternehmen – guckt ja nicht vorrangig nach persönlicher Sympathie, sondern Kompetenz und den Zielen, die man mit dem Personal erreichen möchte.
Die Linke muss ihre Jahrtausend-Idee der sozialen Gerechtigkeit auf die Höhe der heutigen Zeit bringen. Die Kandidatur von Katja Kipping und Katharina Schwabedissen unterbreitet der Partei ein interessantes Angebot. Zugleich haben wir mit Dietmar Bartsch einen in Ost wie West anerkannten Kandidaten, dessen Erfahrung, Dynamik und Charisma weiter eine wichtige Rolle bei der Führung der Partei spielen sollten. Wie beide Angebote unter einen Hut zu bringen sind, wird die kollektive Weisheit der Parteitagsdelegierten entscheiden.
Die Linke wird derzeit aus westdeutschen Landtagen wieder hinausgewählt, und Oskar Lafontaine tritt nicht für den Bundesvorsitz an. Wird die Nach-Lafontaine-Linke wieder zur Regionalpartei Ost?
Das Totenglöckchen wurde uns schon mehrfach geläutet, nicht zuletzt nach der Bundestagswahl 2002, die uns nur noch zwei direkt gewählte Abgeordnete im Parlament beließ. Wir haben auch in schweren Zeiten im Westen gute – Hamburg und Saarland – und im Osten – Thüringen – sehr gute Ergebnisse bei Landtags- beziehungsweise Kommunalwahlen erzielt.
In Nordrhein-Westfalen, wo auch Oskar Lafontaine mehr als ein Dutzend Wahlkampfauftritte hatte, blieben wir dagegen wie in Schleswig-Holstein weit unter unseren Möglichkeiten. Das Erfolgsmodell einer ostdeutschen Regionalpartei hat sich vor zehn Jahren erschöpft, es zu reanimieren wäre selbstmörderisch.
Es sollte aber gerade in einer gesamtdeutschen Linken der Westen mehr als ansonsten in der Gesellschaft üblich bereit sein, auch vom Osten zu lernen. Unsere Politik in den alten Bundesländern muss mehr vom Kopf auf die Füße gestellt werden, kommunalpolitische Bodenhaftung bekommen. Das erhöht die landespolitische Glaubwürdigkeit.
Nach Sachsen. Seit vielen Jahren ist Ihre Partei die Nummer zwei im Freistaat. Will man da nicht einmal mehr als nur opponieren?Wir waren in den 90er Jahren klar ausschließlich auf Opposition im Landtag eingestellt, alles andere hätte man uns aufgrund unserer politischen Vergangenheit auch nicht abgenommen. Seit dem Landtagswahlkampf 2004 – also vor immerhin acht Jahren – haben wir vom Politikwechsel gesprochen, was heißt: CDU raus aus der Regierung und wir rein – natürlich zusammen mit Partnern, da wir auf absehbare Zeit nicht ernsthaft mit der absoluten Mehrheit in Sachsen rechnen.
Am Willen mangelt es also nicht, bisher aber am Weg. Anders als in anderen Bundesländern war seit 1990 in Sachsen schon rein rechnerisch keine linke Mehrheit im Landtag drin. Ich glaube, dass es dem Wählerwillen zum Wechsel auf die Sprünge hilft, dass die drei demokratischen Oppositionsparteien Linke, SPD und Grüne seit längerer Zeit gut im Gespräch sind und es im Landtag in dieser Legislaturperiode schon rund 25 gemeinsame Initiativen gegeben hat.
Nur wenn wir den glaubwürdigen Eindruck vermitteln, dass wir miteinander können und auch zu einer Gestaltungsalternative fähig wären, werden die Leute der CDU ihren Status als Dauerregierungspartei entziehen. Ich denke, wir sind da auf einem guten Weg.
Was steht denn mit Blick auf den Freistaat auf Ihrer politischen Prioritätenliste ganz oben?
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Gute Bildung für alle und Arbeit, von der man gut leben kann. Die Überwindung des zunehmenden Unterrichtsausfalls in den allgemeinbildenden Schulen durch mehr Lehrernachwuchs und die Abhilfe für die Personaldefizite bei der frühkindlichen Bildung in den Kindertagesstätten stehen auf unserer Agenda zurzeit an der Spitze. Bildung ist nicht alles, aber ohne Bildung ist alles nichts.
Ein Bildungsland, das gleichzeitig Niedriglohnland ist, funktioniert aber nicht. Sachsen muss sich für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn stark machen, im öffentlichen Dienst ordentlich zahlen – dazu gehört auch die Streichung der Streichung des Weihnachtsgeldes für Beamte – und in der Privatwirtschaft diejenigen Unternehmen, die ihren Leuten ordentlich zahlen, vor dem ruinösen Wettbewerb derer schützen, die das nicht tun. In diese Richtung geht auch der Vergabegesetzentwurf, den wir zusammen mit der SPD auf Anregung der Gewerkschaften in den Landtag eingebracht haben.
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