Sachsens Grünen-Sprecherin Claudia Maicher wirft der Staatsregierung einen "selbst organisierten Bildungsnotstand" vor. "Die Bildung unserer Kinder eignet sich eben nicht zum Totsparen", sagt die Leipzigerin im L-IZ-Interview. Sie fordert zudem eine Verkehrspolitik, "die über die großen Zentren hinaus schaut und Bus und Bahn intelligent verknüpft".
Frau Maicher, haben die Grünen mit den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ihre Piraten-Delle überwunden?
Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben vor allem gezeigt, dass die Wähler eine starke grüne Politik honorieren, sowohl aus der Opposition als auch aus Regierungsbeteiligung heraus. Wir haben bei fast allen Wahlen in den letzten Jahren zugelegt. Grüne sind in sämtliche Landesparlamente eingezogen, erstmals auch überall im Osten.
Wir sind damit die drittstärkste politische Kraft. Ich sehe keine Piraten-Delle. Dass eine neue Partei entsteht, die besonders Nichtwähler an die Urnen holt, ist für die Demokratie ja nicht schlecht. Aber die Antworten zur Energiewende, Bildungspolitik, Bürgerbeteiligung, Datenschutz und vernünftigen Finanzpolitik haben wir und dafür werden wir gewählt.
Plötzlich ist Rot-Grün wieder in aller Munde. Was spricht denn aus Ihrer Sicht für eine Neuauflage dieser Kombination ab 2013 im Bund?
Die schwarz-gelben Regierungen im Bund und in Sachsen stehen für eine antriebs- und richtungslose Politik. Die Menschen wählen die Politik von CDU und FDP reihenweise ab, weil sie einen Politikwechsel wollen. Uns Grünen geht es deshalb auch 2013 nicht um die Neuauflage einer Koalition, sondern um die Umsetzung unserer politischen Inhalte: 100 Prozent erneuerbare Energien, aktive Bürgergesellschaft, ökologische Transformation der Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, faire Bildungschancen.
Dafür streben wir eine Zusammenarbeit mit der SPD an. Aber Fakt ist, einen echten Politikwechsel wird es nur mit starken Grünen geben!Gehen wir in hiesige Gefilde. In Leipzig sieht Grünen-Fraktionschef Wolfram Leuze für Ihre Fraktion keine verlässlichen Partner, auf Landesebene steht die Schuldenbremse zwischen Rot und Grün. Was bleibt da, als auf die Kraft der eigenen Ideen zu setzen?
Natürlich sollte jede Partei auf die Kraft der eigenen Inhalte setzen. Regieren ist doch kein Selbstzweck. Wir Grüne sind überzeugt, dass in Leipzig und im Land eine andere Politik notwendig ist. Wenn wir mit Vorschlägen zur Informationsfreiheit, zu umweltfreundlichen Verkehrskonzepten, einer Teilhabe sichernden Sozialpolitik oder mit einer vernünftigen Haushaltspolitik überzeugen können, ist das ein Erfolg.
Klar brauchen wir für die Umsetzung Partner, aber wir machen keine Politik für Koalitionen, sondern für die Menschen in Leipzig und in Sachsen.
Was spricht denn aus Ihrer Sicht eigentlich für die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Landesverfassung in den nächsten Monaten?
Die Verschuldungen der öffentlichen Haushalte in Deutschland und in Europa sorgen für zunehmende Probleme in Krisenzeiten. Für den notwendigen ökologischen, sozialen und generationengerechten Umbau in Sachsen brauchen wir einen dauerhaft handlungsfähigen Freistaat – und zwar ohne unseren Kindern übermäßige Schulden aufzuladen. Wir Grüne wollen eine Schuldenbremse, die die Wirkungen von konjunkturellen Auf- und Abschwüngen auf die Einnahmen berücksichtigt sowie die finanzielle Handlungsfähigkeit von Land und Kommunen bei schweren Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen ermöglicht.
Nach 20 Jahren und neuen gesellschaftlichen Entwicklungen sehen wir aber noch mehr Modernisierungsbedarf in der sächsischen Verfassung. Wir wollen Klimaschutzziele, Datenschutz und Informationsrechte sowie mehr Demokratie in der Verfassung verankern.
Breite Kritik gab es zuletzt wegen des offenkundigen Lehrermangels im Freistaat. Was läuft falsch in Sachsens Bildungspolitik?Was Schüler, Lehrer und Eltern an Sachsens Schulen erleben, ist einem Land, dessen Regierung sich an jeder Stelle der Bildungsspitzenposition rühmt, unwürdig: Unterricht ohne Lehrer, Fremdsprachenverlosung, fehlender Lehrernachwuchs und Zeugnisse ohne Noten, weil zu viele Schulstunden ausfielen. Das frustriert das ganze Land.
Die Regierung hat das Problem bis heute nicht erkannt. Inzwischen rühmt sich die zuständige Kultusministerin schon mit Selbstverständlichkeiten: Der Unterricht für das kommende Schuljahr sei abgesichert. Wir brauchen in Sachsen eine vorausschauende Bildungspolitik. Die Geburtenzahlen sind ebenso bekannt wie das Rentenalter der Lehrer.
Was wir nicht brauchen, ist ein selbst organisierter Bildungsnotstand. Die Bildung unserer Kinder eignet sich eben nicht zum Totsparen.
Im Frühsommer kommt es in Chemnitz zum sächsischen Bahngipfel. Was sollte aus grüner Sicht dabei herauskommen?
Man hat den Eindruck, dass Sachsen Schritt für Schritt von überregionalen Bahnverbindungen abgekoppelt wird. Sachsens Ministerpräsident und der Verkehrsminister Morlok erklären immer, sie würden sich bei der Bahn für Sachsen stark machen. Aber offenbar sind das alles leere Worte, oder es mangelt ihnen an Durchsetzungskraft. Jedenfalls passiert nichts.
Was vor Jahren mit der Abkopplung von Chemnitz begann, hat sich später mit weniger ICEs nach Dresden fortgesetzt. Und auch für Leipzig werden immer wieder Ausdünnungen diskutiert.
Was erwarten Sie von der Staatsregierung in diesem Punkt?
Lehrermangel in Sachsen: Regierungsfraktionen lehnen Anträge der Opposition ab
In Sachsen brennt die Luft. Die Schulen leiden …
ÖPNV in Sachsen: 100 Millionen Euro für neue Infrastrukturmaßnahmen 2012 sind zu wenig
Da staunte so mancher Sachse …
Oppositions-Tenor zum Entwurf für Sachsens Energie- und Klimaschutzprogramm: Enttäuschend!
Nachdem Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok …
Wir erwarten von Ministerpräsident Tillich und FDP-Verkehrsminister Morlok, dass sie massiv gegen die von Bahn-Chef Grube angekündigte Einstellung des Interregio Express zwischen Dresden und Nürnberg intervenieren. Außerdem muss eine zweigleisige, elektrifizierte Schienentrasse zwischen Chemnitz und Leipzig verbindlich vereinbart werden, damit dort schnelle Fernzüge fahren können und Chemnitz auch in das mitteldeutsche S-Bahn-Netz eingebunden wird. Auch für das Vogtland brauchen wir eine Lösung für den Anschluss an das S-Bahnnetz Richtung Leipzig.
Jeder zweite Sachse lebt im ländlichen Raum. Deswegen müssen alle Verantwortlichen zu einer gemeinsamen landesweiten Strategie finden, die über die großen Zentren hinaus schaut und Bus und Bahn in der Region intelligent und verlässlich verknüpft. Mit unserem Konzept “Sachsentakt 21” haben wir Grünen dafür eine realistische Grundlage vorgelegt.
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