"Unruhe", steht im Protokoll der Sitzung des Sächsischen Landtags vom 8. März 2012. Mehrmals. Es ging um Landesentwicklungsplan (LEP), der beschlossen werden soll, bevor der Landesverkehrsplan in die öffentliche Diskussion geht. Doch schon der LEP enthält konkrete Verkehrsprojekte. Und die Grünen-Abgeordnete wollte vom Minister einfach wissen: Auf welchen Zahlen basieren die Straßenbauvorhaben eigentlich?
Ärgerliche Äußerungen gab es dazu schon mehrfach. Der Landrat von Nordsachsen, Michael Czupalla, wunderte sich, warum der Verkehrsminister einfach mit einem Neubau der B87 durch die Parthenaue will, obwohl man in der Regionalplanung längst weiter war. Und was an Bauprojekten im Landkreis Leipzig im LEP steht, fand die SPD-Abgeordnete Petra Köpping nur noch willkürlich.
“Sicherlich ist es vernünftig, solche Vorhaben in Abständen auf Aktualität und Notwendigkeit hin zu überprüfen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass mehr als die Hälfte aller geplanten Projekte auf einmal nicht mehr aktuell sein sollen”, erklärt die Landtagsabgeordnete. Sie vermutet daher, dass in erster Linie gespart werden solle. Ein Indiz dafür sei auch das Bestreben, die Staatsstraßen, für die das Land finanziell verantwortlich ist, den Kommunen zu übertragen. “Der Freistaat versucht hier, lästige Kosten auf die Städte und Gemeinden abzuwälzen.” Dies sei unsolidarisch und verantwortungslos.
Aber hat die Willkür wenigstens so etwas wie eine Grundlage in der Wirklichkeit? Auf welchen Zahlen basieren die Vorgaben des zuständigen Verkehrsministers Sven Morlok (FDP) ? Das wollte Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, am 8. März gern wissen. Und sie war dann doch überrascht, dass es im Verkehrsministerium nicht anders ist als im Wissenschafts- und im Kultusministerium: Man arbeitet mit völlig veralteten Zahlen.
Die Prognosen, auf denen Sven Morloks Straßenbauvorhaben im vorliegende Entwurf des Landesentwicklungsplans 2012 (LEP) basieren, stammen aus dem Bundesverkehrswegeplan von 2003. Der Bundesverkehrsministerium hat keinen neueren, verkündet ja auf der eigenen Website, dass die Arbeiten am “Bundesverkehrswegeplan 2015” erst begonnen haben. Aber die große zeitliche Kluft verdeutlicht, wie wenig die verantwortlichen Minister tatsächlich an aktuellen Zahlen interessiert sind.
Natürlich braucht es gerade für große Straßenbauprojekte oft jahrelangen Planungs- und Finanzierungsvorlauf. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist das Überprüfen der Ergebnisse, das man von deutschen Bauministern im Jahr 2012 eigentlich verlangen dürfte. Man kann nicht 60 Jahre lang immer nur drauflosbauen und nicht überprüfen, ob die Prognosen tatsächlich eingetroffen sind und wie sich Verkehrsströme tatsächlich verändern. Sachsen verschiebt ja Straßen aus seiner Obhut nicht ohne Grund in die der Kommunen: Der Freistaat hat längst genauso große Probleme, die schon existierenden Straßen instand zu halten wie die Kommunen. Und beim Bund zeichnet sich das Problem auch schon ab.
Deutschland hat schon längst mehr Straßen instand zu halten, als mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewältigen sind. Und trotzdem werden immer neue Straßenprojekte geplant – oft viel größer, als tatsächlich gebraucht.
Und gerade in Sachsen, wo die Regierung augenscheinlich keine anderen Worte mehr kennt als Sparen, Kürzen, Schrumpfen, sollte man erwarten, dass man die Bauprojekte Jahr für Jahr der Entwicklung und den tatsächlich vorhandenen Notwendigkeiten und finanziellen Möglichkeiten der Betreiber anpasst.
Und was antwortete der Minister? “Die Verkehrsprognose stützt sich auf die derzeit noch aktuelle Prognose des Bundesverkehrswegeplanes 2003 mit Zeithorizont 2015.” Logisch, dass es da “Unruhe” im Plenarsaal gab. 2003 – das ist die vorletzte sächsische Regierung. Da hieß der zuständige Verkehrsminister noch Martin Gillo.
“Das heißt im Klartext: Die sehr konkreten Straßenausbaumaßnahmen im LEP-Entwurf wurden ohne aktuelle Datengrundlage festgeschrieben. Schlimmer noch: Sie beruhen einzig und allein auf intensiven Gesprächen mit den CDU-Landräten des Freistaates, frei nach dem Motto: Wer will noch mal, wer hat noch nicht?”, kommentiert die Abgeordnete die Wirklichkeitsverweigerung der Staatsregierung. “Dieses Vorgehen ist völlig absurd, gerade wird mit Steuergeldern ein neuer Landesverkehrsplan erarbeitet. Wenn dieser veröffentlicht wird, soll nach den Plänen der Staatsregierung der Landesentwicklungsplan bereits öffentlich angehört und beschlossen sein.”
Diesen Schildbürgerstreich inklusive der Verschwendung von Steuergeldern will die Grüne-Fraktion der Staatsregierung nicht durchgehen lassen. In der Sitzung des Innenausschusses am 22. März beantragte sie daher, die Anhörungsfrist zum Entwurf des Landesentwicklungsplan 2012 bis auf einen Monat nach Vorlage des Landesverkehrsplans zu verlängern.
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“Immerhin stellt der Landesentwicklungsplan die Weichen für die nächsten zehn Jahre in Sachsen. Hierfür sollten wir uns ausreichend Zeit nehmen, um die Planung tatsächlich auf aktuellen Prognosen aufzubauen”, so Jähnigen.
Die oben zitierte “Unruhe” irritierte den Verkehrsminister keineswegs. Aber wie kamen die neuen Prognosen nun tatsächlich zustande? “Morlok: “Sie wurde durch die PTV Planung Transport Verkehr AG Dresden erarbeitet. Diese Prognose wurde im Rahmen der aktuellen Bearbeitung des Landesverkehrsplanes für das Jahr 2025 angeglichen, wobei die bisherigen verkehrsplanerischen Ergebnisse grundsätzlich bestätigt wurden.”
An dieser Stelle gab es wieder “Unruhe”. Und Landtags-Vizepräsidentin Andrea Dombois musste einschreiten: “Ich darf um Aufmerksamkeit bitten. Wir haben nur noch wenige Fragen.” Immerhin versuchte Sven Morlok dann genau zu erklären, warum es im LEP nur um Raumordnungsfragen geht – und damit auch um das raumordnerische Freihalten möglicher Bautrassen.
“Die Aufstellungsverfahren zum Landesentwicklungsplan und zum Landesverkehrsplan bleiben aber eigenständige Verfahren mit getrennter Öffentlichkeitsbeteiligung”, so Morlok. Der Entwurf zum Landesverkehrsplan soll im Mai vom Kabinett verabschiedet werden.
Was darin stehen wird, wird noch nicht verraten. Morlok: “Die Dinge, die wir dem Landesverkehrsplan zugrunde legen werden, werden wir Ihnen mit Vorlage des Landesverkehrsplans mitteilen. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass wir, bevor das Kabinett über den Landesverkehrsplan entschieden hat, nicht einzelne Informationen zur Landesverkehrsplanung, solange sie von der Staatsregierung nicht abgeschlossen ist, dem Parlament zugänglich machen können. Letztendlich ist es ein Entwurf der Staatsregierung und auch erst dann ein Entwurf der Staatsregierung, wenn das Kabinett darüber beschlossen hat.”
Mehr zu diesem Frage-Antwort-Spiel im 52.Plenum des Landtages am 8. März 2012 zum Entwurf des Landesentwicklungsplanes 2012 und den Landesverkehrsplan findet man hier:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/462c46e7.l
Der Antrag der Grünen-Landtagsfraktion “Aufschub der Anhörungsfrist für den Entwurf des Landesentwicklungsplans 2012 bis zur Vorlage des Landesverkehrsplans 2012” (Drs 5/8524):
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=8524&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1
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