Einzelhandel, Bergbau, Straßenbau und Flugverkehr - die Palette der Themen, zu denen das Stadtforum Leipzig Stellung nimmt im Rahmen des sächsischen Landesentwicklungsplans 2012, ist erstaunlich lang. Doch irgendwie hat Landesentwicklungsplanung eine Menge zu tun mit einer Stadt wie Leipzig. Auch im Negativen. Beim Einzelhandel wird der Zwiespalt deutlich.

Denn wenn in Städten für größere Straßenprojekte gekämpft wird, wird immer wirtschaftlich argumentiert, wird auf zeitlich überfüllte Straßen verwiesen, Staus, die nicht umfahren werden können, ganze Abschnitte in der Nähe der Ober- und Mittelzentren, wo sich an manchen Tagen die Blechkolonnen aufeinander schieben. Das wurde in der Diskussion um die B87 zuletzt wieder deutlich, als die Probleme des Torgauer Einzelhandels auf einmal sichtbar wurden in der abschnittsweisen Belastung der Bundesstraße. Ein Großteil des Verkehrs um die Stadt in Nordsachsen ist durch sie selbst induzierter Verkehr, ausgelöst durch ganze Kolonnen von Einkaufsfahrern, die in der Stadt schon lange nicht mehr finden, was sie brauchen, und sich stattdessen mit dem Kfz bis zu den Einkaufsmärkten “auf der grünen Wiese” drängeln.

Effekte dieser Art gibt es auch um Leipzig. Jedesmal spielt als Zieloption eines der zumeist völlig überdimensionierten Center jenseits der Stadtgrenzen (oder knapp darin) eine Rolle – Ergebnis der wilden Investitionspolitik der frühen 1990er Jahre, die alles Mögliche im Sinn hatte – nur keine Stabilisierung der innerstädtischen Strukturen. Da sollte man doch eigentlich im Jahr 2012 etwas draus gelernt haben, findet das Stadtforum.

Und fordert für den sächsischen Landesentwicklungsplan auch endlich eine Formulierung, die kleinteilige Einzelhandelsstrukturen in integrierten Lagen gegenüber der Ansiedlung und Erweiterung von Einkaufszentren konsequent fördert.

In der Begründung listet das Stadtforum auf, was der Wildwuchs in Sachsen alles angerichtet hat.

“Die Verlagerung des Einzelhandels in Einkaufszentren seit den 1990er Jahren hat dazu geführt, dass in Sachsen flächenmäßig Innenstädte und traditionelle Magistralen (in größeren Städten) verödet sind; Gewinne im Einzelhandel von einheimischen kleinen und mittleren Gewerbetreibenden in Einzelhandelskonzerne und Einzelhandelsketten umgelenkt wurden, die ihre Sitze sämtlich außerhalb Sachsens haben; der Anteil des Kfz-Verkehrs im Modal-Split dramatisch angestiegen ist mit erheblichen negativen Folgen (Lärm und Dreck in Hauptverkehrsstraßen, Feinstaub, dauernder und kostenträchtiger Verschleiß der Straßeninfrastruktur etc.); in der Folge zu Leerständen von Gebäuden, insbesondere Baudenkmalen und deren nachfolgendem Verfall und Abbruch; in der Folge zu einem Verlust an Lebensqualität, Heimat, weichen Standortfaktoren und Attraktivität für den Tourismus.”

Das Thema ist so komplex. Und auch die Leipziger Stadtpolitik scheut sich davor, das Thema so konsequent zu denken. Der “STEP Zentren” hat im Grunde in den letzten fünf Jahren dazu geführt, dass auch noch die letzten geplanten “Stadtteil-Zentren”, die nichts anderes sind als Einkaufs-Center, aus dem Boden gestampft wurden. Was in der Stadt den “Modal Split” weiter hin zum motorisierten Einkauf verschob.

“Für eine Wiederbelebung der traditionellen Ortszentren, Innenstädte und städtischen Magistralen ist eine Wiederbelebung des Einzelhandels eine der entscheidenden Voraussetzungen. Dies dient zugleich der Erreichung von Umweltzielen und der Stärkung des Umweltverbundes im Modal-Split”, stellt das Stadtforum fest.

Wenn man dann ohne Wissen über Zusammenhänge auch weiter Straßen in großer Dimension baut, verbessert das die Sache nicht. Also fordert das Stadtforum, alle Straßenneubauten unter Vorbehalt zu stellen.

“Insbesondere ist die Fortführung der Autobahn A 72 vom Knotenpunkt A 38 bis zur Anschlussstelle Leipzig/Connewitz zu streichen”, teilt das Stadtforum in seiner Stellungnahme mit.

“Die Vergangenheit ist geprägt von der Erfahrung immer weiter zunehmenden Autoverkehrs. In Sachsen liegen die Gründe dafür in den 1990er Jahren trotz eines erheblichen Bevölkerungsrückgangs vor allem im Aufholen der Motorisierungsrate der Bevölkerung gegenüber den Ländern der alten Bundesrepublik, Stilllegung, Rückbau und Reduzierung der Taktfrequenzen der Netze der Öffentlichen Verkehrssysteme, der Verlagerung des Einzelhandels in Märkte mit Orientierung auf Kfz-Nutzer, der Verlagerung der Arbeitsplätze an die Stadtränder, Suburbanisierung auch durch Anlage neuer Wohngebiete auf der Grünen Wiese, einem erheblichen Anstieg der Zahl der Berufspendler und nicht zuletzt der Ausdünnung des zuvor dichten, auf fußläufige Nahversorgung ausgerichteten Versorgungsnetzes zahlreicher weiterer Funktionen (Kultur, Post, Dienstleistungen, Ärzte etc.) und Konzentration sowie Verlagerung an wenige, zudem regelmäßig auf Kfz-Nutzer ausgerichtete Standorte”, schreiben die Autoren.

Und es kann durchaus passieren, dass sie mit dieser integralen Sicht auf die Entwicklungen, die in der Politik in der Regel hübsch separiert und zusammenhanglos betrachtet werden, die komplette Staatsregierung überfordern. Denn in der Begründung zeichnen sie einige der Ursachen nach, die zu den demografischen Verwerfungen im Freistaat beigetragen und sie teilweise noch verstärkt haben. Wer das Wort “Infrastruktur” benutzt, meint in der Regel etwas anderes als die sächsische Staatsregierung, die damit fast ausschließlich Verkehrseinrichtungen meint. Was ihr bislang völlig den Blick darauf verstellt, welche Strukturen eine Gemeinschaft eigentlich braucht, um sich zu stabilisieren.Natürlich stecken hinter den Fehlentwicklungen im deutschen Osten falsche Denkansätze, die zuvor im Westen Deutschlands die Norm waren. Auch dort macht sich – sehr zögerlich – ein Umdenken bemerkbar und der teilweise auch auf die Straßen getragene Wunsch der Bürger nach nachhaltigen und vor allem auf Dauer finanzierbaren Strukturen. Die Proteste gegen “Stuttgart 21” gehören hierher – genauso wie die Scheu der gewählten Politiker, gegen sichtlich überteuerte Projekte vernünftige Alternativen zu setzen.

Da kann man nicht einfach blauäugig immer neue Großprojekte anpacken. Das Stadtforum zur Entwicklung in Sachsen: “Diese Entwicklung hat Ende der 1990er Jahren ihren Zenit erreicht. Die Bevölkerungszahl sinkt deutschlandweit und besonders auch in Sachsen. Wegen der gleichzeitigen Überalterung sinkt zudem überproportional der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter,
also der Menschen, die aus beruflichen Gründen fahren. Nach den Aufholprozessen der 1990er Jahre ist nun eine Sättigung der Bevölkerung bei der Motorisierung erreicht. Zusammen mit steigenden Benzinpreisen, wachsender Altersarmut und sich wandelndem
Mobilitätsverhalten der jüngeren Generationen (Auto immer weniger Statussymbol, weniger Autobesitzer) führt dies zu einem kontinuierlichen und erheblichen Rückgang des Verkehrsaufkommens. Diese Entwicklung ist überall seit etwa dem Jahr 2000 zu beobachten und dies ist erst der langsame Anfang einer sich verstetigenden Entwicklung.”

Dazu kommt eine Fehlentwicklung im Transportwesen: “Beim Schwerlastverkehr schaffen neue Straßen immer stärkere Anreize zur weiteren Ausweitung der Transportmengen auf der Straße. Dies verzerrt den Wettbewerb zur Schiene und widerspricht damit allen politischen Zielstellungen von der europäischen bis zur nationalen Ebene der signifikanten Verlagerung von Schwerlastverkehr von der Straße auf die Schiene.”

Und während der sächsische Verkehrsminister die Verkehrsbedarfe auf Prognosezahlen des Jahres 2003 aufbaut, stammen sämtliche im LEP-Entwurf genannten Straßenbauprojekte inklusive ihrer Bedarfsermittlungen noch aus den 1990er Jahren.

“Hier bedarf es in jedem einzelnen Fall zwingend einer Aktualisierung der Bedarfsermittlung”, warnt das Stadtforum. “Vor dem Hintergrund der schrumpfenden öffentlichen Haushalte (Reduzierung bzw. Auslaufen der EU-Förderung, demografiebedingter Rückgang der Steuerzahler, Auslaufen des Solidarpaktes, Einführung der Schuldenbremse) und der erheblichen Unterhaltungslasten für Straßen (Bundesstraßen 10.000 Euro jährlich pro km) ist es grundsätzlich absolut unverantwortlich, weiter in den Ausbau des Straßennetzes zu investieren. Jeder Neubau von Straßen ist mit zusätzlichen Unterhaltungslasten verbunden.”

Dazu kommt: Beim Neubau von Bundesstraßen erfolgt der Übergang der Unterhaltungslast für die alten Trassen auf die regelmäßig schon heute finanziell notleidenden Kommunen bzw. Landkreise.

“Künftig werden immer weniger Erwerbstätige ein pro Kopf immer größeres Straßennetz finanzieren müssen, das immer weniger Menschen nutzen”, mahnt das Stadtforum. “Schon bis 2030 wird die Unterhaltungslast pro Erwerbsfähigem pro Straßenkilometer in Sachsen um knapp ein Drittel gegenüber 2008 gestiegen sein. Zudem hat Sachsen schon heute eine erheblich höhere Straßennetzdichte als die Alten Bundesländer und gerade auch wirtschaftlich starke Länder wie beispielsweise Baden-Württemberg. Schon heute ist absehbar, dass in einigen Jahren ernsthaft über den Rückbau von Straßen nachgedacht werden muss, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten. Erste Entwidmungen von Ortsverbindungsstraßen gibt es bereits. Insbesondere bei Ortsumfahrungen um Städte ist neben dem Verkehrsrückgang insgesamt zu berücksichtigen, dass der ganz überwiegende Anteil des Verkehrs Ziel- und Quellverkehr ist, der immer in der Stadt verbleibt.”

Was logischerweise heißt: Die Verkehrsprobleme müssen vor Ort gelöst werden – durch kompaktere und wohnortnahe Infrastrukturen und das Überflüssigmachen der meisten Wege, die heute noch mit Kfz zurückgelegt werden. Wer immer neue Straßen baut, lässt die Kommunen mit der Lösung dieser Probleme allein – und verursacht gleichzeitig immer höhere Unterhaltskosten für die Verkehrsstrukturen, die eine Lösung der Probleme verhindern.Eigentlich trifft das Thema genauso auf die Flughäfen zu, die mit öffentlichen Mitteln gebaut wurden, deren Betrieb aber privatwirtschaftlich organisiert ist. Mit Folgen für die Anrainer.

“Beim Betrieb und möglicherweise weiteren Ausbau der Flughäfen ist der Schutz der Anwohner vor gesundheitsgefährdendem Lärm sicher zu stellen. Die Anforderungen ergeben sich aus dem aktuellen Stand der Forschung zu Folgen von Lärmbelastung, insbesondere Fluglärm allgemein und Nachtfluglärm im Besonderen”, so das Stadtforum. “Flugbetrieb kann nicht ohne Betrachtung der Folgen für die Anwohner betrieben werden. Es kann keinen grundsätzlichen Vorrang betriebswirtschaftlicher Interessen vor der Gesundheit der Anwohner geben. Hier muss ein angemessener Ausgleich geschaffen werden, der zwingend gesundheitswissenschaftlichen Standards genügen muss.

Und in Sachen Bergbau mahnt das Stadtforum ebenfalls endlich eine realistische Sicht auf die Dinge an. Er übernimmt hier die Forderungen der Grünen Liga Sachsen e.V., denn natürlich hat der Rohstoffabbau in Sachsen direkte Folgen auch auf die Städte – in Leipzig zuletzt thematisiert mit dem Ärger um die Kiesgrube Rehbach und den Streit um die seit Jahrzehnten nicht mehr genutzte Tongrube bei Holzhausen.

“Der vorliegende LEP-Entwurf beschneidet in seinen Grundsätzen, Zielen und Ausweisungen auf dem Gebiet des Rohstoffabbaus in drastischer Weise bisherige kommunale Hoheitsbefugnisse, Mitspracherechte von Verbänden, sowie – (z. B. in Planfeststellungs-, oder Grundabtretungsverfahren) – die fachliche oder rechtliche Abwägung von konkurrierenden Interessen der Stadt, der Bürger oder betroffener Wirtschaftsbetriebe, indem er auf allen bekannten Rohstofflagerstätten grundsätzlich Vorranggebiete für den Rohstoffabbau ausweist”, kritisiert das Stadtforum. “Wir können diese Priorisierung des Rohstoffabbaus in keiner Weise billigen und protestieren entschieden gegen einen solchen Vorrang für Rohstoffabbau.”

Das betrifft teilweise auch Kohlelagerstätten, die in keiner Weise rentabel abgebaut werden können. Dass der LEP auch die geltenden Standards im Zusammenhang mit dem Wiedernutzbarmachen bzw. der verbindlichen Wiederherstellung natürlicher Bodenfunktionen nach dem Abbau gegenüber dem LEP von 2003 absenkt, macht die Neuformulierungen sogar unrüchig. Und das Stadtforum fragt zu Recht, ob hier die Dinge “für bestimmte Zielgruppen” erleichtert werden sollen. Bis hin zum Zugriff auf Rohstoffe überall im Land, wo sie überhaupt nachweisbar sind.

Das Stadtforum zur geplante Aufweichungen der Anforderungen: “Bisher wurde häufig von den regionalen Planungsbehörden verlangt, dass in Flächennutzungspläne und Regionalpläne automatisch die Rohstofflagerstätten als nicht abzuwägende Schutzgebiete für Bergbau ausgewiesen werden. Diese Praxis führte zu einer Reihe von teils gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Bergbaubetrieben, da sie eine unangemessene Privilegierung von Privatunternehmen darstellt und konkurrierende Interessen wie den Naturschutz, Landwirtschaft, Erholung und Wasserhaushalt unangemessen benachteiligte. Nun soll im Entwurf des LEP sogar die bisherige Differenzierung in bergbauliche Vorbehalts- und Vorranggebiete aufgegeben werden und zudem die Schutzwürdigkeit von teilweise bereits als nicht abbauwürdig nachgewiesenen Rohstofflagerstätten oder in FFH- bzw. Vogelschutzgebieten liegenden Flächen festgeschrieben werden. Diese Priorisierung von Bergbau und Gesteinsabbau ist nicht zu akzeptieren.”

www.stadtforum-leipzig.de

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