Ab Dienstag, 6. März, stehen in Dresden zwei junge Frauen wegen Verleumdung vor Gericht. Angeklagt, weil sie bei ihrer Aussage beharrten, zwei Freier aus dem einstigen Kinderbordell "Jasmin" wiedererkannt zu haben. Zwei mutmaßliche Freier, die damals wichtige Posten in der sächsischen Justiz einnahmen und die die Aussage als Verleumdung werten. "Jasmin" ist ein Teil des legendären "Sachsensumpfes".
Das Schlagwort “Sachsensumpf” beschäftigt die Öffentlichkeit nun seit 2007. Damals wurde publik, dass der Sächsische Verfassungsschutz bergeweise Akten gesammelt hatte zu Bereichen der organisierten Kriminalität in Sachsen, die nicht mehr in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Eigentlich kein Thema für die Welt. Der Datenbeauftragte forderte, die Akten zu vernichten. Doch so weit kam es nicht, denn auf einmal beschäftigte die Brisanz des Materials die Öffentlichkeit. Selbst der sächsische Innenminister, der damals noch Albrecht Buttolo hieß, brach fast in Panik aus und beschwor in einer Landtagsrede die Brisanz des gesammelten Materials.
Seitdem gab es eine Menge Diskussionen über die Arbeit des Verfassungsschutzes, der Polizei und der Justiz. Zwei Untersuchungsausschüsse im Landtag wurden installiert. Und selbst die abwiegelnden Statements der Staatsregierung und ihrer Behörden füllen ganze Bände. Aus der Welt geschafft haben sie die Gerüchte und Vermutungen nicht. Doch sie haben es beinah geschafft, das ganze Thema “Sachsensumpf” allein auf Leipzig zu verorten.
Von vier Fallkomplexen aus dem Aktenberg spricht kaum noch jemand. Der fünfte so genannte Fallkomplex “Abseits”, in dem einige Leipziger Ereignisse die Hauptrolle spielen, steht im Fokus auch der Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses. Der Fallkomplex hat mit dem Kinderbordell “Jasmin” zu tun, das die Polizei im Januar 1993 aushob. Und indirekt auch mit dem Attentat auf den einstigen LWB-Manager Klockzin. Es geht um Immobiliendeals, um Amtsmissbrauch und um die Frage: Was hatte der Betreiber des Kinderbordells “Jasmin” gegen Juristen und Polizisten in der Hand, als gegen ihn verhandelt wurde und der Prozess am Ende mit einem für viele Beteiligte erstaunlichen Kompromiss endete, der dem Zuhälter nur vier Jahre Haft einbrachte?War das niedrige Strafmaß der Lohn für sein Schweigen über die Hintergründe des Falls? Und vor allem: sein Schweigen über die Freier. Ein Fakt, der dem Leipziger Kriminalkommissar Georg Wehling auffiel, so dass er 2000 erneut im Fall “Jasmin” zu ermitteln begann. Und dabei auch die Mädchen vernahm, die 1993 im Kinderbordell “Jasmin” angetroffen wurden.
Zu ihnen gehörte Mandy Knopp. Im neuen “ZEITMagazin” geht sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Zwar wurden ihre Geschichte und die ihrer Freundin Trixi (deren Namen die Redaktion des “ZEITMagazin” geändert hat) schon ein paar Mal in der jüngeren Vergangenheit erzählt, doch keines der sieben Mädchen aus dem damaligen “Jasmin” ist bislang mit ihrer persönlichen Geschichte so an die Öffentlichkeit gegangen. Mandy und auch Trixi haben zwar nach den traumatischen Erlebnissen den Abstand zu Leipzig gesucht und versucht, ein eigenes, unabhängiges Leben aufzubauen. Doch die Autorin Jana Simon trifft bei ihren Recherchen zwei Frauen an, die unter den Traumatisierungen von 1993 bis heute leiden.Nicht nur psychisch. Unübersehbar schlägt sich die psychische Belastung in schwerwiegenden gesundheitlichen Störungen nieder. Nicht nur bei Mandy. Auch Trixi, die so stolz war, keinen Psychotherapeuten aufgesucht zu haben, leidet wieder, seit sie von dem neuen Gerichtsprozess erfuhr. Bei dem sie als Angeklagte vor dem Richter stehen wird. Wegen übler Nachrede. Und das ist der andere Teil des “Sachsensumpfes”, der mittlerweile auch den bravsten Bürgern des Freistaats die Schamröte ins Gesicht treibt: Da werden junge Frauen angeklagt, die – 2008 vor der wieder ermittelnden sächsischen Staatsanwaltschaft und 2009 vorm Untersuchungsausschuss – ihr Recht als befragte Zeuginnen in Anspruch nahmen, so auszusagen, wie sie sich erinnerten.
Einer der beiden Männer, die sie angeben, wiedererkannt zu haben, der mußmaßliche Freier namens “Ingo”, sieht in den Aussagen der beiden Mädchen Rufmord. Er ist heute 72 und lebt heute wieder in München.
Ihn verbindet mit dem Ganzen auch die Tatsache, dass er seinerzeit Richter war im Prozess gegen den Betreiber des Kinderbordells. Und so, wie er Jana Simon seine Erinnerungen an den Prozess schildert, ging es damals wohl zu wie auf einem Basar, ansonsten sei es kein außergewöhnlicher Prozess gewesen. Und daran, dass der bordellbetreibende Zuhälter die Mädchen mit Gewalt in Gefangenschaft gehalten haben soll, könne er sich nicht erinnern. Auch wenn es in den Akten wohl anders steht.
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Und er scheint nicht der Einzige zu sein, der das Leid der Mädchen nicht so recht wahrnehmen wollte und will. “An ihrem Leid besteht kein Zweifel”, schreibt Jana Simon. “Nun geht es um die Details, darum, wie genau Erinnerungen sein können. In der Anklageschrift nennen die Staatsanwälte Mandy Kopp und Trixi ‘Prostituierte’. Kopp ist darüber verzweifelt, empfindet es als Herabwürdigung.”
Es gehört schon ein sehr dickes Fell dazu, junge Frauen, die 1992/1993 minderjährig waren und von einem gewalttätigen Zuhälter zur Prostitution gezwungen wurden, 19 Jahre später als “Prostituierte” vor Gericht zu zitieren. Trixi und Mandy arbeiten beide nicht als Prostituiere – im Gegenteil. Beide haben sich eine eigene bürgerliche Existenz aufgebaut. Wie ein ehemaliger Boxer und Bordellbesitzer überhaupt die Macht über die jungen Mädchen bekam und welche Rolle die Umbruchzeiten in Leipzig anfangs der 1990er Jahre dabei spielten, auch das schildert Jana Simon in ihrem Artikel im “ZEITMagazin”, das der aktuellen “Zeit” 10/2012 beiliegt.
Eigentlich der richtige Artikel zum richtigen Zeitpunkt. Morgen beginnt in Dresden der Prozess. Der nicht der erste im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des so genannten “Sachsensumpfes” ist. Vor Gericht landeten ja auch die beiden Leipziger Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt. Wegen “übler Nachrede” wurden sie zu 2.500 Euro Strafe verurteilt. Nach dem Prozess rätselte so mancher, wofür sie genau verurteilt wurden. Am Ende blieb eigentlich nur eine Frage, die sie zu deutlich gestellt hatten.
Darüber berichtete zum Beispiel die “taz”: www.taz.de
Auch die “Zeit” berichtete über den Prozess gegen Arndt Ginzel und Thomas Datt: www.zeit.de
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