Die Erfahrungen internationaler Gäste zur Europameisterschaft 2024 haben auch in Sachsen ihre Spuren hinterlassen. Die Stadt Leipzig, eine der Austragungsstätten des Turniers, konnte wertvolle Erkenntnisse über das Anreiseverhalten tausender Fans sammeln. „Die Europameisterschaft hat die Probleme der Bahn nochmals ins internationale Rampenlicht gerückt und Deutschland als Gastgeberland in den Augen vieler blamiert“, erklärt nun Markus Haubold vom Fahrgastverband PRO BAHN.
Auch in Chemnitz beobachtet man die Bahnerfahrungen in Leipzig und anderen Spielstätten genau. Schließlich repräsentiert Chemnitz im kommenden Jahr als Europäische Kulturhauptstadt Deutschland und ist somit Gastgeber eines der nächsten großen internationalen Events in Deutschland. „2025 hat die Deutsche Bahn die einzigartige Chance, ihr Image zu korrigieren und zu zeigen, dass sie ein zuverlässiger Partner für die Mobilität zahlreicher Besucher aus nah und fern ist“, betont Sebastian Drechsler, Sprecher der Bahninitiative Chemnitz.
Chemnitz erwartet im Kulturhauptstadtjahr 2025 bis zu zwei Millionen Besucher aus aller Welt und ist auf eine gute Anbindung per Bahn angewiesen. „Wir haben keinen eigenen internationalen Flughafen und sind daher besonders auf eine zuverlässige Fernbahnanbindung angewiesen – für die Bahn eine echte Chance, sich als nachhaltiges Verkehrsmittel und verlässlichen Partner zu beweisen“, unterstreicht Katrin Hoffmann vom Industrieverein Sachsen.
Region kämpft seit Jahrzehnten für bessere Fernbahnanbindung
Das Kulturhauptstadtjahr wird für Chemnitz bahntechnisch Herausforderung und Chance zugleich. Seit Jahrzehnten ist die Stadt und Region vom Fernverkehrsnetz abgeschnitten, lediglich zwei IC-Züge aus Berlin erreichen täglich die viertgrößte Stadt Ostdeutschlands. In den letzten Jahren hat die Bahninitiative Chemnitz gemeinsam mit der Stadt und dem Freistaat Sachsen versucht, diesen Missstand zu korrigieren – bisher mit mäßigem Erfolg.
Bisher sind für das Kulturhauptstadtjahr keine weiteren Verbindungen geplant; lediglich am Wochenende in den Sommermonaten soll es zwei zusätzliche Zugpaare aus Berlin geben. Aus Sicht der Bahninitiative Chemnitz und vieler der Region werden diese „Saison-Sonderverkehre“ nicht ausreichen.
„Wir kämpfen als Initiative gemeinsam mit verschiedenen Partnern für eine Verbesserung der Fernbahnanbindung. Leider hat es das Thema – besonders im Hinblick auf die Kulturhauptstadt – noch nicht bis nach Berlin auf die Tagesordnung geschafft“, schildert Katrin Hoffmann das Dilemma. Und Batteriezüge stehen für die Zeit offensichtlich auch nicht zur Verfügung.
„Ich befürchte, die fehlende Fernbahnanbindung der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz könnte erneut zur internationalen Bahn-Blamage für den Freistaat Sachsen und die Bundesrepublik Deutschland führen. Die Gäste werden eine Industrienation erleben, die es nicht schafft, eine ihrer Großstädte angemessen an das Schienennetz anzubinden“, konkretisiert Sebastian Drechsler.
Jüngste Debatten um die Bahn in Deutschland machen Region skeptisch
Nicht nur die Ereignisse zur Europameisterschaft lassen die Chemnitzer aufhorchen, auch die aktuelle Debatte zur Weiterentwicklung der Bahn sorgt für Skepsis: „Friedrich Merz spricht davon, dass weniger Bahnverbindungen der richtige Weg seien. Ich finde, besonders aus Chemnitzer Sicht, dass wir mehr und bessere Bahnverbindungen benötigen und die Bahn aufwerten müssen“, so Drechsler.
Auch Markus Haubold vom Fahrgastverband PRO BAHN betrachtet die jüngsten Entwicklungen mit Sorge: „Im Sommer wurden Überlegungen der Bahn bekannt, einige Fernverkehrsverbindungen, besonders in Ostdeutschland, zu streichen. Die kürzlich bekanntgewordenen Verluste der DB AG in Fernverkehr lassen diese Szenarien immer wahrscheinlicher werden. Für Mitteldeutschland wäre dies ein großer Verlust und ein politischer Fehler. Für Chemnitz würde dies wahrscheinlich jede Perspektive auf einen attraktiven Fernverkehrsanschluss mittelfristig verbauen.“
Gleichzeitig fordert die Bahninitiative mehr Tempo beim Ausbau der Infrastruktur auf der Strecke Chemnitz – Bad Lausick – Leipzig. „Positiv ist hier der Beginn der kürzlich vereinbarten Vorplanungen im Nordabschnitt zu bewerten. Gleichzeitig muss man aber feststellen, dass diese bereits jetzt hinter den ursprünglich kommunizierten Zeitplänen hinterherhängen“, kritisiert Haubold.
Fahrgastverbände und Bahninitiative Chemnitz zeigen sich fest entschlossen, das Thema weiter voranzubringen und für eine dauerhafte und leistungsfähige Fernbahnanbindung zu kämpfen. Aufgrund des kurzen Zeitfensters bis zum Kulturhauptstadtjahr müssten allerdings jetzt die Weichen gestellt werden, so PRO Bahn. Mit Blick auf die Landtagswahlen in Sachsen will die Bahninitiative versuchen, die Fernbahnanbindung von Chemnitz zum Wahlkampfthema zu machen.
Die Bahninitiative Chemnitz (BIC)
Wir sind ein breites Bündnis bestehend aus verschiedensten Akteuren aus Chemnitz und der Region, welche sich für eine bessere Fernbahnanbindung der Stadt und Region Chemnitz einsetzen. Unsere Macher kommen aus den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Vom Interessensverband bis hin zur Privatperson ist die BIC eine Möglichkeit, sich aktiv für eine bessere Fernbahnanbindung einzusetzen.
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