Normalerweise gilt das Prinzip streng für alle Stadträtinnen und Stadträte: Bei Interessenkonflikten enthalten sie sich der Abstimmung oder verlassen sogar den Ratssaal. Die Frage ist freilich: Gilt das nicht auch für den Oberbürgermeister, der mit seiner Stimme in Abstimmungen des Stadtrates oft das Zünglein an der Waage ist? Eine Frage, die jetzt die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ aufwirft, nachdem die Stimme des OBM mit dafür sorgte, dass ein Stadtratsantrag abgeblockt wurde.
Es geht um die jüngste Abstimmung des aktuellen Leipziger Stadtrates. Gegenstand der Abstimmung war der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der die Wiederholung des grob fehlerhaften Planfeststellungsverfahrens zum Ausbau des Frachtflughafens forderte.
Konkret beantragten die Grünen: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich bei der Landesdirektion Sachsen (LDS) für eine Wiederholung des Planfeststellungsverfahrens ‚Ausbau des Verkehrsflughafens Leipzig/Halle, Start- und Landebahn Süd mit Vorfeld‘ 15. Planänderung, 1. Tektur, einzusetzen.“
Knapper ging es gar nicht
Das Abstimmungsergebnis lautete am Ende 28:28 Stimmen, also ein Unentschieden. Gemäß Satzung ist der Antrag damit abgelehnt. Das Zünglein an der Waage war OBM Burkhard Jung (SPD), seines Zeichens Mitglied im Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Flughafen AG (MFAG).
„Es hätte lediglich seiner Enthaltung bedurft, so wie es Radsportlegende Jens Lehmann (CDU) vormachte, und der Antrag wäre, wenn auch knapp, bestätigt gewesen“, stellt Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“, fest.
„Aufgrund seines Aufsichtsratsmandates sollte die Enthaltung Burkhard Jungs eine Selbstverständlichkeit sein, denn nur so können Interessenkonflikte vermieden werden. Aber nein, da stimmt der OBM über sonst dogmatisch errichtete Brandmauern gemeinsam dagegen, auch wenn alle Räte der betroffenen Ortschaften (Lützschena-Stahmeln, Böhlitz-Ehrenberg, Burghausen und Rückmarsdorf) sowie die Stadtbezirksbeiräte Nordwest und Alt-West im Vorfeld für den Antrag votiert hatten.“
Mit Brandmauer war hier die Tatsache gemeint, dass die rechtspopulistische AfD komplett gegen den Antrag stimmte und auch die CDU – bis auf Jens Lehmann – mit der AfD stimmte. Aber auch die Freibeuter-Fraktion stimmte gegen den Antrag. Und die SPD-Faktion zeigte sich völlig gespalten.
Knapp an der Insolvenz vorbei
In der gleichen Ratsversammlung sollte Jung ja auch noch Stellung nehmen zur drohenden Insolvenz des Flughafens Leipzig-Halle, die eigentlich jeden Ausbauplan ad absurdum führen sollte. Immerhin konnte er ja als Aufsichtsratsmitglied der MFAG von den Bemühungen der sächsischen Staatsregierung erzählen, die Insolvenz zu verhindern und dem Flughafen noch einmal mit Millionen unter die Arme zu greifen.
Aber in seinen Ausführungen wurde auch deutlich, dass er die Expansionspläne des Flughafens ganz und gar nicht infrage stellt, weil er ihn als Infrastruktur für die Metropolregion für unersetzlich hält. Die Frage, ob das nicht auch mit den bestehenden Strukturen am Flughafen und deutlich mehr Rücksicht auf die Gesundheit der Anwohner des Flughafens machen wäre, tangierte er nicht einmal.
Wieder wurde sehr deutlich, dass im Verwaltungshandeln das eine mit dem anderen gar nicht in Berührung kommt, wie Burkhard Jung schon in der Februar-Ratsversammlung demonstrierte.
„Als Beschaffer für das Bevölkerungswachstum Leipzigs (warum auch immer) waren die Ortschaften vor Jahren willkommen – die Interessenvertretung dieser Bürger durch das Leipziger Rathaus ist bis heute nicht erkennbar“, schätzt Matthias Zimmermann ein.
„Ganz unerträglich wird es aber dann, wenn Politiker – allesamt nicht aus jenen Bundesländern, welche die wahre Betriebswirtschaft vor 30 Jahren erst lernen mussten – behaupten, die operativen Verluste der Flughafen Leipzig GmbH (FHL GmbH) seien tatsächlich keine. So jedenfalls erklärten es am 20. Juni auf der Ratsversammlung OBM Burkhard Jung (SPD, Evangelischer Theologe auf Lehramt) und Stadtrat Sven Morlok (FDP, Diplom-Kaufmann, ehemals Sächsischer Wirtschaftsminister).
Und dies, OBWOHL die kreditgebenden Banken ein Sanierungsgutachten gefordert hatten. Wer sind denn nun die Schildbürger, unsere Politiker oder die Kreditinstitute?“
Grüße aus Schilda?
Die Abschreibungen des Flughafens, die Jahr für Jahr für ein zweistelliges Millionen-Minus-Ergebnis sorgen, seien auch nicht bedeutungslos, so wie es Morlok erklärte, kritisiert Zimmermann. So rechne sich bestenfalls die Staatsregierung den dauersubventionierten Flughafen schön. „Denn wenn die Umsatzerlöse dauerhaft zu gering sind, können in Höhe des Werteverzehrs keine Rücklagen aufgebaut werden, um Ersatzinvestitionen durchzuführen. Genau das ist auch das aktuelle Problem der FHL GmbH: die marode Infrastruktur.“
Die Zuschüsse erfolgten allein mit dem Zweck, die jährlichen Fehlbeträge auszugleichen, so Zimmermann: „Deswegen handelt es sich hierbei auch um eine Dauersubvention, die wettbewerbsrechtlich durchaus bedenklich ist. Auf jeden Fall belastet dieser gewährte Dauerzuschuss den sächsischen Haushalt, denn in Zukunft wird sich das Budget weiterhin sehr deutlich reduzieren. Das Problem steht bereits vor der Tür, was die sogenannte Haushaltssperre light leider offenkundig belegt.“
Und so vergleicht Zimmermann Burkard Jung und Sven Morlok gleich mal mit den Bürgern von Schilda, „die Licht in ein Rathaus ohne Fenster zu tragen versuchen.“ Und das hat nun einmal mit dem fest in den Köpfen verankerten neoliberalen Denken zu tun, das fossile Strukturen auch dann noch ausbaut, wenn die Erde verbrennt.
„Die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten funktioniert eben nur in Schilda so perfekt, leider!“, stellt Zimmermann fest. Und erinnert daran, dass die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ bereits im Januar einen Antrag an die Planfeststellungsbehörde zur Wiederholung des Verfahrens gestellt hat.
„Inwieweit dieser Gehör findet, bleibt abzuwarten“, so Zimmermann. „Immerhin sind durch diese falschen Berechnungen seit 16 Jahren mehrere tausend Betroffene dem deutschlandweit höchstem Nachtfluglärm schutzlos ausgeliefert gewesen.“
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