Die einen leiden nun seit Jahren unter dem zunehmenden Fluglärm am Flughafen Leipzig/Halle und sehen dem geplanten Ausbau mit Entsetzen entgegen. Den anderen ist der Lärm im Leipziger Norden völlig egal. Sie verschanzen sich hinter Gewaltenteilung und Gerichtsbeschlüssen. Am 19. Juni war im Leipziger Stadtrat sehr schön zu beobachten, warum echte Probleme auch von gewählten Gremien vom Tisch gewedelt werden. Zuständig sind ja immer andere.

Da ging es um einen Antrag der Grünen-Fraktion, der einfach forderte: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich bei der Landesdirektion Sachsen (LDS) für eine Wiederholung des Planfeststellungsverfahrens ‚Ausbau des Verkehrsflughafens Leipzig/Halle, Start- und Landebahn Süd mit Vorfeld‘ 15. Planänderung, 1. Tektur, einzusetzen.“

Bert Sander führte für seine Fraktion aus, warum diese Wiederholung des Planfeststellungsverfahrens überfällig ist. Denn längst ist klar, dass gerade die Zahlen und Gutachten, mit denen der Flughafen den geplanten Ausbau unterlegt hat, hinten und vorne nicht stimmen. Angefangen mit den vorgelegten Prognosen zur Lärmbelastung.

Im Antrag der Grünen heißt es dazu: „In der 63. Sitzung der Fluglärmkommission am 8. November 2023 informierte der Flughafen, dass in Teilen der Ortslage Lützschena-Stahmeln ‚eine Überschreitung des im Planfeststellungsbeschluss festgelegten Kriteriums der Aufwachwahrscheinlichkeit festgestellt‘ wurde. ‚Grund dafür sind geografische Besonderheiten.‘ Betroffen sind ca. 2.000 Haushalte, was etwa 6.000 Personen entspricht.

Das bedeutet, dass die im Ordner 5 (Dokument ’94. Fortschreibung der Fluglärmprognose_Obermayer’) und in der Anlage 10 (Ausgewählte Nachweispunkte) enthaltenen Lärmberechnungen in Teilen für die Ortslagen Leipzig (LEI), also in dem am dichtesten besiedelten Nachtlärmgebieten, falsch sind.

Von den besagten ‚geografischen Besonderheiten‘ und den daraus resultierenden erhöhten Lärmwerten sind allerdings auch die angrenzenden Ortschaften wie Böhlitz-Ehrenberg, Burghausen und Rückmarsdorf betroffen.“

Lärmbelastung in Leipzig

Gerade Leipziger Stadtgebiet ist von dieser falsch berechneten Lärmbelastung betroffen, weshalb der Stadtrat ja in jüngerer Vergangenheit darum gekämpft hat, dass Leipzig drei eigene Fluglärmmessstellen anschafft, weil der Flughafen selbst ganz offensichtlich ein Interesse daran hat, die Lärmbelastung in Leipziger Ortsteilen kleinzurechnen.

Dazu kommt der Missbrauch der kurzen Südabkurvung, die eigentlich nur von kleinen Maschinen bis 30 Tonnen im Ausnahmefall beflogen werden darf, aber systematisch auch für Flüge schwerer Passagier- und Frachtmaschinen genutzt wurde. Dies hatte zur Konsequenz, dass auch über dem Auwald und den westlichen Ortsteilen zusätzlicher Fluglärm erzeugt wird, der im 1. Planfeststellungsverfahren für den Flughafen einfach ausgeblendet wurde.

Was dann am 19. Juni eine weitere Diskussion um die Fehlerhaftigkeit des Planfeststellungsverfahrens von 2004 auslöste – wobei FDP-Stadtrat Sven Morlok und OBM Burkhard Jung felsenfest der Überzeugung waren, dass das Oberverwaltungsgericht die Richtigkeit des Planfeststellungsverfahrens festgestellt habe. Was so nicht stimmt, erwiderte Sander, der sich nun schon seit Jahren intensiv mit allen Nuancen um den Flughafen und sein Agieren beschäftigt.

Noch mehr Geld in ein Loch ohne Boden

Im Grunde ist die Genehmigungsgeschichte für den Frachtflughafen Leipzig voller Kompromisse, die vor allem darauf zielen, den Frachtfluggesellschaften rund um die Uhr eine Starterlaubnis zu gewähren – und das mit Konditionen, die nicht einmal den Flugbetrieb finanzieren. Weshalb der Flughafen gerade dicht an der Insolvenz vorbeischrammt. Jede ökonomische Vernunft hätte die Ausbaupläne längst beerdigt.

Doch Sven Morlok führte es schon richtig aus: So etwas wie die Ausbaupläne für einen Flughafen ist dem demokratischen Entscheidungsprozess völlig entzogen. „Wir haben da nichts mitzureden“, sagte er. Entscheiden kann nur die Landesdirektion Sachsen, die die Unterlagen auf ihre Stimmigkeit und Erlaubnisfähigkeit prüft.

Und erst wenn die Landesdirektion – trotz aller Einwände auch der Stadt Leipzig – den Ausbauplänen des Flughafens zustimmt, kann die Stadt Leipzig klagen. Das, so Morlok, sei der rechtmäßige Weg.

Ob Leipzig dann klagt, ist völlig offen. Die Erinnerung an das 1. Planfeststellungsverfahren macht gerade die Fluglärmbetroffenen inzwischen sehr besorgt, was da noch auf sie zukommt. Denn Richter neigen eher nicht dazu, einen solchen Ausbauplan zu stoppen.

Die Stadtratsmehrheit kneift

Sodass an diesem 19. Juni eigentlich die Frage stand: Setzt Leipzigs Stadtrat ein Zeichen und fordert den OBM auf, bei der Landesdirektion vorstellig zu werden und ein Neuaufrollen des Planfeststellungsverfahrens zu fordern?

Oder kneift die Mehrheit, weil das Amt für Umweltschutz in seiner Stellungnahme so einen Satz geschrieben hat: „Außerdem wäre eine Wiederholung des Planfeststellungsverfahrens mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Mehraufwand für die öffentliche Hand, insbesondere für die LDS und für die Flughafen Leipzig/Halle GmbH als Antragstellerin, an deren Muttergesellschaft die Stadt Leipzig Anteilseignerin ist, verbunden“?

Wobei Bert Sander mit Verweis auf die roten Zahlen des Flughafens und die Kosten des Ausbaus darauf verwies, das eigentlich die Ausbaupläne rausgeschmissenes Geld sind, die ein defizitäres Unternehmen mit immer neuem Steuergeld in die Zukunft fortsetzen.

Und dann wurde es genauso seltsam, wie die Diskussion an diesem Tag verlief: Der Verwaltungsstandpunkt – der übrigens auch eine Vorsprache des OBM bei der Landesdirektion vorsah – wurde mit 19:26 Stimmen bei elf Enthaltungen abgelehnt. Und auch der grüne Originalantrag scheiterte mit Stimmengleichheit bei 28:28 Stimmen. Eine Stimme mehr, und er wäre angenommen worden.

Und so sah man hier anschaulich, warum demokratische Politik immer wieder scheitert, wenn gewählte Mandatsträger lieber warten, bis Andere irgendeine Entscheidung getroffen haben.

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