Nachts dröhnen die Flugzeuge über die Gemeinden im Leipziger Norden. Nacht für Nacht in kurzen Minutenabständen. Der Flughafen Leipzig/Halle ist der einzige deutsche Großstadtflughafen, der so nah gleich bei zwei Großstädten liegt und wo gerade nachts der Fluglärm dominiert. Und seit drei Jahren hängt das Damoklesschwert der Flughafenerweiterung über der Region. Ein Stopp der Ausbaupläne sei das Mindeste, was man jetzt fordern sollte, finden Linke aus Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Über 10.000 Einwendungen gebe es inzwischen zu den Ausbauplänen des Flughafens Leipzig/Halle, sagt Marco Böhme, Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag für Mobilität, mit denen die Zahl der Stellplätze für Flugzeuge quasi verdoppelt werden soll – was dann die Möglichkeiten schafft, dass sich auch die Zahl der nächtlichen Flugbewegungen verdoppelt.
Also doppelter Lärm für die Anwohner, die schon in der Vergangenheit keine Chancen hatten, sich gegen den zunehmenden Fluglärm zur Wehr zu setzen. Nicht einmal eine vom Bundestag 2016 einstimmig gebilligte Petition zur Abschaffung der Kurzen Südabkurvung ist bis heute umgesetzt. Interessiert uns nicht, sagen die Ministerialbeamten im Bundesverkehrsministerium, wenn Bundestagsabgeordnete wie Sören Pellmann aus Leipzig nachfragen.
So wird die Demokratie bewusst demoliert
Dass die deutsche Demokratie derzeit so unter Beschuss steht, hat genau damit zu tun: Ignoranz, Gleichgültigkeit, Bürokratismus. In den Landtagen von Sachsen und Sachsen-Anhalt geht es weiter. Mehrere Anträge zur Fluglärmminderung am Flughafen Leipzig/Halle haben die Linksfraktionen dort schon gestellt.
„Aber Sie wissen ja, wie das mit Anträgen aus der Opposition ist.“ Sie werden schon aus Prinzip niedergestimmt. Und im Dresdner Landtag kommt noch hinzu: Die meisten Abgeordneten sind nicht betroffen. Für sie ist der Fluglärm ein lokales Problem.
Nur kann man es lokal nicht lösen. Denn die Verantwortung liegt bei der Staatsregierung in Dresden – zuallererst bei Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) und dann beim Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU), der im April auch die lange erwartete neue Entgelttabelle für den Flughafen abgesegnet hat. Für Marco Böhme nichts anderes als eine Mogelpackung.
Ein Papier für einen anderen Umgang mit dem Flughafen
Die erste Ferienwoche nutzten vier Mandatsträger der Linken, um ihr gemeinsames Positionspapier zum Flughafen Leipzig/Halle vorzustellen.
Das Positionspapier der Linken zum Flughafen Leipzig/Halle.
Der Flughafen Leipzig/Halle ist ein vielschichtiges Thema: Zum einen wird er als Wirtschaftsfaktor für die Region wahrgenommen, zum anderen als Störfaktor für Anwohnende und Natur, betonen die Linken. Seit Jahren steht das Fracht-Drehkreuz wegen hoher Lärm- und Umweltbelastung in der Kritik. Die zahlreichen Nachtflüge tragen erheblich zur Beeinträchtigung der Gesundheit Anwohnender bei. Der geplante Ausbau droht diese Situation noch zu verschärfen.
Mit ihrem Forderungskatalog lehnen Abgeordnete und Kommunalvertreter der Linken den Ausbau des Flughafens und die Ausweitung des Flugverkehrs am Flughafen Leipzig/Halle ab und fordern angesichts der Pläne der Flughafen AG ein Ausbau-Moratorium. Zur deutlichen Verbesserung des Lärmschutzes müsse außerdem gegenüber den zuständigen Bundesbehörden und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur auf eine gleichmäßige Verteilung der derzeitig festgelegten Flugrouten hingewirkt und schließlich rechtsverbindlich sichergestellt werden.
„Gerade vor dem Hintergrund der dringend notwendigen ökologischen und sozial gerechten Verkehrswende müssen neue Weichen am Flughafen Leipzig/Halle gestellt werden. Im Landtag haben wir dazu bereits Vorschläge unterbreitet“, erzählte Marco Böhme, Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag für Mobilität, am Mittwoch, dem 12. Juli, in einem Pressegespräch zur Vorgeschichte des Positionspapiers.
Denn Initiativen der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, das Lärmproblem am Flughafen irgendwie in den Griff zu bekommen, gab es schon genug. Der Landtag wäre schon der richtige Ort dafür, denn die Fluglärmkommissionen in Sachsen und in Sachsen-Anhalt fallen als Gremium für die Lösung solcher Fragen völlig aus.
Anliegen der betroffenen Kommunen werden geradezu ignoriert. Die Bürgerinitiativen gegen Fluglärm sind dort gar nicht erst vertreten. Und die beiden Großstädte Halle und Leipzig haben nicht mal ein Veto-Recht. Auch nicht in so selbstverständlichen Fragen wie Lärm-, Klima- und Gesundheitsschutz.
Die Landeentgelte sind ein Witz
„Wir fordern deshalb auch die Einführung von schadstofforientierten Grundentgelten“, sagt Böhme. „Nicht diejenigen, die im Umfeld des Airports ihr Zuhause haben, sollen den Schaden für den immer weiter ansteigenden Flugverkehr bezahlen, sondern ebenjene, die ihn verursachen. Die Start- und Landeentgelte für die Nacht müssen endlich an das bundesdeutsche Niveau angepasst werden, auch damit der defizitäre Flughafen aus den roten Zahlen herauskommt.“
Defizitär ist der Flughafen, weil er nicht einmal die Start- und Landeentgelte nimmt, wie sie etwa der Flughafen Köln/Bonn verlangt. Er ist der Billigheimer unter den deutschen Flughäfen und lockt damit natürlich auch Billigairlines an und begünstigt die Landung von lauten und alten Flugzeugen.
„Es ist außerdem essenziell, tatsächliche Alternativen zum klimaschädlichen Frachtflugverkehr zu schaffen“, sagt der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann. „Deshalb sollte der Luftfrachtumschlagbahnhof in das Transportkonzept des Flughafens Leipzig/Halle eingebunden und der Frachtflugverkehr innerhalb Europas zum Großteil auf die Schiene verlagert werden.
Ebenso muss ganz klar Stellung bezogen werden hinsichtlich jeglicher militärischer Nutzung des Airports. Diese ist genauso entschieden abzulehnen wie die Ansiedlung von Unternehmen der Rüstungsindustrie am Flughafenstandort.“
Dieses Umschlagterminal direkt neben dem Flughafen ist zwar voll ausgelastet – aber nicht durch Flughafennutzer wie DHL. Und das werde sich auch nicht ändern, solange Fliegen innerhalb Deutschlands billiger sei als der Transport auf der Schiene, sagt Pellmann.
Es braucht ein Dialogforum mit deutlich mehr Rechten
Und Marianne Küng-Vildebrand, Stadträtin der Linken im Leipziger Stadtrat und Vertreterin im Dialogforum Flughafen, beschäftigt der medienwirksame Austritt der Bürgerinitiativen, der Grünen und des SPD-Stadtrats Andreas Geisler im Mai aus dem 2009 extra gegründeten Dialogforum Flughafen Leipzig/Halle. Geisler hatte es schlicht als „totes Pferd“ bezeichnet. Und der Frust ist verständlich, wenn auch dieses extra gegründete Forum, an dem auch Flughafenvertreter teilnehmen, keinerlei Änderung am lärmenden Flughafenbetrieb gebracht hat.
„Das Dialogforum Flughafen Leipzig/Halle muss ein echtes Beteiligungs-, Mediations- und Erhebungsforum werden“, findet Marianne Küng-Vildebrand. „Dazu soll das Forum eine ständige Geschäftsstelle und ein verpflichtendes Anhörungsrecht erhalten zu allen Sachverhalten des Flughafenbetriebes, die sich auf Emissionen aller Art sowie insbesondere auf Gesundheit und Wohlbefinden der Einwohnerinnen und Einwohner der umliegenden Städte, Gemeinden und Ortschaften auswirken können. Außerdem muss das Forum hinsichtlich Planfeststellungsverfahren und Genehmigungen für den Flugbetrieb am Flughafen Leipzig/Halle ein echtes Beschluss- und Vetorecht erhalten.“
Rechtlich ist das bislang nicht möglich. Dazu müsste sich auch Bundesgesetzgebung ändern. Aber die gesetzlichen Fluglärmkommissionen in Sachsen und in Sachsen-Anhalt funktionieren genauso wenig, schon gar nicht als Foren, in denen betroffene Kommunen ihr Einspruchsrecht wahrnehmen können, wenn der Flughafen die Lebensqualität in diesen Orten lädiert.
Wobei es selbst für so grundlegende Themen wie die riesige Klimabelastung und die bislang noch durch keine Studie wirklich aufgearbeitete Gesundheitsbelastung der Menschen im Überfluggebiet keine Untersuchung gibt.
Fluglärmbetroffene kaltgestellt
Noch besser wäre es natürlich, wenn so ein Dialogforum länderübergreifend agieren könnte. Denn völlig widersinnigerweise teilt die Ländergrenze auch die Fluglärmbetroffenen, die dann in Sachsen genauso wie in Sachsen-Anhalt ihren erfolglosen Kampf gegen den Lärm und die Ausbaupläne führen.
„Nach diesem Vorbild muss auch für das Anteilseigner-Land Sachsen-Anhalt ein Dialogforum entstehen. Es soll ein unabhängiger Lärmschutzbeauftragter (Ombudsperson) eingesetzt werden, der seine Aufgabe vor allem in der Lärmentlastung und Lärmoptimierung sieht“, fordert Kerstin Eisenreich, in der Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt unter anderem zuständig für Infrastruktur und Klimaschutz.
Denn es geht Lärmbetroffenen in Kabelsketal, wo sie lebt, genauso wie denen im Leipziger Nordraum: Sie können sich beim Flughafen oder beim Fluglärmbeauftragten beschweren so oft sie wollen – es ändert sich nichts. In der Fluglärmkommission gibt es dann meist die lapidare und irreführende Ansage, am Beschwerdeaufkommen habe sich nichts geändert.
„Nur so kann die tatsächliche Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner, der Bürgerinitiativen sowie der Vertretungskörperschaften der umliegenden Städte, Gemeinden und Ortschaften gelingen“, findet Eisenreich. Im Positionspapier ist das noch nicht zusammengeführt. Aber es wäre nur logisch. Bis hin zum Vetorecht für so ein Dialogforum.
Die Ausbaupläne hätten längst gestoppt werden müssen
Aber eigentlich, so Marco Böhme, hätten allein die 10.000 Einwendungen gegen den Flughafenausbau dazu führen müssen, die Ausbaupläne zu stoppen. Auch weil der Flughafen in seiner jetzigen Nutzung mit dem ausufernden Frachtbetrieb gerade zur größten Quelle klimaschädlicher Gase in der Region wird. Während die Packer Nacht für Nacht im Schichtbetrieb arbeiten, was genauso gesundheitsschädlich ist.
Wobei längst auch schon die Frage im Raum steht, ob DHL & Co. künftig überhaupt noch Leute finden, die nachts die Frachtflugzeuge be- und entladen mit Zeug, das nur in den allerwenigsten Fällen tatsächlich Expressgut ist. Denn seine Nachtflugerlaubnis hat der Flughafen nur für Expressgut.
Aber es gebe niemanden in Deutschland, der endlich klipp und klar definiere, was wirklich Expressgut sei. Noch so eine völlig ungeklärte Frage, wie Böhme anmerkt. Rund um einen Frachtflughafen, der für die Anwohner in den wichtigsten Bereichen eine regelrechte Black Box ist. Es fehlen Studien, Messungen und Untersuchungen. Auch in den Unterlagen zur Flughafenerweiterung, zu denen auch die Stadt Leipzig inzwischen zwei deutliche und kritische Stellungnahmen geschrieben hat.
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