Dr. Matthias Gründig mag es zu rechnen. Gerade wenn es um den Flughafen Leipzig/Halle und dessen Wachstumspolitik geht, darf man keiner einzigen Zahl vertrauen. Schon gar nicht zum prognostizierten Fluglärm und der Zahl der dann Betroffenen. „Ich habe mich mit dem Gutachten zur Fluglärmkartierung (Daten von 2021) und den Daten aus der 1. Tektur zum Planfeststellungsverfahren (PFV, Planfall 2032) für die Frachtflughafenerweiterung hinsichtlich der Zahl der vom Fluglärm Betroffenen befasst“, schreibt er.

Allein schon die Daten zur Fluglärmbelastung müssten der Planung eigentlich jeden Boden entziehen.

„Auf Grund der Daten der Fluglärmkartierung (2021) erweisen sich die Betroffenenzahlen für die geplante Flughafenerweiterung (2032) noch unrealistischer als sie bisher schon waren. In der Fluglärmkartierung (Sächs. Landesamt f. Umwelt u. Geologie, Gutachter: Obermeyer) wurden für 2021 (75.100 Flugbewegungen) bereits mehr vom Fluglärm Betroffene ausgewiesen als die im PFV (Planfeststellungsverfahrten, d. Red.) für 2032 berechneten – und das bei deutlich mehr Flugbewegungen für 2032 (108.000). Gemäß Fluglärmkartierung mussten 2021 insgesamt 63.517 Personen gesundheitsschädliche Lärmbelastungen in der Nacht von mehr als 45 dB(A) ertragen. Die Unterschiede für die Werte am Tag sind nicht weniger erheblich.“

Die Werte hat Dr. Matthias Gründig hier gegenüber gestellt:

Anzahl der Fluglärmbetroffenen (Isophonen angeglichen)

06.00 – 22.00 Uhr                                                      55–60 dB(A)  60–65 dB(A)  65–70 dB(A)
Lärmkartierung 2021: 30.840 Flugbew.               22.525            5.612              218
PFV, Planfall 2032: 52.000 Flugbew.                       3.241               205                  0

22.00 – 06.00 Uhr                                                 45–50 dB(A)  50–55 dB(A)  55–60 dB(A)   60–65 dB(A)
Lärmkartierung 2021: 44.260 Flugbew.              38.847             20.309            4.343                  18
PFV, Planfall 2032: 56.000 Flugbew.                     34.663             14.788            10.040              355

„Die Daten der Lärmkartierung wurden mit dem BUF-Verfahren und die des PFV wurden mit dem AzB-Verfahren berechnet. Nach Angaben des Gutachters Obermeyer ergeben sich deutliche Unterschiede beider Berechnungsverfahren erst in größerer Entfernung vom Flughafen. Mehr noch, das für die Lärmkartierung verwendet BUF-Berechnungsverfahren berücksichtigt keinen Bodenlärm, so dass die tatsächliche Betroffenenzahlen insbesondere im nahen Umfeld des Flughafens tatsächlich noch deutlich höher liegen (z. B. Schkeuditz)“, stellt Gründig fest.

Nachtruhe? Nicht dran zu denken

Die Grenzwertempfehlung von WHO und UBA liegen bei 40 dB(A) für die Nacht.

„Wissenschaftliche Studien zeigen eindeutig, dass die gesundheitlichen Folgen von Fluglärm, insbesondere von Nachtfluglärm, erheblich sind. Zum Schutz der Bevölkerung empfiehlt das Umweltbundesamt daher, den regulären Flugbetrieb in der Zeit von 22 bis 6 Uhr ruhen zu lassen“, empfahl das Umweltbundesamt deshalb schon 2014, auch wenn es sich zur Forderung nach einem generellen Nachtflugverbot noch nicht durchringen konnte.

„Durch die für 2032 geplante erhebliche Steigerung der Flugbewegungen wird auch der Fluglärm insgesamt und damit die Zahl der Betroffenen sehr stark zunehmen. Das ist aus gesundheitlichen Gründen so nicht hinnehmbar“, weist Gründig auf die wohl auffälligste Fehlstelle in den Unterlagen zur Flughafenerweiterung hin. „Entsprechend neuesten medizinischen Erkenntnissen fehlen im PFV jegliche Daten zu den durch nächtlichen Fluglärm verursachten Aufwachreaktionen, die das entscheidende Kriterium für dessen Gesundheitsschädigung darstellen.“

Aber Gründig sieht noch ein Problem: „Die Zahl der vom Fluglärm Betroffenen wird ausschließlich durch Berechnungen ermittelt. Die o. g. Betroffenenzahlen beweisen, dass offensichtlich alle bisher verwendeten Berechnungsmethoden nicht annähernd geeignet sind, die Betroffenheit der Anwohnenden in Quantität, Qualität und der Realität entsprechend zu erfassen und abzubilden. Es fehlen im PFV tatsächliche Messergebnisse, die diese Berechnungen bestätigen.“

Nur: Was nutzt das den Fluglärmbetroffenen, die sich über den zunehmenden Nachtfluglärm beschweren? Ihre Beschwerden haben keine Folgen. Auch wenn Gründig feststellen kann: „Die Zahl der Beschwerden über Fluglärm und auch die Zahl der betroffenen Stadtteile und Gemeinden hat dramatisch zugenommen.“

Zu den Änderungen des Planfeststellungsverfahrens (1. Tektur) zum Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle können noch Einwendungen bis zum 4. September 2023 eingereicht werden.

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