Nicht einmal zwanzig Minuten dauert die Fahrt mit der S-Bahn vom Leipziger Hauptbahnhof nach Borsdorf. Im Rathaus, das in wenigen Schritten von der Bahnstation zu erreichen ist, treffen wir Birgit Kaden, die am 7. Mai 2020 das Amt der Bürgermeisterin der Gemeinde antrat. Die ehemalige Leiterin der Kindertagesstätte im Borsdorfer Stadtteil Panitzsch engagierte sich zuvor schon jahrelang im hiesigen Gemeinderat. Wir haben mit ihr über die Herausforderungen durch aktuelle Krisen, Bürgerbeteiligung und bürokratische Hindernisse gesprochen.
Frau Kaden, Sie haben Ihr Amt angetreten mitten in der Coronakrise. Wie sind die ersten beiden Jahre für Sie angelaufen?
Man tappt von einer Herausforderung in die nächste. Corona war ein großer Tiefschlag, allein schon deshalb, weil man als Bürgermeister/-in ja mit den Bürger/-innen im Kontakt stehen und mit ihnen kommunizieren möchte. Viele Probleme lassen sich aufnehmen und lösen, indem man ins Gespräch kommt. Das gab es einfach nicht. Ich bin ins Amt gestartet ohne wirkliche Berührung mit den Menschen. Es fand so gut wie keine Einarbeitung statt. Ich war glücklicherweise durch meine langejährige Arbeit im Kreistag schon gut vernetzt.
Zum Beginn von Corona hat es Borsdorf nicht so hart getroffen, wie manch andere Kommunen. Wir hatten hier nicht so große Einbußen der Gewerbesteuer – weil hier nicht so viel Gewerbe angesiedelt ist. Es hat uns nicht so eiskalt erwischt, wie andere Kommunen. Natürlich gab es Auswirkungen, doch die jetzt herrschende Energiekrise hat weitaus größere Folgen. Und sie wird die finanziell schwierige Situation der Kommunen weiter verschärfen.
Das geht weiter damit, dass nun wieder viele geflüchtete Menschen hier ankommen. Schon kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben wir hier Personen aufgenommen. Zahlreiche Bürger/-innen haben sich ehrenamtlich engagiert und Wohnraum zur Verfügung gestellt. Der Landkreis hat die Gemeinschaftsunterkunft in Borsdorf wieder geöffnet.
Weiter geht es mit der Vorbereitung auf einen möglichen Blackout. Das sind alles Themen, die das Tagesgeschäft quasi ablösen.
Müssen durch die aktuellen Krisen andere Vorhaben hintenanstehen?
Das ist schon länger so. Beispielsweise treten wir hier beim Straßenbau auf der Stelle. Seit Jahren ist der Ausbau einer Straße hier auf der Dringlichkeitsliste, die Maßnahme stand kurz vor Beschluss. 2018 wurde das zurückgezogen, weil es keine Fördermittel mehr gab.
2021 sollten wir dann innerhalb von zwei Wochen die Entscheidung treffen für 40 50 Prozent anstatt der vormals angegebenen 80 Prozent Förderung. Das konnten wir uns als Kommune schlicht nicht leisten. Ich denke, es ist auch ein Signal in die falsche Richtung.
Auch unser Sportlerheim sollte schon lange ausgebaut werden. Im letzten Jahr hat sich der Baupreis für das Projekt von einer auf zwei Millionen Euro verdoppelt. Damit muss es im Moment von der Agenda gestrichen werden. Wir können derzeit keine Investitionen tätigen, weil wir vorerst schauen müssen, wie wir die Energieversorgung für die Menschen sicherstellen können. Das wirft uns natürlich nach hinten.
Wie gestalten Sie in Borsdorf die Beteiligung der Bürger/-innen?
Man muss viel mit den Menschen sprechen. Zu Beginn meiner Amtszeit hatte ich mir das anders vorgestellt. Ich hatte eigentlich den Wunsch, bei jeder Maßnahme, die ergriffen wird, direkt mit den Betroffenen ins Gespräch zu treten. Nun weiß ich: Teilweise fehlt dafür leider die Zeit und manchmal verzettelt man sich dabei auch schnell.
Beispielsweise mussten wir im vergangenen Jahr die Elternbeiträge für die Kitas massiv erhöhen. Die Preise waren jahrelang auf demselben Niveau geblieben, jetzt mussten wir die Reißleine ziehen. Es ist mir nicht gelungen, mit den Eltern vorher in die Kommunikation zu gehen. Ständig kamen andere Probleme, die gelöst werden mussten. Im Prinzip konnten wir stets nur noch agieren. Erst nach Beschluss konnte ich mit den Leuten sprechen und ihnen erklären, warum diese Maßnahme ergriffen werden musste.
Vor kurzem war ich vor Ort bei Bürger/-innen, die die Straße vor ihren Häusern erneuert haben möchten. In solchen Fällen merke ich, dass Transparenz wichtig ist. Sobald man aufzeigt, welche Straßen in der Gemeinde ebenfalls sanierungsbedürftig sind und wie viel dafür bezahlt werden müsste, verstehen die Menschen auch, dass das einfach nicht drin ist momentan. Solche Themen sind auch wichtig, beispielsweise im Ortsblatt oder auf der Homepage der Stadt – denn sie beschäftigen die Menschen.
Ich hoffe, die Bürger/-innen haben Vertrauen in die Arbeit der Verwaltung. Durch den Gemeinderat hat man aber einen guten Multiplikator. Ich denke, dort ist die Zusammenarbeit auch so vertrauensvoll, dass Probleme ehrlich kommuniziert werden. (Anm. d. Red.: Der Borsdorfer Gemeinderat besteht aus 17 Personen: 5 CDU, 1 AfD, 1 SPD, 1 Die Linke, 4 Bürgerforum Gemeinde Borsdorf, 2 Freie Wählergemeinschaft ‚94, 2 Freie Wähler – Borsdorf braucht Veränderung e. V.)
Wie ist die Arbeit im Gemeinderat?
Ich musste zu Beginn schon Vertrauen aufbauen. Mein Vorgänger, Ludwig Martin, hat viele wichtige Dinge für Borsdorf erreicht, doch es gab Vorbehalte. Das hat den Gemeinderat in Lager gespalten. Oftmals wurde dann nicht einmal versucht, Mehrheiten zu schaffen. Ich habe mir von Anfang an vorgenommen, das zu ändern. Inzwischen haben wir eine gute Zusammenarbeit, können streiten und tatsächlich demokratische Mehrheiten erreichen durch Diskussion. Es gab vielleicht mal eine Zeit, in der war es wichtig, dass es jemanden gab, der sagte, wo es langgehen muss. Sonst wären wir nach der Wende nicht vorangekommen. Doch ich denke, dieser Führungsstil wird jetzt abgelöst.
Wie zufrieden sind Sie mit der Verkehrssituation in Borsdorf bzw. mit dem ÖPNV-Angebot in und um Borsdorf?
Von Vorteil ist natürlich die gute S-Bahn-Anbindung nach Leipzig. Von dort aus kommt man sowieso überall hin – auch ohne Auto. Wir haben aber leider kein gut ausgebautes Buslinien-System. Das wurde früher zwar mal ausprobiert, aber nicht rege genutzt. Deshalb muss es Möglichkeiten geben, das kleiner zu gestalten – mit Rufbussen beispielsweise. Wir bemühen uns darum, denn wir werden im ÖPNV-System an das Projekt „Wurzener Land in Fahrt“ angegliedert. Hoffentlich gibt es bald kleinere Regionalbusse, die auch die Ortschaften anfahren. Aber die Bürger/-innen müssen das Angebot auch nutzen.
Natürlich, es gibt hier viele Wege, die man zu Fuß erledigen kann. Aber gerade für ältere Menschen ist das schwierig. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen. Es gibt zunehmend ältere Menschen in unserer Gesellschaft und diese können nicht bis ins hohe Alter mit dem Auto unterwegs sein. Wenn alles gut geht, wird ein Investor ein kleines Wohngebiet mit einem Angebot für betreutes Wohnen zwischen Panitzsch und Borsdorf entwickeln.
Am Ende soll jemand, der hier von zu Hause auszieht, direkt in der Nähe eine Wohnung finden, in der auch eine Betreuung stattfindet. In diesem Gebiet wollen wir Mobilitätsstationen mit Mietautos mitdenken. Die Leute sollen ja mobil bleiben können. Die Planungen dafür dauern natürlich aber unheimlich lange. Allein an dem Bebauungsplan-Verfahren arbeiten wir seit zwei Jahren.
Sehen Sie diese langwierigen bürokratischen Prozesse als Problem an?
Durchaus. Natürlich, gerade bei privaten Investor/-innen müssen Vorhaben gut geprüft werden. Ich finde es auch gut, dass die Gemeinde so viele Einflussmöglichkeiten hat. Ob das soziale Einrichtungen oder Ausgleichspflanzungen für die Versiegelung von Boden sind. Was aber die Bürokratie mit der Fördermittelbeschaffung angeht – das kann einem manchmal den letzten Nerv rauben. Wir haben beispielsweise Fördermittel beantragt für einen Spielplatz hier vor Ort.
Seit einem Jahr sollte dieser errichtet werden. Die Mittel dafür bekommen wir auch, doch bevor das Geld da ist, dürfen wir nicht bauen. Denn sollte die Förderung doch gestrichen werden, sitzt die Gemeinde auf den Kosten. Das können wir uns schlichtweg nicht leisten. Und danach wird mehrmals nachkontrolliert, wofür das Geld ausgegeben wurde. Da fehlt auch viel Vertrauen in die kommunale Politik. Vielleicht ist das gerechtfertigt. Aber allein durch die vielen Fördermittelrichtlinien wird gesteuert, was in den Kommunen gestaltet wird.
Gibt es noch andere Probleme hier vor Ort?
Ich denke, wir haben keinen Grund zum Jammern. Natürlich kann es immer noch besser sein. Aber wir haben beispielsweise eine ganze tolle Vereinslandschaft, eine tolle Mehrzweckhalle, zwei Sportplätze, einen Heimatverein … Wir sollten uns dessen bewusst sein. In anderen Kommunen gibt es das nicht. Wir haben Schulen, Kitas – hier muss niemand auf einen Kitaplatz warten.
Wir sind interkommunal zusammengeschlossen mit Parthenstein, Naunhof, Machern, Brandis, Großpösna und Belgershain und haben gemeinsam schon viel angeschoben. Da kommt beispielsweise auch die Idee mit gemeinsamen Mobilitätsstationen her. Hier kommen schließlich keine Carsharing-Betreiber von sich aus her. Ich denke, wir müssen nach vorn schauen und uns auf das konzentrieren, was wir tun können.
Sie sagten, dass die Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Personen in Borsdorf wiedereröffnet wurde und die Gemeinde weitere Menschen aufnehmen wird. Gibt es seitens der Bürger/-innen Vorbehalte anhand solcher Meldungen?
Ja. Bei den Geflüchteten aus der Ukraine war es anders. Es kamen junge Frauen mit Kindern, da war die Hilfsbereitschaft größer. Auch der Kulturkreis wird als ähnlich empfunden. Der Vorbehalt gegenüber jungen Männern ist größer. Wir hatten die Situation schon einmal, in 2015. Ich war damals bei der Bürgerversammlung dabei. Und ich war erschüttert, was da in den Köpfen passierte. Einige „wussten“ schon, noch bevor auch eine geflüchtete Person den Ort betreten hatte, dass dann Diebstähle an der Tagesordnung wären, Einbrüche, Vergewaltigungen etc. Es hat sich glücklicherweise schnell eine Bürger/-innenschaft gegen diese Anfeindungen gebildet. Es haben sich Hilfsnetzwerke gesponnen. Und alles, was vorher befürchtet wurde, ist natürlich nicht eingetreten.
Jetzt trifft es die Bevölkerung allerdings in einer Situation, in der sie selbst ins Straucheln gerät. 2015 ging es allen gut, zumindest zu großen Teilen. Jetzt ist die Problemlage anders. Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Manche wissen nicht, wie sie ihre Gasrechnungen bezahlen sollen. Uns fehlt die fachkundige Betreuung vor Ort. Ich hätte weniger Bauchschmerzen, wenn jemand in der Unterkunft arbeiten würde, der einen sozialpädagogisch geschulten Hintergrund hat. Das ist dort nicht der Fall. Und ich weiß auch nicht, wo die Leute herkommen sollen. Hier treffen finanzielle Probleme zusammen mit Fachkräftemangel und einer durch Corona gespaltenen Gesellschaft. Ich befürchte, diese große Hilfsbereitschaft von damals werden wir nicht mehr zusammenbekommen. Ohne die ehrenamtlichen Helfer/-innen hätten wir aber schon nicht gewusst, wie wir die Situation mit den ukrainischen Geflüchteten meistern können.
Haben Sie jemals bereut, sich als Bürgermeisterin aufstellen zu lassen?
Nein. Ich habe zwar meinen vorherigen Beruf (Kitaleitung, Anm. d. Red.) sehr geliebt, aber ich habe mir meine Entscheidung gut überlegt. Und nun ist das meine Aufgabe. Natürlich fragt man sich manchmal, warum man sich das antut. Diese Gedanken darf man aber nicht groß werden lassen.
Ich wollte mich damals ohnehin beruflich verändern. Ich denke, in einer Kitaleitung muss sich immer mal wieder etwas verändern. Auch ich werde ja älter und verliere auch teilweise den Kontakt zu den jüngeren Eltern. Ich wollte nicht in die Spirale geraten, mit dem erhobenem Zeigefinder zu sagen: „Früher haben wir das anders gemacht.“ Deshalb habe ich die Chance.
„Im Gespräch mit der Borsdorfer Bürgermeisterin Birgit Kaden“ erschien erstmals am 25. November 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 108 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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