Am Störmthaler See soll ein Inklusionscampingplatz der Städtischen Eigenbetriebe Behindertenhilfe Leipzig (SEB) entstehen. Doppelte Inklusion ist das Ziel, d. h. Menschen mit Behinderung finden dort Erholung, aber auch Arbeit. Das Vorhaben soll mit 22 Millionen Euro die derzeit höchste Einzelprojektfördersumme der Strukturwandelförderung des Bundes im Mitteldeutschen Revier erhalten.

Nach der Kritik der Sächsischen Landesverbände von NABU und BUND am Vorentwurf des zugehörigen Bebauungsplanes ‚Östlich Grunaer Bucht‘, muss das B-Planverfahren nun zügig auf den Prüfstand. Dazu wird es nicht ausreichen, ein paar kleinere Anpassungen vorzunehmen. Denn der NABU hat klar dargestellt, das Plangebiet ‚Östlich Grunaer Bucht‘ ist in großen Teilen würdig, als Naturschutzgebiet ausgewiesen zu werden.

Problem: Die Stadt Leipzig hat bereits im Juli 2022 den Notarvertrag für den Grundstückserwerb unterschrieben. Die Stadt ist nun Besitzer einer Immobilie, die für das geplante SEB-Vorhaben möglicherweise ungeeignet ist.

Leipziger Stadtrat sieht Verantwortung bei der Gemeinde Großpösna

In Großpösna, wo das zugehörige B-Planverfahren ‚Östlich Grunaer Bucht‘ verortet ist, wird die naturschutzfachliche Debatte allein durch die Grünen Vertreter im Gemeinderat eingefordert. Die Grünen haben mehrfach auf die vielfältigen umwelt- und naturschutzfachlichen Konflikte in der Vorhabenplanung hingewiesen.

Dagegen versicherte Großpösnas ehemalige Bürgermeisterin Dr. Gabriela Lantzsch noch bis zu ihrer letzten Gemeinderatssitzung im Juni 2022 die Vereinbarkeit der Vorhaben mit dem Naturschutzrecht und suggerierte sogar schon eine Zustimmung der Unteren Naturschutzbehörde.

So lässt man in Großpösna auch nach den sehr kritischen Stellungnahmen der Naturschutzverbände an der Vorhabenplanung keine Zweifel aufkommen. Ist den Entscheidungsträgern in Großpösna überhaupt klar, dass sich die Leipziger Stadträte ganz auf ihre Großpösnaer Ratskollegen verlassen? Denn so war es im Leipziger Stadtrat zu hören, als Sven Morlok (Freibeuter) in der Septembersitzung über die Zuständigkeiten im zugehörigen B-Planverfahren referierte.

Die Zuständigkeit für das B-Planverfahren liege demnach allein bei der Gemeinde Großpösna und beteiligten Gremien des Landkreises Leipzig. Doch in Großpösna findet keine zielführende Debatte zur Vereinbarkeit von Vorhaben und naturschutzrechtlichen Aspekten statt. Vielleicht geht es den Großpösnaer Gemeinderäten ja ähnlich wie Stadtrat Sven Morlok, der klar bekennt, er könne die naturschutzfachlichen Belange gar nicht einschätzen.

Dabei stimmt es aber so auch gar nicht, wie Sven Morlok es in der Stadtratssitzung am 15.09. darstellte, dass eine Einordnung der naturschutzfachlichen Aspekte nicht möglich sei. Immerhin lagen zum Zeitpunkt der Stadtratsdebatte die Stellungnahmen der beiden größten deutschen Naturschutzverbände BUND und NABU bereits seit 6 Wochen vor.

Auch bei anderen komplexeren Themen orientieren sich Entscheidungsträger gewöhnlich an Stellungnahmen von Experten. Warum also ausgerechnet nicht bei naturschutzfachlichen Sachverhalten? Warum schafft mensch es nicht, pro Natur mitzudenken? Weil mensch es in den letzten Jahrzehnten nicht verstanden hat, die Problematik Biotop- und Artenschwund in derartigen Gremien ausreichend mitzudenken.

Die Szenarien zum Erfolg erfordern jetzt umgehendes Handeln

Es könnte sich als kurzsichtig erweisen, wenn der Leipziger Stadtrat jetzt nicht seine Mitverantwortung für eine sichere Standortwahl wahrnimmt. Denn Standortunsicherheit bedeutet aufgrund des limitierten Förderzeitraumes auch Finanzierungsunsicherheit. Will man die Verantwortung für diese wichtigen Aspekte tatsächlich allein der kleinen Nachbargemeinde überlassen?

„Wenn das Ergebnis sein sollte, dass das so nicht geht, dann geht es so nicht. Dann muss im Prinzip ein Bauantrag geändert werden. Das ist doch ganz klar.“ So pragmatisch ist die Sache für Stadtrat Sven Morlok.

Bleibt im Sinne des SEB-Vorhabens nur zu hoffen, dass dafür dann auch noch ausreichend Zeit ist, das Vorhaben nicht am Förderzeitraum scheitert und die 22 Millionen Euro Strukturwandelmittel verfallen und die Stadt Leipzig sowie die Gemeinde Großpösna auf den Planungskosten sitzen bleiben.

Doch dann wird man nicht Beutelmeise, Blaukehlchen und Co., auch nicht den Naturschützern den schwarzen Peter zuschieben können. Dann müssten sich all jene verantworten, die jetzt nicht für Planungssicherheit gesorgt haben.

Visualisierung von Kiosk und Verwaltungsbauten auf dem geplanten Campingplatz am Störmthaler See. Quelle: SEB
Visualisierung von Kiosk und Verwaltungsbauten auf dem geplanten Campingplatz am Störmthaler See. Quelle: SEB

Und gerade in diesem Dilemma scheint es erforderlich, die möglichen Szenarien zu erfassen.

„Szenarien sind Geschichten über die Zukunft, aber ihr Zweck liegt darin, bessere Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen.“ (Ged Davis)

Mit den Stellungnahmen der Naturschutzverbände liegen nunmehr belastbare Einschätzungen vor, die eine Herleitung von verschiedenen Szenarien erlauben. Unter dem Fokus Naturschutz kann man grob vier Szenarien und Handlungsmöglichkeiten herleiten.

Szenario 1: Gemeinde Großpösna, Landkreis Leipzig und Stadt Leipzig genehmigen mit allen beteiligten Behörden und Gerichtsbarkeiten das B-Planverfahren in seiner aktuellen Form. Die Verletzungen von Naturschutz- und Bürgerbeteiligungsbelangen hätten erhebliches Ausmaß. Ein derartiges Vorgehen stellt die Integrität von administrativen Strukturen und der Inklusion infrage. Der Imageschaden für das Vorhaben wäre irreparabel.

Szenario 2: Gemeinde Großpösna und Stadt Leipzig halten an den Ansprüchen gemäß vorgestellter Vorhabenplanung fest. Behörden oder Gerichtsbarkeit erheben jedoch Einwände, mit der Folge zeitlicher Verzögerungen in der Planungsphase und Gefahr des kompletten Fördermittelverlustes für das Inklusionsprojekt (limitierter Förderzeitraum 2023-26).

Szenario 3: Rechtzeitige und umfassend deeskalierende Anpassungen der Vorhabenplanungen ‚Östlich Grunaer Bucht‘ unter Einbeziehung der Naturschutzverbände und der lokalen Naturschutzinitiative.

Szenario 4: Rechtzeitige Erwägung einer Standortalternative für den SEB-Inklusionsbetrieb, z. B. Magdeborner Halbinsel. Naturerhalt und Regenerations-/Biotopenverbundprojekt ‚Östlich Grunaer Bucht‘ mit der Option wirklich naturverträglicher Erholungsmöglichkeiten.

Szenario X: anderweitige Hindernisse, z. B. Finanzierungsdefizit, Betriebswirtschaftlichkeit, Personalsituation, Mobilitätskonzept, etc.

Aktuell befindet sich das SEB-Vorhaben geradezu auf Kurs in ein unglückliches Szenario. Handlungsmöglichkeiten zur Konfliktlösung werden derzeit zumindest am Störmthaler See nicht wahrgenommen.

Jede rechtliche Auseinandersetzung würde das SEB-Vorhaben allein durch den Zeitverzug gefährden

Interessant, dass Stadtrat Morlok in der Leipziger Ratssitzung so eindrücklich auf die zuständige Gerichtsbarkeit hinweist. In aufsteigender Instanz zählt er die Zuständigkeiten von Verwaltungsgericht über Oberverwaltungsgericht bis zum Bundesverwaltungsgericht auf. Mit welchem Hintergrund?

Denn eigentlich müsste ihm klar sein, dass das Zeitfenster für die Vorhabenumsetzung ohnehin sehr ambitioniert ist. Eine rechtliche Auseinandersetzung würde das SEB-Vorhaben schon in der untersten Instanz und sogar unabhängig von der Urteilssprechung zeitlich gefährden.

Stellt man die aktuellen Ansprüche aller Vorhabenplanungen ‚Östlich Grunaer Bucht‘ und die Einwände der Naturschutzverbände gegenüber, fällt es schwer, eine für alle Seiten geeignete Kompromisslösung zu erkennen.

Deswegen war es von der Grünen Fraktion im Stadtrat Leipzig auch nur konsequent, in Kenntnis der Stellungnahmen und Begründungen der Naturschutzverbände die Planung des SEB-Vorhabens in der aktuellen Auslegung so nicht zu unterstützten und durch die Beschlussablehnung ein Überdenken anzuregen.

„Wenn ich das alles zusammenziehe, die Stellungnahmen der Umweltverbände und die Entscheidung meiner Parteikollegen aus dem Landkreis dazu nehme, dann können wir nicht anders, als an dieser Stelle das Projekt aus diesen Gründen abzulehnen“, so Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion, zum Planungsbeschluss des Städtischen Eigenbetriebes Behindertenhilfe für das Projekt ‚Inklusiver Campingplatz am Störmthaler See‘.

Visualisierung der Tiny-Häuser auf dem künftigen Campinplatz am Störmthaler See. Quelle: SEB
Visualisierung der Tiny-Häuser auf dem künftigen Campingplatz am Störmthaler See. Quelle: SEB

In Anbetracht der konkreten naturschutzfachlichen Konfliktpunkte war es im Gegenzug kaum konstruktiv, dass Stadträtin Dr. Heymann (CDU) und Stadtrat Dr. Külow (Die Linke) mit Jahrzehnte alten Vorplanungen argumentierten und die soziale Innovation des Vorhabens anpriesen.

Dass das SEB-Vorhaben eine soziale Bereicherung sein würde, steht ja außer Frage, das betonten auch die Grünen. Dass Inklusion gegen Naturschutz ausgespielt wird, ist jedoch inakzeptabel. Deshalb braucht es entweder eine Bedürfnisreduktion oder einen geeigneteren Standort. Die Problematik und Lösungsvorschläge wurden durch die Naturschutzallianz vom Störmthaler See bereits in einem Offenen Brief an die Stadtverantwortlichen adressiert.

Es obliegt jetzt allen Beteiligten in der Stadt Leipzig, in der Gemeinde Großpösna, in den Naturschutzbehörden und auch beim Fördermittelgeber, gemeinsam Verantwortung für die Standort-/Planungssicherheit für das Inklusionsvorhaben zu übernehmen und rasch eine Lösungsstrategie zur Vermeidung von Biotop- und Artenschutzkonflikten zu entwickeln.

Orientierung gibt auch das Sächsische Biodiversitätsprogramm „Sachsens Biologische Vielfalt 2030 – Einfach machen!“, welches die Staatsregierung kürzlich beschlossen hat. „Der Zustand von Arten und Lebensräumen ist bedrohlich. Wir müssen entschlossener handeln“, so die klaren Worte des Umweltministers Wolfram Günther.

* Dr. Frank Beutner, Vorstand des UferLeben Störmthaler See e. V., der sich u. a. für die touristische Entwicklung am Störmthaler See mit Transparenz und Bürgerbeteiligung engagiert.

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