Es steht jetzt nicht mehr nur in Offenen Briefen. Es ist jetzt auch in einer öffentlichen Ratsversammlung gesagt worden. Und Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek hat durchaus recht damit, wenn er sagt, dass Stadträte nach eigenem Gewissen entscheiden. Und wenn sie sehen, dass ein Artenschutzgutachten zu einem Bauvorhaben des Städtischen Betriebes Behindertenhilfe (SEB) voller Löcher ist, können sie aus eigener Entscheidung sagen: so nicht.

Was die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat auch getan hat, als am 15. September in der Ratsversammlung die Vorlage des SEB zum „Planungsbeschluss des Städtischen Eigenbetriebes Behindertenhilfe für das Projekt ‚Inklusiver Campingplatz am Störmthaler See’“ zur Abstimmung kam.

FDP-Stadtrat Sven Morlok hat zwar sehr stringent erklärt, dass das Teil der Baugesetzgebung ist und die zuständige Gemeinde – in diesem Fall also Großpösna – klären muss, ob so ein Artenschutzgutachten ausreichend findet oder nicht akzeptiert. Aber da wäre man dann genau wieder in derselben Klemme, wie so viele Projekte im Leipziger Neuseenland: Um dann den Artenschutz doch noch durchzusetzen, müsste jemand klagen.

In der Regel ein fachkompetenter Naturschutzverband.

Was Naturschutzverbände im Neuseenland schon mehrfach getan haben in den letzten Jahren – mit einem Kostenaufwand, der normalerweise die Budgets aller Verbände übersteigt. Weshalb sie sich hüten, dergleichen jedes Mal zu machen, wenn Gemeinden im Neuseenland einfach die Artenschutzbelange ignorieren, weil es – wie CDU-Stadträtin Sabine Heymann meinte – um wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze ginge.

Wobei Jürgen Kasek nicht nur auf die fachlich kompetente Kritik des NABU am Artenschutzgutachten für den Uferstreifen am Störmthaler See und auf dem vom SEB geplanten Campingplatzgelände einging, sondern auch auf die wirtschaftliche Frage. Denn der SEB selbst hat im Grunde kein Geld übrig für Investitionen. Die 22 Millionen Euro, die für den inklusiven Campingplatz geplant sind, stammen aus dem Fonds für Strukturwandelmittel.

Ob sie überhaupt reichen für das vom SEB geplante Projekt, stellte Jürgen Kasek zumindest infrage. Und er stellte auch die Frage, wer dann eigentlich nachschießen muss, wenn das Geld nicht reicht. Genauso wie Heike Böhm aus der SPD-Fraktion. Der SEB wird es nicht können. Auch das Geld für den Kauf der ersten neun Hektar hat er von der Stadt bekommen.

Wie wirtschaftlich ist das Projekt eigentlich?

Und für den stünde auch noch eine andere Frage, so Kasek. Nämlich die der wirtschaftlichen Betätigung. Darf das ein städtischer Betrieb eigentlich, auch noch einen Campingplatz betreiben? Kasek stellte das infrage.

Eine kleine Sicherheit bei diesem durchaus großen Projekt, hatte die SPD-Fraktion beantragt: Eine Berichterstattung nach HOAI-Leistungsphase 2, also dann, wenn die Planung durch ist und sich abzeichnet, wie teuer das Projekt wirklich wird und welche Hindernisse da möglicherweise auftauchen.

Das wurde am 15. September zwar noch abgeändert, der Bericht soll nicht im Stadtrat erfolgen, sondern im Beteiligungsausschuss. Aber zumindest haben dann die Fraktionen wesentliche Informationen zu entscheiden, ob sie dem SEB-Projekt auch in einem Baubeschluss grünes Licht geben. Oder ob der dann gestoppt oder abgewandelt wird.

Wobei die Euphorie, die Volker Külow da auch für die Linksfraktion für dieses „Leuchtturmprojekt“ äußerte, eher darauf hindeutet, dass die Mehrheit des Stadtrates dieses Projekt auch noch bis zum Ende befürworten wird.

So mancher Stadtrat wohl ganz ähnlich denkend wie Sven Morlok: Von Artenschutz hat man keine fachliche Ahnung. Das überlässt man dann der Gemeinde Großpösna zu entscheiden, ob Artenschutz dem Ganzen im Wege steht oder nicht. Ob also der wertvolle Schilfgürtel am Seeufer beseitigt wird oder nicht.

Artenschutz hat noch lange nicht den Stellenwert, den er im Zeitalter des Artensterbens eigentlich haben müsste. Und zwar in jedem demokratisch gewählten Gremium.

So gesehen wurde das dann doch eine sehr erhellende Debatte, die sich da am 15. September entfaltete. Auch wenn sie mit einem deutlichen Votum für das kühne Projekt des SEB endete, dem die Ratsversammlung mit 37:15:3 Stimmen zustimmte.

Was zumindest erst einmal heißt, dass der SEB jetzt 1,4 Millionen Euro für die konkreten Planungen ausgeben kann.

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Es gibt 2 Kommentare

31 Millionen Euro für einen Campingplatz? Jetzt schon 50% mehr…
Bekanntlicherweise wird so ein Projekt in Leistungsphase 3 noch einmal teurer.
Herr, lass es Hirn regnen, statt Geld aus Fördertöpfen, welche durch Steuergelder gespeist werden!

Wie war eigentlich der Stand zum Artenschutzgutachten?
Entscheidet das die Gemeinde Großpösna ganz objektiv, welche dafür zig Millionen “über den Tisch gereicht” bekommt?
Gilt nicht ein Klimanotstand, oder mindestens ein Gebot der klimatischen Vernunft? Und dann wird an einem natürlichen Seeufer für ein Projekt gebaggert und betoniert, welches nicht benötigt wird?

Kann der Campingplatz überhaupt wirtschaftlich betrieben werden oder freut man sich dann einfach nur über eine gesponserte Immobilie?

Wie können sich mündige Bürger, die in diesem Fall auch noch gewählte Vertreter der Bürger sind, so verweigern ? Artenschutz und Naturschutz sind DIE akuten Themen der Menschheit. Die Stadt Leipzig greift hier aktiv in einen Biotop-Verbund ein, der sich in den etzten 30 Jahren entwickelt hat, weil der Mensch hier nicht, fast gar nicht eingegriffen hat. Ja das Baurecht wird durch die Gemiende Großpösna hergestellt. Aber die Bagger bestellt das SEB ! Das Prjekt an sich ist ein “Leuchtturm-Projekt” – und das kann es auch bleiben, denn auf der MAgdeborner Halbinsel, direkt nebenan, liegen alle Leitungen bereits, sind Straßen bereits gebaut, hat sich die Natur die Flächen nicht erobern können, weil Highfield, Logovida, Biergarten etc halt dort sind. Diese Alternative ist von den Planern Gemeinde und SEB und Stadt und Uni nicht untersucht worden. Diese Ignoranz ist schwer zu ertragen

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