Im Mai war sie erneut Thema im Leipziger Stadtrat: die Fluglärmkommission des Flughafens Leipzig/Halle. In beratender Funktion soll sie Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm und gegen Luftverunreinigung vorstellen und bewerten. Das Problem aus Sicht der Linksfraktion im Stadtrat: Ein Großteil der Kommission vertritt wirtschaftliche Interessen.

Neben den betroffenen Landkreisen und Gemeinden, unter anderem Leipzig, Halle und Schkeuditz, sitzen drei Fluggesellschaften sowie die Industrie- und Handelskammern (IHK) Leipzig und Halle-Dessau in der Kommission. Von den insgesamt 20 Mitgliedern, zu denen auch diverse Landesbehörden gehören, werden von der Bundesvereinigung gegen Fluglärm nur zwei Vertreter/-innen gestellt.

„Die Zusammensetzung der Fluglärmkommission bildet nach unserer Auffassung nicht die tatsächliche Betroffenheit ab“, so Enrico Stange, Referent der Linksfraktion für Wirtschaft, Arbeit, Digitales und Regionalentwicklung, auf LZ-Anfrage.

Dass die IHK, Unternehmen wie Condor und auch der Flughafen selbst vorrangig ökonomische Interessen vertreten, sei offensichtlich. Aber auch manche Gemeindevertreter sollen erklärtermaßen dem Ausbau und damit auch der Erhöhung des Flug-, also auch Start- und Landeaufkommens, zugetan sein.

„Zudem scheinen Bürgermeister betroffener Gemeinden angesichts des Umwerbens durch den Freistaat Sachsen mittels ‚Geldgeschenken‘ für Straßenneubau oder -sanierung in eine politische Interessenabwägung überzugehen, die die gesundheitliche Interessenlage in den Hintergrund drängt“, erklärt Stange gegenüber der LZ.

Das Gremium ist außerdem so zugeschnitten, dass die vom Fluglärm betroffenen Kommunen rund um den Flughafen praktisch immer in der Minderheitenposition sind, auch dann, wenn sie sich mal auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können.

Mit ihrer Beschlussvorlage im Stadtrat wollte die Linksfraktion diese Situation ändern, um einen Fokus auf die Betroffenensicht zu legen. Drei Punkte standen zur Abstimmung; zwei von ihnen wurden abgelehnt.

Das LZ Titelblatt vom Monat Juli 2022. VÖ. 29.07.2022. Foto: LZ

Es fand sich weder eine Mehrheit dafür, dass der/die Umweltamtsleiter/-in als zweite Stellvertretung für den Oberbürgermeister (OBM) in der Kommission benannt werden soll, noch für den Vorschlag, dass der OBM dafür werben soll, den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Flughafen-Initiativen in die Kommission aufzunehmen.

„Neben den Bewohnern der Anrainer-Gemeinden und der überflogenen Stadtteile in Leipzig und Halle sind auch die Mitarbeiter der am Flughafen ansässigen Unternehmen und Dienstleister vom Fluglärm betroffen, aber nicht in der Fluglärmkommission vertreten“, begründet Stange den Vorschlag, den DGB in die Kommission aufzunehmen.

Der letzte Vorschlag hingegen wurde mehrheitlich angenommen: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich in Verhandlungen mit dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) dafür einzusetzen, dass die Stimmverteilung in der Fluglärmkommission Flughafen Leipzig/Halle die Zahl der vom Fluglärm betroffenen Anrainer bzw. den Grad der Belastung der jeweiligen Gemeinde berücksichtigt.“

Das Sächsische Wirtschaftsministerium ist die oberste luftverkehrsrechtliche Genehmigungsbehörde des Freistaates Sachsen und benennt somit auch die Mitglieder der Fluglärmkommission.

„Zurzeit ist es so geregelt, dass Gemeinden mit geringer Einwohnerzahl gleich viele Stimmen haben, wie Gemeinden mit einer sehr großen Einwohnerzahl. Das bildet die tatsächlich betroffene Bevölkerung nicht realitätsnah ab“, so die Linken-Stadträtin und Sprecherin für Wirtschaft und Beschäftigung, Marianne Küng-Vildebrand. Deshalb verspreche man sich viel von der Annahme der Beschlussvorlage.

Auf LZ-Anfrage bestätigt das Wirtschaftsministerium, dass ihnen die Kritik an der Zusammensetzung des Gremiums bekannt sei. Dennoch „erfüllt die derzeitige Zusammensetzung die gesetzlichen Vorgaben des Luftverkehrsgesetzes und berücksichtigt die Interessen aller relevanten Seiten.“

Im sächsischen Koalitionsvertrag 2019 bis 2024 sei aber eine Überprüfung der Zusammensetzung in enger Abstimmung mit den betroffenen Kommunen verankert. Daher beabsichtige das Ministerium, den Fluglärmschutzbeauftragten – derzeit Jörg Puchmüller – als unabhängige Instanz mit dieser Evaluierung zu betrauen. Die Ergebnisse sollen 2023 in der Fluglärmkommission vorgestellt werden.

„Keine Stimme den Betroffenen: Kritik an wirtschaftlichen Interessen der Fluglärmkommission folgt Evaluierung“ erschien erstmals am 29. Juli 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 104 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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