Seit 2016 streiten sich Anwohner und Naturschützer mit der Gemeindeverwaltung Großpösna um den Naturerhalt in einem bisher unerschlossenen Gebiet am Störmthaler See. Der Gemeinderat Großpösna beschloss nun kürzlich in seiner öffentlichen Sitzung am 27. Juni die Bewilligung und die Auslegung des Vorentwurfes des umstrittenen Bebauungsplanes „Östlich Grunaer Bucht“.
Die Zivilgesellschaft und Träger öffentlicher Belange können nun im Zeitraum vom 11. Juli bis 12. August die Planungsvorentwürfe einsehen und Stellungnahmen dazu abgeben. Das Vorhaben steht seit Jahren in der Kritik, da die Errichtung eines Strandbades, eines universitären Natursportzentrums und eines Inklusionsbetriebes in Form eines Campingplatzes sowie deren verkehrstechnische Erschließung massive bauliche und funktionelle Eingriffe in den bestehenden Naturraum bedeuten würden.
Eine Naturschutz-Allianz aus UferLeben e.V., der NABU-Ortsgruppe und den Grünen in Großpösna hatte deshalb schon während der initialen Planungsphase versucht, über eine Grundsatzdebatte im Leipziger Stadtrat zum geplanten Inklusionsbetrieb des Städtischen Eigenbetrieb Behindertenhilfe Leipzig (SEB) und einen Offenen Brief an die Universität Leipzig zum Natursportzentrum die Eingriffe in den Naturraum abzumildern.
Biotop- und artenreicher Naturraum „Östlich Grunaer Bucht“ im regionalen Biotopverbund
Der Geltungsbereich des Bebauungsplanes umfasst immerhin 43 Hektar. Über 170 Tierarten zählt der Umweltbericht in 21 verschiedenen Biotoptypen. Streuobstwiese und Röhricht gehören nach Bundesnaturschutzgesetz und Sächsischem Naturschutzgesetz zu gesetzlich geschützten Biotoptypen.
Trotzdem soll der aktuell üppigste Röhrichtzug am ganzen See für ein Strandbad und das universitäre Natursportzentrum über die komplette Uferzone des Plangebietes gerodet werden.
Die Röhrichtvorkommen sind in Kombination mit verschiedenen anderen Biotopen wichtiger Bestandteil eines Grünzuges, der auch ein bedeutsames Bindeglied zwischen den FFH-Gebieten „Rückhaltebecken Stöhna“ und „Laubwälder östlich Leipzig“ darstellt. In Erweiterung dessen erfüllt „Östlich Grunaer Bucht“ so auch eine vernetzende Funktion für den regionalen Biotopverbund zwischen Elsteraue, Pleißeaue und dem Muldetal.
Mit der Umsetzung der Planungsvorhaben eines Strandbades und eines Natursportzentrums würden nicht nur naturschutzrechtliche Verbotstatbestände eintreten, sondern auch die Biotopvernetzung im Südraum Leipzig geschwächt. Dabei macht die Regionalplanung in Form des Braunkohleplanes zum Tagebau Espenhain aus dem Jahr 2002 explizit Vorgaben zur Sicherung von naturschutzrechtlichen und biotopvernetzenden Aspekten.
Was die Regionalplanung tatsächlich für „Östlich Grunaer Bucht“ vorsieht
Umso irreführender ist, dass die Gemeindeverwaltung ihre Planvorhaben in sehr selektiver Auslegung mit jenem Braunkohleplan selbst begründet. So versicherte Bauamtsleiter Patrick Wiederanders am Beschlusstag noch, die Grundlage der Planung eines Strandbades für überörtlichen Bedarf sei jener Braunkohleplan aus dem Jahr 2002. Dabei besagt der Braunkohleplan als Teil der Regionalplanung etwas ganz anderes:
„Der Hauptschwerpunkt für Freizeit und Erholung ist der Bereich der künftigen Magdeborner Halbinsel. Hier ist vorgesehen, ein Wassersportzentrum zu entwickeln. Dazu sollen im Ostbereich der ehemaligen Tagebauausfahrt eine internationale Ruder- und Kanuregattastrecke, südöstlich der Halbinsel ein Segelhafen und östlich der Göselaue ein Badestrand eingeordnet werden.“
Die Begrifflichkeiten haben sich etwas verändert, „östlich der Göselaue“ entspricht heute „östlich Grunaer Bucht“. Der erwähnte „Badestrand“ existiert bereits seit der behördlichen Freigabe des Störmthaler See im Jahr 2014. Der Strand erstreckt sich bereits heute über eine Länge von etwa 150 Meter, hier befindet sich auch eine Surfschule sowie eine Toiletteneinrichtung.
Zudem macht der Regionalplan sehr bewusst die begriffliche Unterscheidung zwischen „Badestrand“ und „Strandbad“ deutlich, denn ein Strandbad sieht der Regionalplan eigentlich an einer anderen Stelle am See vor.
Und um den Biotop- und Artenschutz sowie die Biotopvernetzung zu stärken, hatte der Braunkohleplan schon 2002 extra eine so genannte „Pufferzone“ zu angrenzenden Vorranggebieten Natur und Landschaft als Schwerpunkt gesetzt.
„Unter Beachtung des Aspekts der weiteren Entwicklung von naturschutzrelevanten Bereichen ist z. B. auch die Wegenetzgestaltung für den Bereich westlich des Strandbads Störmthal als so genannte ‘Pufferzone’ zum angrenzenden Vorranggebiet Natur und Landschaft als gewisser Schwerpunkt zu betrachten.“
In diesem Wortlaut verankert der Braunkohleplan ein Strandbad bei Störmthal und definiert eine natürliche Pufferzone, zwischen dem östlichsten Punkt des Störmthaler See bis in das jetzige Plangebiet „Östlich Grunaer Bucht“.
Braunkohleplan verlangt sogar Schutz wertvoller Biotope
Um den Verlust wertgebender Biotope und Arten durch Bauaktivität und Verkehr in der Bergbaufolgelandschaft zu vermeiden, empfahl der Braunkohleplan zusätzlich, „(…) die unterschiedlichen Nutzungsansprüche von Wegeführungen auf der Grundlage einer Bestandskartierung der geschützten Tier- und Pflanzenarten sowie der nach § 26 geschützten Biotope festzulegen. Dabei sind auch Revieransprüche für ausgewählte Tierarten (…) und besondere Standortseltener Pflanzen (…) zu berücksichtigen.“
Der Regionalplan gibt somit sehr klar den naturschutzfachlichen Bedürfnissen so viel Vorrang, dass tunlichst naturschutzrechtliche Verbotstatbestände zu vermeiden sind. Demnach wäre eine Lösung zu finden, welche die geschützten Röhrichtvorkommen erhält und alle naturschutzfachlichen Besonderheiten des Areales beachtet. Und das gewährleistet der aktuelle B-Planentwurf mitnichten.
Es existiert somit gar keine regionalplanerische Grundlage für die aktuell präsentierten bauplanerischen Eskalationen mit baulichen Anlagen für ein Strandbad und ein universitäres Natursportzentrum – zumindest nicht im Plangebiet „Östlich Grunaer Bucht“.
In der unterschiedlichen Lesart naturschutzrechtlicher und bauplanerischer Aspekte besteht seit 2016 der Konflikt zwischen naturverbundenen Akteuren auf der einen Seite sowie Administration und baulich proaktiver Interessenvertreter auf der anderen Seite.
Die Mär von der ökologischen Aufwertung
In der Vorstellung des Umweltberichtes hob das beauftragte Architekturbüro Knoblich die ökologische Aufwertung des Plangebietes durch das Vorhaben hervor. Die Aufwertung ergibt sich aus einer ökologischen Bilanzierung und Gegenüberstellung des Ist-Zustandes und des Plan-Zustandes.
„Aus der Differenz zwischen den Werteinheiten (WE) des Bestandes und den WE der Planung ergibt sich aus dem Vorhaben heraus eine positive Gesamtbilanz. Somit steht das Vorhaben im Einklang mit § 15 Abs. 2 BNatSchG“, urteilt der Umweltbericht und die Gemeinde Großpösna macht dabei immerhin noch ein sattes Plus von einer halben Million ökologischen Wertepunkten.
Den Aspekt der bilanzierten Aufwertung, nimmt Gemeinderat Harald Köpping in der Sitzung auf: „Wenn sie noch gesagt hätten, was sich neu ansiedelt! … Es wäre sehr überzeugend gewesen, für den Gemeinderat und auch für kritische Stimmen, wenn sie das in diesem Zusammenhang dargestellt hätten.”
Worauf Susanne Mühlner, Fachbereichsleiterin Umweltplanung im Büro Knoblich, eher zurückhaltend antwortet: „Völlig neue Arten erwarte ich jetzt ehrlich gesagt nicht. Aber wichtig ist, dass diese Arten dableiben und nicht völlig verschwinden.”
Daraufhin klinkt sich Bürgermeisterin Dr. Gabriela Lantzsch mit einer erstaunlichen Aussage ein. So hätten Kartierungen in Zusammenhang mit einem anderen B-Planverfahren am See (Grunaer Bucht 2011, Ferienressort Lagovida) ergeben, dass in einer Nachverfolgung und nach Umsetzung des Vorhabens Lagovida mehr Arten gefunden wurden als zum Ausgangszeitpunkt.
Die veröffentlichten artenschutzfachlichen Kartierungen zum B-Planverfahren Grunaer Bucht besagen in Wirklichkeit das ganze Gegenteil. Von 2010 zu 2017 war ein Rückgang der Vogelarten um 42% und ein Rückgang der Amphibienarten um 63% im Plangebiet Grunaer Bucht zu verzeichnen.
Was sind also die Hintergründe für diese doch sehr beeinflussende (Fehl-)Information im unmittelbaren Vorfeld einer Abstimmung? Auf Nachfrage gibt die Bürgermeisterin drei Wochen später an, ihre Aussage bezöge sich nur auf einen ausgewählten Bereich des Planbereiches. Jedoch bietet die von ihr angegebene Quelle auch dafür keine Grundlage.
Und auch wenn Gemeinderat Matthias Vialon (Die Grünen) die ökologischen Konsequenzen des Vorhabens nachfolgend noch klar kritisch einordnete, durch den „Unbedenklichkeitsnachweis“ der Bürgermeisterin waren dann offensichtlich auch die letzten Zweifel ausgeräumt. Mit einer Gegenstimme wurde die Bewilligung des Vorentwurfes zum B-Planverfahren „Östlich Grunaer Bucht“ beschlossen.
Naturschutz-Allianz beklagt Irreführung der Öffentlichkeit im B-Planverfahren
Auch wenn der Großteil des Gemeinderates hinter den Vorhaben „Östlich Grunaer Bucht“ steht, die Ungereimtheiten werden mit zunehmender Detailtiefe immer offensichtlicher und die Gemeindeverwaltung trägt mit irreführenden Aussagen noch dazu bei.
Warum positionierten die Bürgermeisterin und der Bauamtsleiter zwei nicht unbedeutende Fehlinformationen direkt vor der Abstimmung zur Bewilligung und Auslegung des Planungsvorentwurfes? Können die Lesarten von Regionalplanung, naturschutzrechtlichen Vorgaben und naturschutzfachlichen Berichten so unterschiedlich sein? Auf welche Informationen können sich Gemeinderäte in ihrem Abwägungsprozess verlassen?
Innerhalb des aktuellen Auslegungszeitraum könne man nun noch bis 12. August eine Stellungnahme zum B-Plan-Vorentwurf abgeben und hier Hinweise förmlich ins Verfahren einbringen, erläutert Großpösnas Bauamtsleiter Patrick Wiederanders nüchtern die formalen Prozessschritte der frühzeitigen Beteiligung.
In der Entwurfserstellung würde sich mit allen eingegangenen Stellungnahmen dann fachlich auseinandergesetzt und ggf. Ergänzungen und Anpassungen in den Unterlagen vorgenommen.
„Schon der Planungsentwurf ist unvereinbar mit der Regionalplanung und geltendem Naturschutzrecht. Der Entwurf hätte so nicht bewilligt werden sollen, das widerspricht auch den aktuellen Erkenntnissen zum Biotop- und Artenschwund“, äußert sich Matthias Vialon enttäuscht über das Abstimmungsverhalten seiner Gemeinderatskollegen.
Naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme am Störmthaler See seit 10 Jahren nicht umgesetzt
In der Beschwichtigung des Konfliktes verweist die Gemeindeverwaltung auch immer wieder auf Ersatzmaßnahmen, durch die naturschutzrechtliche Verbotstatbestände kompensiert würden. Wer die Ersatzmaßnahmen in dem bisher einzigen anderen B-Planverfahren am Störmthaler See, BPL Grunaer Bucht 2011 für das Ferienressort Lagovida, genauer betrachtet, wird erschrecken.
Die Ersatzmaßnahmen in drei größeren Arealen, die kumulativ immerhin ca. 10 Hektar Fläche umfassen, wurden weder vorgabengerecht hergestellt, noch gepflegt. Auch haben ganz offensichtlich keine Kontrollen stattgefunden, sonst wären die mit Offenlandpflege beauflagten Ersatzgebiete heute nicht größtenteils verbuscht oder bewaldet.
Seit November 2021 versuchte die Gemeinderätin Susann Christoph (Die Grünen) die Hintergründe und Verantwortlichkeiten für die Ersatzmaßnahmen (M8-1, M8-2 und M10) in Erfahrung zu bringen.
„Es ist in diesem Zeitraum nicht gelungen, zu eruieren, warum die Maßnahmen nicht umgesetzt wurden und vor allem wer hier welche Verantwortlichkeit in Herstellung, Pflege und Kontrolle innehat“, kritisiert Christoph die Intransparenz.
„Ferner gibt es offensichtlich kein übergreifendes Kataster zu Ausgleichsmaßnahmen, deren Umsetzung und vor allem Wirksamkeit von Ersatzhabitaten auf Ebene des Landkreises, sodass von einer relativen Planungslosigkeit der Unteren Naturschutzbehörde mit Blick auf strategisch gesteuerte Naturschutzarbeit auszugehen ist.“
Ist es die Aufgabe der Zivilgesellschaft, sich um die Umsetzung und Kontrolle von naturschutzrechtlichen Vorgaben zu kümmern? Warum bekommt man trotz Anfragen nach Umweltinformationsgesetz von der Kommunalverwaltung und Naturschutzbehörde keine aufklärende Antwort?
Und was ist die Konsequenz – soll die Zivilgesellschaft im Sinne des Naturschutzes „Anzeige gegen Unbekannt“ und damit wahrscheinlich gegen die eigene Administration erstatten? Ist es nicht vielmehr eine administrative oder staatliche Aufgabe hier das Vertrauen wieder herzustellen, anstatt zu negieren und verschleiern.
Einige Menschen werden nun einen Teil ihrer Sommerferien opfern, um für das öffentliche Beteiligungsverfahren die entsprechenden Informationen für die Stellungnahmen zusammenzutragen und zu formulieren. In der überwiegend ehrenamtlichen Arbeit sind diese naturverbundenen Menschen in ihrer effektiven Wirksamkeit gegenüber den baulich proaktiven Interessengruppen klar benachteiligt.
Dr. Frank Beutner, Vorstand des UferLeben Störmthaler See e. V., der sich u. a. für die touristische Entwicklung am Störmthaler See mit Transparenz und Bürgerbeteiligung engagiert.
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