Mit großem Bohei fand vom 30. Mai bis zum 2. Juni in Leipzig die World Canals Conference (WCC) in Leipzig statt. Und dort wurde natürlich auch wieder die Vision einer mit Leuchtturmprojekten gespickten Gewässerlandschaft Mitteldeutschland ausgemalt. Mittendrin der Elster-Saale-Kanal als Verbindungsstück. Was Matthias Malok und Tobias Degner schon im Mai dazu brachte, eine Einwohneranfrage zu stellen.
Denn während noch vor zehn Jahren großspurig mit Zahlen und Investitionskosten für den Weiterbau des Kanals bis zur Saale und den Bau eines großen Schau-Hebewerks hantiert wurde, ist es seitdem still geworden um dieses Projekt, das es unter 100 Millionen Euro nicht geben wird. Nur wird der Bund dieses Geld nicht ausgeben, auch wenn der Kanal eine Bundeswasserstraße ist, denn wirtschaftlich spielt das Bauwerk als Wasserstraße keine Rolle. Bestenfalls könnte es ein paar Besitzer von Motorbooten anlocken, die hier den Weg ins Neuseenland suchen.
Kritik: Kanalausbau ohne nachweisbare Bedeutung
„Innerhalb des WCC-Tagungsprogramms wird mehrfach der unvollendete Saale-Leipzig-Kanal mit dem Ziel einer Vollendung und ausschließlich einer touristischen Nutzung thematisiert“, hatten Degner und Malok festgestellt.
„Aus den bisherigen Veröffentlichungen ist bekannt, dass die Bootsjachten bis zur geplanten Marina Lindenauer Hafen fahren dürfen. Die Bootseigner sollen danach mit gewässerangepassten Motorboten das Leipziger Neuseenland erkunden. Zu diesen Visionen wird es weiterhin unterschiedliche Meinungen, auch zur Wirtschaftlichkeit geben.“
Meinungen wird es sicher ganz viele geben. Aber alle bislang vorgelegten Pläne konnten nicht belegen, dass dieser Kanalausbau irgendeine wirtschaftliche Relevanz hat. Auch keine touristische. Die einzige Potenzialanalyse dazu stammt aus dem Jahr 2011 und hat mit einer fiktiven Motorbootausstattung gearbeitet, die es so in der mitteldeutschen Region überhaupt nicht gibt.
Daran hat sich auch 2019 nichts geändert, als OBM Burkhard Jung den Kanalausbau tatsächlich mit unter die Projekte einreihte, die Leipzig für den Strukturwandel nach der Kohle angemeldet hat.
Traumhafte Zahlen
Aber die aufgeblähten Boots-Zahlen waren dann für Degner und Malok Anlass, die Stadt anzufragen, ob man dann die vielen Boote etwa der Berliner Freizeitskipper über organisierte Transportrouten über die Autobahn von der Saale ins Neuseeland bringen könnte.
Da konnte dann auch die Stadt nur noch trocken antworten: „Da sich die Stadt Leipzig – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Klimanotstandes – für umweltfreundliche Antriebe auf den Gewässern einsetzt, stellt ein zusätzliches ‚Produzieren‘ von KfZ- oder Lkw-Verkehr für den Transport von Booten derzeit keine favorisierte Lösung dar.“
Aber das genügte Matthias Malok nicht. Denn für ihn ist klar: „Unstrittig ist, dass eine wassertouristische Aufwertung der Neuseenlandschaft in Sachsen und Sachsen-Anhalt kurzfristig anzustreben, sinnvoll erscheint.“
Doch genau das ist strittig. Mit den zunehmenden Folgen des Klimawandels erst recht.
Aber Malok wollte es wissen und stellte also eine neue Anfrage: „Wie soll eine wassertouristische Aufwertung der Neuseenlandschaften in Sachsen und Sachsen-Anhalt erfolgen? Bitte jeweils zu den betreffenden Seen einzeln mitteilen.“
Dass die Ausbaupläne im gesamten Gewässersystem stocken, kaschiert das Amt für Stadtgrün und Gewässer in seiner Antwort: „Aus der Bergbaufolgelandschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten das Leipziger Neuseenland als beliebter Erholungs- und Freizeitort für Einheimische und Touristen entwickelt. Durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen vieler Akteure wurde bereits viel erreicht und konnten zahlreiche wassertouristische Infrastrukturmaßnahmen (z. B. Schleusen Cospuden und Connewitz, Kanuparkschleuse, Marinas an den Bergbaufolgeseen, diverse Steganlagen) umgesetzt werden.“
Lauter Kanalprobleme im Neuseenland
Das liegt alles schon Jahre zurück. Gebaut wird aktuell der Stadthafen Leipzig, von dem man einst hoffte, ein Privatinvestor würde hier goldene Verdienstmöglichkeiten sehen. Doch Privatinvestoren haben dankend abgewinkt. Noch viel größer ist die Verzögerung beim Durchstich vom Lindenauer Hafen zum Elster-Saale-Kanal. Hier sollte schon ab 2003 geplant werden. Erst im Februar war das Thema im Leipziger Stadtrat.
Und natürlich wird das teuer.
Auch Leipzigs Wasserämter tun gern so, als würde man einfach nur ein paar Fördergelder abrufen müssen und schon könne man sich seine kühnen Träume von einer neuen Seenlandschaft mit lauter Marinas und Kanälen verwirklichen.
„Um die Aktivitäten konzeptionell zu untersetzen, wurde von 2013 – 2014 in einem umfassenden länderübergreifenden Kooperationsprozess das Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum (kurz: TWGK) entwickelt. Für eine Gebietskulisse von über 6.500 km² wurde mit dem TWGK ein Masterplan mit der Perspektive 2030 erarbeitet, dessen Kern insgesamt zehn Leuchtturmprojekte bilden“, teilt das Amt für Stadtgrün und Gewässer mit.
„Aufgrund des enormen inhaltlichen Umfangs und ausgedehnten Untersuchungsraumes des TWGK ist eine Vorstellung der Einzelprojekte mit dieser Beantwortung nicht möglich. Allerdings kann das TWGK als Lang- und Kurzfassung kostenfrei auf der Webseite des Grünen Ringes Leipzig heruntergeladen werden.“
Was für ein vages Konstrukt dieses TWGK tatsächlich ist, merkt man spätestens, wenn man nach den zugrunde liegenden Zahlen für die darin aufgezeichneten Wassertourismus-Visionen sucht.
Und die stecken in einem einzigen Satz: „Im Übernachtungstourismus ist – aufgrund der bisherigen Gesamtentwicklung der Übernachtungszahlen – in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mit Steigerungsraten zwischen 50 und 100 % zu rechnen. Diese antizipierte Entwicklung ist allerdings nur teilweise auf die Umsetzung wassertouristischer Projekte zurückzuführen: Es wird ein Anteil von ca. 30 % an den erwarteten Erfolgssteigerungen angenommen.“
Wer so in Mathearbeiten in der Schule argumentiert, bekommt eine sichere 6.
Was sind „Erfolgssteigerungen“? Geht es hier um Umsatz oder Übernachtungszahlen? Wer nach Details sucht, worauf sich diese vollmundigen 30 Prozent beziehen, wird nicht fündig. Das ganze TWGK ist auf einer luftigen Annahme gebaut.
Wassertourismus auf Bergbaugrund
Aber das Amt für Stadtgrün und Gewässer ist sich sicher: „Eine Herausforderung in der Umsetzung des TWGK liegt im interkommunalen Charakter des Konzeptpapiers. Planungen über kommunale Grenzen und Landkreisgrenzen hinweg und/oder länderübergreifende Planungen sind bisher kein Standard. Die Verantwortung für die Umsetzung der Einzelprojekte liegt grundsätzlich immer bei den jeweiligen Gebietskörperschaften, sofern die Gewässer bereits aus dem Bergrecht entlassen wurden.
Bis dahin ist die LMBV für die Sanierung der Braunkohletagebaue und deren Vorbereitung für die Folgenutzungen zuständig. – Aus den genannten Gründen ist eine Beantwortung Ihrer Nachfrage zu den ‚betreffenden Seen einzeln‘ in Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht möglich. Für weitere Details werden Anfragen an die jeweils zuständigen Kommunen und Landkreise empfohlen.“
All die Konzepte in der mitteldeutschen Gewässerlandschaft stecken gerade in einem gewaltigen Korrekturprozess. Denn nicht einmal das, was beschlossen ist, ist so umsetzbar wie geplant.
Dass man in der alten Bergbaufolgelandschaft nicht einfach Kanäle bauen kann, ohne mit heftigen Komplikationen rechnen zu müssen, wurde 2021 für alle sichtbar, als die Kanuparkschleuse zwischen Markkleeberger und Störmthaler See gesperrt werden musste.
Und dasselbe Problem kommt auf die „relevanten Maßnahmen, die die Gemarkung der Stadt Leipzig berühren“ zu, die das Amt für Stadtgrün und Gewässer für Matthias Malok auflistet.
„Harthkanal (Projektträgerschaft: LMBV): Der Harthkanal zwischen dem Zwenkauer und dem Cospudener See bildet eine wasserwirtschaftliche und wassertouristische Schlüsselmaßnahme für die Region, bei der eine Funktionsbündelung von Ãœberschusswasserableitung aus dem Zwenkauer See, Hochwasserentlastung zur Entleerung der Restlamelle im Zwenkauer See und schiffbarer Verbindung mit Schleuse im Zuge des Kurses 1 bis zum zukünftigen Leipziger Stadthafen angestrebt wird. – Aufgrund der Konsequenzen des Hochwassers vom Juni 2013, unerwartet schwieriger Baugrundverhältnisse und des Grundwasserchemismus hat sich die Umsetzung des seit 2011 vorangetriebenen Vorhabens stark verzögert. Aus heutiger Sicht ist keine verlässliche Prognose möglich, wann die Umsetzung erfolgt.“
Die Kosten für den ursprünglich ganz touristisch geplanten Kanal sind von ursprünglich 10 Millionen Euro mittlerweile auf prognostizierte 150 Millionen Euro gestiegen.
Vor 2030 wird also niemand vom Cospudener zum Zwenkauer See paddeln oder schippern können. In einem ähnlichen Dilemma steckt die sogenannte „Markkleeberger Wasserschlange“, mit der die Bootsfahrt von der Pleiße zum Markkleeberger See ermöglicht werden soll.
Wassertourismus statt Naherholung
Wobei den meisten Leipzigern all diese teuren Wasserprojekte ziemlich egal sind. Sie wollen sich an den Gewässern eigentlich nur erholen – baden, angeln, radeln, paddeln. Dazu braucht es all die teuren Bauwerke nicht. Und auch keinen Wassertourismus.
Aber den will die Stadt unbedingt und treibt auch die Planungen für das Nordufer des Zwenkauer Sees voran, das der Stadt Leipzig gehört und in der Projektträgerschaft Zweckverband „Neue Harth“ ist.
„Mit 970 ha Wasserfläche ist der Zwenkauer See das größte Gewässer im südlichen Teil des Leipziger Neuseenlandes. Neben der Entwicklung des Kap Zwenkaus am Südufer des Sees, ist das Nordufer eindeutiger Entwicklungsschwerpunkt des Zwenkauer Sees. Mit der Ausstattung der Bundesautobahnanschlussstelle der A 38 ‚Neue Harth‘, der südwestlichen Blickrichtung über die breiteste Stelle des Sees, dem ausgezeichneten Radwegenetz, der Nachbarschaft zum Freizeitpark Belantis und der Nähe zur Stadt Leipzig verfügt das gemeinsame Nordufer der Städte Leipzig und Zwenkau über ideale Entwicklungsvoraussetzungen für eine touristische Entwicklung“, schwärmt das Amt für Stadtgrün und Gewässer.
„Das Nordufer Zwenkauer See soll zu einem touristischen Nah- und Fernerholungsziel entwickelt werden. Hierzu wurde der Masterplan Neue Harth 2015 erstellt. Der zuständige Zweckverband Planung und Erschließung ‚Neue Harth‘ arbeitet derzeit am Bebauungsplanverfahren zum Bebauungsplan ‚Neue Harth – Süd‘ aufzunehmen.“
Genauso plant aber auch die Stadt Markkleeberg am Ostufer des Markkeeberger Sees. Und auch Großpösna plant so am Südufer des Störmthaler Sees.
Die Seen, die eigentlich von den Bewohnern des Neuseenlands zur Naherholung gewünscht werden, werden so systematisch mit Hotels und Ferienhaussiedlungen zugepflastert.
Naherholung kostet viel weniger
Ein bisschen Vernunft zieht immer nur dann ein, wenn absehbar ist, dass es auf Jahrzehnte kein Fördergeld von Bund oder Land geben wird – wie am Elster-Saale-Kanal. Da reicht die zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes nämlich nur Geld für den Bau eines Radweges aus. Womit der unvollendete Kanal tatsächlich sinnvoll erschlossen wird.
„In Zusammenarbeit mit den Städten Schkeuditz und Leuna plant die Stadt Leipzig den radverkehrstauglichen Ausbau des Betriebsweges der WSA entlang des gefluteten Abschnittes des Saale-Leipzig-Kanals auf einer Länge von 11,4 km (sog. 1. Teilbauabschnitt)“, schreibt das Amt für Stadtgrün und Gewässer.
„Diese Maßnahme ging als Schlüsselprojekt aus dem Konzept zur Inwertsetzung des Saale-Leipzig-Kanals von 2019 hervor (ebenfalls über die Homepage des Grünen Ringes Leipzig downloadbar). Die Fertigstellung des Radweges soll bis 2025 erfolgen.“
Am 15. Juni hatte Matthias Malok dann trotzdem noch ein paar Nachfragen in der Ratsversammlung, weil ihm nicht so recht klar war, wo denn nun die Bundesschifffahrtsstraße Elster-Saale-Kanal endet und die Bootseigner ihren Kahn vertäuen müssen, um mit „gewässerangepassten Booten“ im Leipziger Gewässerknoten weiterfahren zu können. Als wenn das in den nächsten 10, 20 Jahren überhaupt ein relevantes Problem werden könnte. Weder gibt es einen Zeitpunkt, wann der Kanaldurchstich stattfinden soll, noch gibt es auch nur vage Pläne für die Marina am Lindenauer Hafen.
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