Die Vorstöße, die Bergbaufolgeseen im Leipziger Südraum mit immer mehr touristischen Attraktionen zu bestücken, hören nicht auf. Selbst jene Uferstreifen, auf denen sich in den vergangenen 20 Jahren ein reiches Tier- und Pflanzenleben angesiedelt hat, sollen wieder beseitigt und mit touristischen Nutzungen bebaut werden. So auch am Störmthaler See, wo jetzt selbst die Uni Leipzig eine unrühmliche Rolle spielt.
Denn nach Aussagen der Gemeindeverwaltung Großpösna plant die Universität Leipzig am Störmthaler See ein neues Wassersportzentrum als Ersatz für ihre bisherige Einrichtung am Kulkwitzer See. Der Fokus bei der Standortwahl lag offensichtlich allein auf der wassersportlichen Eignung, denn mögliche naturschutzfachliche Einschränkungen scheinen hier weder für die Universität noch für die Gemeinde Großpösna eine Rolle zu spielen.
Ein von Zerstörung bedrohtes Biotop
Dabei hat sich der Standort – und das war durchaus vorhersehbar – zu einem Hotspot an geschützten Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Die Artenerfassung „Östlich Grunaer Bucht“ im Jahr 2021 ergab insgesamt 98 Vogelarten, 12 Fledermausarten, diverse Amphibien und Reptilien, 21 Tagfalter- und 8 tagaktive Nachtfalterarten sowie 12 Libellenarten, viele davon mit besonderem oder strengem Schutzstatus.
Dabei ist es eines der artenreichsten Reviere im Leipziger Neuseenland und genau einer jener Hotspots des Artenreichtums, die dringend erhalten werden müssen, wenn wir das Artensterben in unseren Breiten überhaupt noch aufhalten wollen.
Aufgrund der besonders üppigen Röhrichtvorkommen in Kombination mit einem Weidenzug und anliegender Trockenwiesen haben sich „Östlich Grunaer Bucht“ auch extrem seltene Blaukehlchen und die vom Aussterben bedrohten Beutelmeisen angesiedelt.
Letztere tauchen in der offiziellen Dokumentation zu Artenerfassung 2021 nicht einmal auf, sind jedoch durch einen Nestfund aus dem Jahr 2020 belegt. Dies wiederum zeigt, dass gerade besonders seltene und schützenswerte Arten eben mitunter nicht sicher durch eine professionelle Artenerhebung erfasst werden.
Ein Offener Brief
Weshalb das lokale Naturschutz-Bündnis aus UferLeben, NABU und Die Grünen am 22. Mai einen Offenen Brief an die Universität Leipzig geschrieben hat, auf den es bis heute noch keine Antwort gab.
Das Bündnis aus UferLeben Störmthaler See e.V., der NABU Ortsgruppe und den Grünen im Gemeinderat Großpösna konfrontierte die Universität Leipzig am 22. Mai mit seinem Offenen Brief mit der aktuellen naturschutzfachlichen Sachlage in Bezug auf das laufende Bauplanungsverfahren.
Im Offenen Brief bitten die Unterzeichner die Universität einerseits um eine Neubewertung der Standortwahl in Kenntnis der naturschutzfachlichen Besonderheiten und zum anderen um eine wissenschaftliche Evaluation naturschutzfachlicher/-rechtlicher Besonderheiten in der Entwicklung der Bergbaufolgelandschaften im Leipziger Neuseenland.
Da sich die Universität bisher vor Ort noch gar nicht an der Information der Öffentlichkeit beteiligt hatte, werden Anwohner und Naturverbände wohl erst zur zeitnah anstehenden Auslegung des B-Planentwurfes eine erste Vorstellung vom neuen universitären Wassersportzentrum und deren Folgen für die Uferzone bekommen.
Warum nicht auf der Magdeborner Halbinsel?
Ein Lageplan der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) zur Erschließung „Östlich Grunaer Bucht“ (Vorplanung Stand 06/2021) suggeriert zumindest, dass ein 400 bis 500 Meter naturschutzrechtlich geschützter Röhrichtzug den Erschließungsmaßnahmen zum Opfer fallen würde. Ein nicht unerheblicher und besonders zentraler Anteil würde dabei zulasten des universitären Wassersportzentrums gehen.
Und die Gemeinde Großpösna denkt gar nicht daran, die Planungen für diesen artenreiche Uferstreifen zu beenden.
In der Beschlussvorlage für den Technischen Ausschuss der Gemeinde am 7. Juni heißt es dazu: „Die Fläche östlich der Grunaer Bucht soll als Sondergebiet für Erholungszwecke entwickelt werden. Teilprojekte dabei sind die planungsrechtliche Sicherung einer Surfschule, die planungsrechtliche Vorbereitung eines Öffentlichen Strandes (mit Servicestation und Wasserrettung), weiterhin eines Natursportzentrums (Schulungs- und Lagerräume sowie Steganlagen der Sportwissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig) sowie eines Inklusionscampingplatzes (mit zentraler Versorgungseinheit, Veranstaltungsräumen, Rezeption, Eingliederungshilfe des SEB sowie ein Therapiegarten).“
Dass hier ein wertvolles Biotop beseitigt werden soll, wird gar nicht erst erwähnt.
„Gemeinsam mit den beiden Investoren Städtischer Eigenbetrieb Behindertenhilfe (SEB) sowie dem Sächsischen Bau- und Immobilienmanagement (SIB) wurde die vorliegende Planung von der Gemeindeverwaltung entwickelt und dabei fortlaufend durch den Projektbeirat begleitet“, heißt es weiter.
„Der ausgearbeitete Stand vom Vorentwurf soll in der nächsten Gemeinderatssitzung gebilligt und zur Auslegung beschlossen werden. Der Vorentwurf dient als Grundlage für die durchzuführende frühzeitige Unterrichtung und Erörterung mit der Öffentlichkeit gemäß § 3 Abs. 1 BauGB und der frühzeitigen Beteiligung der Behörden gem. § 4 Abs. 1 BauGB. Der Bebauungsplan ist aus dem wirksamen Flächennutzungsplan der Gemeinde Großpösna entwickelt.“
Wozu forscht die Uni Leipzig eigentlich zur Biodiversität?
Das Naturschutz-Bündnis hat seinen Offenen Brief an das Rektorat der Uni Leipzig, die sportwissenschaftliche Fakultät, die Fakultät für Lebenswissenschaften, den Student/-innenRat, die AG Nachhaltige Universität und den Facharbeitskreis Bildung für nachhaltige Entwicklung adressiert.
Der Offene Brief zitiert auch eine 15-jährige Anwohnerin, die sich bereits in der Schule mit Naturschutz auseinandergesetzt hat: „Wenn irgendwo Lebewesen wohnen, die so selten sind, darf der Mensch sie nicht vertreiben. Dann scheint es selbstverständlich, ihren Lebensraum zu schützen und zu erforschen, anstatt ihn zu zerstören.“
Dabei dürfte sich besonders das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und das Cluster Biodiversity, Ecology and Evolution (C-BEE) für die Entwicklung „Östlich Grunaer Bucht“ interessieren.
„Das zentrale Problem bei der Erfassung biologischer Vielfalt ist, dass wir noch sehr viel Arbeit vor uns haben. Und während wir inventarisieren, werden gleichzeitig schon die Regale leergeräumt“, wird iDiv-Sprecher Prof. Christian Wirth auf der iDiv-Homepage zitiert.
Ein erstaunliches Zitat. Denn am Störmthaler See sollen – gleich mit zwei Leipziger Partnern – „die Regale leergeräumt werden“.
Weiß an der Uni Leipzig die eine Hand nicht, was die andere gerade zerstört?
„Wir sind der Überzeugung, dass die Universität eine naturschutzgerechte Abwägung vornehmen wird. Eine Verbesserung des Biotop- und Artenschutzes ist durch die wissenschaftliche Ausrichtung und die Erkenntnisse der Universität selbst begründet. Es scheint daher ziemlich abwegig, dass eine renommierte wissenschaftliche Einrichtung wie die Universität Leipzig die Lebensraumzerstörung von streng geschützten Arten mitverantwortet, zumal wenn Alternativstandorte zur Verfügung stehen“, zeigt sich Dr. Frank Beutner vom Verein UferLeben e. V. zuversichtlich, dass die Standortfrage noch einmal auf den Prüfstand kommt.
Der Regionalplan Westsachsen empfiehlt Magdeborner Halbinsel für Sport und Erholung
Einen Alternativstandort gibt es ja tatsächlich am Störmthaler See auf der in unmittelbarer Nähe gelegenen Magdeborner Halbinsel. Dort, wo der Regionalplan Westsachsen ohnehin die wassersportliche Verankerung vorgesehen hatte und bereits grundlegende Erschließungsmaßnahmen durch die Gemeindeverwaltung vorgenommen wurden.
Völlig offen ist, welche Gremien der Universität bisher überhaupt neben der sportwissenschaftlichen Fakultät in die Planung einbezogen wurden. Die AG Nachhaltige Universität, der Facharbeitskreis BNE, die Fakultät für Lebenswissenschaften, das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und das Cluster Biodiversity, Ecology and Evolution (C-BEE) hätten möglicherweise von vornherein eine andere Abwägung zwischen Eigeninteressen und Naturschutz getroffen.
Die Zeitspanne zur Auseinandersetzung mit der Sachlage ist nun denkbar kurz. Im Technischen Ausschuss der Gemeinde Großpösna soll schon in der nächsten Sitzung am 7. Juni die Empfehlung an den Gemeinderat erarbeitet werden, den Vorentwurf des Bebauungsplans „Östlich Grunaer Bucht“ zu billigen und die öffentliche Auslegung zu beschließen.
Dann hätten Behörden und sonstige Träger öffentlicher Belange die Möglichkeit, sich nach dem voraussichtlichen Gemeinderatsbeschluss am 27. Juni innerhalb von vier Wochen zu beteiligen.
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Das Theater und die Begehrlichkeiten der Seenlandschaft treibt immer schlimmere Blüten, die auch noch von der (pseudo)lokalen Presse angeheizt werden.
Heute kann man im Wirtschaftsparteiblatt online einen Kampfbericht und zugehörigen Kommentar pro touristischer Nutzung, für private Investoren und gegen die Natur (Gezerre um den Eisvogel) lesen, der mich ernsthaft vor die Frage stellt, ob die ganze Bürgerschaft von diesem Medium verarxxxt werden soll. Man “bräuchte wieder visionäre Entscheider wie in den 90er Jahren” – ein Lacher und eine Tragödie schlechthin.
Wie soll die Lebensqualität höher werden, wenn nur noch Touristen nach Leipzig kommen?