Für die meisten Bewohner der Region Mitteldeutschland hat der Strukturwandel zum Kohleausstieg noch gar nicht begonnen. Nirgendwo ist ein Projekt zu besichtigen, mit dem die künftige Wirtschaftsstruktur der Region Gestalt annimmt, während seit Wochen alle Medien mit Nachrichten über saftig steigende Energiekosten gefüllt sind. Die aber haben nichts mit der Energiewende zu tun. Und trotzdem schüren sie die Angst vor Atom- und Kohleausstieg. Was bekommt die Region Mitteldeutschland also, wenn sie in sie einer Situation die Menschen in der Region befragt?
Irgendeine belastbare Aussage darüber, wie die Bevölkerung im Mitteldeutschen Revier die Zukunft der Energieregion sieht, garantiert nicht. Aber eine Bestätigung für die völlig falsche Überschrift „Steigende Energiekosten belasten Akzeptanz der Energiewende.“„Eine Mehrheit der Bevölkerung im Mitteldeutschen Revier befürwortet weiterhin die Energiewende und den Kohleausstieg. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zustimmung aufgrund der steigenden Energiepreise allerdings deutlich gesunken, so das Ergebnis des zum zweiten Mal erhobenen ‚Mitteldeutschland-Monitors‘“, fasst die Metropolregion Mitteldeutschland Management GmbH das zusammen, was in der jüngsten Befragung im November herausgekommen ist.
„Trotz der grundsätzlichen Zustimmung zur Energiewende und einer hohen Akzeptanz für Erneuerbare Energien wird die konkrete Ausgestaltung des Strukturwandels deutlich kritischer bewertet als im Vorjahr. Insbesondere die steigenden Kosten für Energie und Mobilität sorgen für eine zunehmende Unzufriedenheit“, erklärt Werner Bohnenschäfer, Leiter des Projektes „Innovationsregion Mitteldeutschland“ bei der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland.
„Für die langfristige Akzeptanz der Energiewende wird es daher notwendig sein, den Klimaschutz stärker als bisher unter Gesichtspunkten der sozialen Ausgewogenheit und des effizienten Ressourceneinsatzes zu diskutieren.“
Eine Einschätzung, die man nicht teilen muss. Denn das Problem liegt ganz woanders – in Sachsen-Anhalt genauso wie in Sachsen und dem kleinen Zipfel Thüringen, der auch noch zum Revier gehört. Denn wie schon im Jahr 2020 sagten 75 Prozent der Befragten: „Man braucht zur Entwicklung der Region eine starke Vision.“
Es gibt nämlich keine. Jedes Bundesland wurstelt für sich vor sich hin, die Gelder fließen in lauter Wünsch-dir-was-Projekte, von denen überhaupt nicht klar ist, was sie zum Strukturwandel beitragen und was dieser Strukturwandel eigentlich ist. Und da ist eigentlich die Einschätzung interessant, wie die Menschen die Arbeit der Politik in Bezug auf den Kohleausstieg bewerten. Haben 2020 noch 73 Prozent der Befragten gesagt, die Politik habe zu wenig getan, waren es 2021 schon 77 Prozent.
Strukturwandel im Schneckentempo
Was ja logisch ist. Die Mehrheit sieht zwar eindeutig Solarenergie und Windkraft als die Lösungsansätze für die Energiewende. Aber genau da haben sämtliche Merkel-Regierungen seit 2005 gebremst. Und die Landesregierungen haben sich ebenfalls als Bremser gezeigt, sodass die Region im Jahr 2021 nicht mal an dem Punkt stand, dass die neuen Energiestrukturen belastbar und sichtbar in der Gegend standen.
Da ist dann die Frage: Steckt eigentlich ein großes Misstrauen hinter den Antworten der Befragten zur Energiewende? Denn wenn der Kohleausstieg kommt, ohne dass belastbare alternative Strukturen stehen, wird es nicht nur in der Bergbauregion hart.
81 Prozent der Befragten fühlen sich übrigens mittelmäßig bis schlecht über den Strukturwandel in der Region informiert. Die Zufriedenheit hat gegenüber 2020 sogar noch abgenommen.
Das Regionenmarketing vermutet, dass die Zustimmung zur Energiewende abgenommen hat.
Das formuliert es so: „Laut der repräsentativen Online-Befragung befürwortet mit 55 Prozent der im Mitteldeutschen Revier lebenden Menschen weiter eine Mehrheit die Energiewende. Allerdings sank die Zahl gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Beurteilung des Kohleausstiegs.
Während 48 Prozent der Befragten der Entscheidung der Bundesregierung weiterhin zustimmen (Vorjahr: 56 Prozent), stieg die Zahl der Gegner deutlich von 29 Prozent auf nunmehr 40 Prozent. Zu einer Umkehr der Mehrheitsverhältnisse kam es bei der Frage nach dem Atomausstieg. Während im November 2020 noch 58 Prozent diesen begrüßten, lehnt ein Jahr später eine Mehrheit von 49 Prozent den Atomausstieg ab (dafür: 40 Prozent).“
Stehen die Landesregierungen nicht hinter dem Strukturwandel?
Das klingt schon ein bisschen nach Panik, obwohl die Atomkraft nur 3 Prozent zum deutschen Energiemix beitrug. Wenn die letzten Atommeiler in diesem Jahr vom Netz gehen, wird das kaum einer merken.
Aber wo ist die politische Stimme, die den hier Wohnenden erklärt, wie die Energielandschaft hier in acht Jahren aussehen wird?
Sie ist nicht zu hören. Die Landesregierungen drücken sich um die Tatsache herum, dass der Kohleausstieg bis 2030 passieren muss, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will. Dass der Strukturwandel in Mitteldeutschland also ein völlig anderes Tempo bekommen muss, damit man 2030 bereit ist für den Wechsel.
Parallel zur Umfrage sind aber auch die Sprit- und Gaspreise in die Höhe geschnellt, weil weltweit die Nachfrage massiv zugenommen hat. Eigentlich ein Zeichen dafür, dass Deutschland sich schnellstens unabhängig von diesen Importen machen muss, denn es ist absehbar, dass die Preise weiter steigen werden.
Aber was medial darüber berichtet wird, erzeugt bei den meisten Menschen das Bild, dass ausgerechnet die Energiewende daran schuld ist.
Das liest sich in der Interpretation des Regionenmarketings so: „Der stärkste Treiber für diesen Meinungstrend dürfte die zunehmende Unzufriedenheit mit den Lebenshaltungskosten, vor allem bedingt durch höhere Preise für Energie und Benzin sein. So zeigten sich in der aktuellen Befragung nur noch 36 Prozent der Menschen zufrieden mit den Lebenshaltungskosten in der Region (2020: 51 Prozent). Ebenso sank gegenüber dem Vorjahr der Anteil der Menschen, die mit ihrer persönlichen Lebenssituation (67 Prozent gegenüber 78 Prozent) und mit der Situation in der Region allgemein zufrieden sind (62 Prozent gegenüber 72 Prozent).“
Wenn man Veränderungen im Geldbeutel spürt, hat das natürlich Wirkungen. Wirkungen, die auch im deutschen Medienwald nur zu gern den falschen Ursachen zugeschrieben werden.
Eine miserable Kommunikation
Recht hat die Metropolregion Mitteldeutschland Management GmbH natürlich, wenn sie den für den Strukturwandel Verantwortlichen nach dieser Umfrage eine katastrophale Kommunikation attestiert:
„Nahezu unverändert groß ist mit 54 Prozent der Anteil derjenigen, die einen Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier für notwendig halten. Gleichzeitig nehmen die Bürgerinnen und Bürger den Strukturwandelprozess teilweise deutlich kritischer wahr als noch vor einem Jahr. Sie sehen die aktuelle Umsetzung weniger erfolgversprechend (-9 Prozent), transparent (-12 Prozent) und zielgerichtet (-10 Prozent). Knapp die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent) sieht noch keine konkreten Anzeichen für einen einsetzenden Strukturwandel.“
Womit wohl die eigentliche Ursache für den Missmut benannt ist. Und es wird sich bestätigen, was seit drei Jahren an der Handhabung des Strukturwandels kritisiert wird: Die eigentlich Betroffenen wurden und werden nicht gefragt und nicht mit einbezogen. Die Mittel werden nicht konzentriert eingesetzt, um tatsächlich den ökonomischen Strukturwandel zu gestalten. Und die Ängste sind berechtigt, dass die Gelder in lauter Projekte fließen, die der Region überhaupt keinen Schub geben, sich ökonomisch neu zu erfinden.
Dass die Erneuerbaren Energien dabei die zentrale Rolle spielen, ist den meisten Befragten – trotz aller Skepsis – klar: „Trotz aller Kritik sind die Zustimmungswerte für den Ausbau der Erneuerbaren Energien im Mitteldeutschen Revier weiterhin sehr hoch. So befürworten 87 Prozent den Ausbau der Solarenergie (2020: 88 Prozent) und 78 Prozent den Ausbau der Erdwärme (2020: 79 Prozent). Für die Energieträger Windenergie und Biomasse stieg die Zahl der Befürworter sogar von jeweils 66 Prozent im Vorjahr auf 69 bzw. 70 Prozent. Zunehmende Hoffnungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Region verbinden sich mit dem Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft. 42 Prozent der Befragten schätzten die Branche als erfolgversprechenden Treiber für die Zukunft des Mitteldeutschen Reviers ein (Vorjahr: 40 Prozent). 41 Prozent nannten den Bereich Bioökonomie als wichtige Zukunftsbranche.“
Für den 2. „Mitteldeutschland-Monitor“ wurden im November 2021 durch das Leipziger Marktforschungsunternehmen MAS Partners 2.020 Personen in Leipzig, Halle und den Landkreisen Altenburger Land, Anhalt-Bitterfeld, Burgenlandkreis, Leipzig, Mansfeld-Südharz, Nordsachsen und Saalekreis befragt. Die kompletten Ergebnisse sind unter www.mitteldeutschland-monitor.de abrufbar. Die jährlich durchgeführte Studie ist Teil des Strukturwandelprojektes „Innovationsregion Mitteldeutschland“.
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