Am 3. Juni haute die LVZ mal wieder richtig aufs große Trommelfell, als sie verkündete: „Pereser See: Fassungsvermögen wird gigantisch“ und gleichzeitig Angst und Bange machte, was die Wasserfolgen für Leipzig wären oder gar ein früheres Kohle-Aus. Nicht nur Henry Graichen, Landrat des Landkreises Leipzig, sondern auch Regionalplaner Andreas Berkner argumentierten gegen einen früheren Kohleausstieg. Genau das, was aber in Glasgow als zwingend notwendig festgestellt wurde.
Schnelle Treibhausgas-Reduzierungen notwendig
In Glasgow wurde zwar kein konkretes Enddatum für den weltweiten Kohleausstieg genannt. Aber auch dass das Jahr 2030 für Deutschland dabei in den Fokus rückt, macht die Vereinbarung zum Ziel für 2030 deutlich: „Dazu soll der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2010 gedrosselt werden“, formuliert es z.B. der MDR. „Die Staaten werden aufgefordert, bereits 2022 neue nationale Klimaziele für 2030 auf den Tisch zu legen, drei Jahre früher als geplant.“
Das wird auch die neue Ampelkoalition tun müssen. Und ohne weitere Schritte im Kohleausstieg wird das nicht funktionieren. Natürlich konnte auch die LVZ im Juni noch nicht wissen, dass alles auf eine Ampelkoalition hinausläuft. Aber wissen konnte sie über die tatsächlich überfälligen Schritte in der deutschen Klimapolitik, die jede Koalition hätte umsetzen müssen, wirklich jede.
Aber der Artikel machte eben auch deutlich, dass die LVZ ganz bestimmt nicht der Ort ist, an dem wirklich ernsthaft über einen früheren Kohleausstieg nachgedacht wird. Man versucht immer noch so zu tun, als hätte man alle Zeit der Welt.
Nur nicht nachdenken über einen noch früheren Kohleausstieg
Das klingt auch an, wenn Andreas Berkner mit den Worten zitiert wird: „Was unter dem Aspekt des CO₂-Ausstoßes wünschenswert wäre – eine frühere Beendigung der Kohleverstromung und damit auch des Tagebaus – würde eine andere Bergbaufolgelandschaft bedeuten.“ Und er erinnerte an das abrupte Ende mancher Tagebaue zur „Wende“-Zeit.
Da der dritte Akteur im Text der LVZ dann wieder ein Mibrag-Manager war, lässt sich die Schieflage des Textes zumindest erahnen. Hier kämpft man nach wie vor im Team darum, dass die Kohleverbrennung in Lippendorf nicht vor 2035 endet.
Und gleichzeitig suggeriert der Artikel, dass ein früherer Kohleausstieg – um den ja die Ampelkoalition erst ringt, der ja noch nirgendwo beschlossen ist – eine Anpassung der Braunkohlepläne mit sich brächte.
Anfrage an die Staatsregierung
Die Landtagsabgeordnete Antonia Mertsching (Linke) zitierte den entscheidenden Passus in ihrer Anfrage an die Staatsregierung, weil sie wissen wollte, ob das so stimmt.
„Aufgrund des Kohleausstiegsgesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1818), das durch Artikel 3b des Gesetzes vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2682) geändert worden ist, sind Anpassungen des bestandskräftigen Braunkohlenplans zum Tagebau Vereinigtes Schleenhain aus dem Jahr 2011 vorzunehmen. Dabei sind insbesondere deutliche Abweichungen hinsichtlich der zeitlichen Abläufe, der Massenbilanzen und damit auch der Restlochkonfigurationen zu erwarten“, kann man da lesen.
Und: „Mit der Flutung des Tagebaurestlochs soll ab 2038/2039 der Pereser See entstehen, der mit einem Volumen von 430 Millionen Kubikmetern Wasser der größte See der Region sein wird. In einem Zeitungsartikel vom 06.10.2021 zum geplanten Pereser See äußert Henry Graichen, Landrat und Vorsitzender des Regionalen Planungsverbands, Bedenken hinsichtlich eines noch früheren Kohleausstiegs als geplant. Er befürchtet, dass die zu bildenden Rückstellungen dann nicht mehr den bevorstehenden Rekultivierungserfordernissen gerecht werden können.“
Auf einmal stehen wieder die Rückstellungen auf der Tagesordnung
Wobei das Thema Rückstellungen ein spannendes Thema ist. Haben die beiden Kohlekonzerne LEAG und Mibrag die zurückliegenden goldenen Jahre für die Kohleverstromung dazu genutzt, die nötigen Rückstellungen auch wirklich zu machen – oder gibt es das erschrockene Erwachen einer Staatsregierung, die dann hören muss, dass die Gelder zur Rekultivierung gar nicht ausreichen?
Zumindest aus Sicht des Sächsischen Wirtschaftsministeriums ist das aber derzeit zumindest kein alarmierendes Thema.
„Entgegen der in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage enthaltenen Aussage führt das Sächsische Oberbergamt derzeit kein Rahmenbetriebsplanverfahren für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain durch. Es erfolgen in diesem Zusammenhang daher auch keine Umweltprüfungen (UVP, SUP) am Sächsischen Oberbergamt“, liest man in der Antwort von Wirtschaftsminister Martin Dulig.
Das Kohle-Abbaggern geht erst einmal weiter
Das heißt: Der Rahmenbetriebsplan für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain bleibt weiter in Kraft. Der „Kohlekompromiss“ hat daran überhaupt nichts geändert.
Allein schon mit dem Verzicht der Mibrag auf das Abbaufeld Groitzscher Dreieck ist es möglich geworden, das Dorf Pödelwitz endgültig zu erhalten. Druck gemacht hat die Mibrag dort ja nur, weil die Kohle unter Pödelwitz noch als Vorbehaltsfläche für den Kohleabbau definiert war. Abbaurechte daran hatte sie aber noch gar nicht.
Zur Versorgung des Kohlekraftwerks Lippendorf reichen die anderen Abbaufelder, für die die Mibrag einen Rahmenplan hat, völlig aus. Im Abbaufeld Schleenhain wird noch bis 2026 Kohle abgebaggert, Peres reicht locker bis 2035. Da muss also erst mal gar nichts angepasst werden.
Neue Verhandlungen mit den Kohlekonzernen
Aber Duligs Ministerium sieht sehr wohl, dass der schon mit dem Kohlekompromiss beschlossene frühere Endtermin die durchaus nicht wetterfesten Vereinbarungen des Freistaats mit den Kohlekonzernen infrage stellt. Denn da waren die alten Laufzeiten bis in die 2040er Jahre als Grundlage genommen worden, die nötigen Rücklagen für die Rekultivierung anzusparen.
Das gesteht Dulig in der Antwort an Mertsching jetzt auch zu: Da muss jetzt nachjustiert werden.
„Vor dem Hintergrund des vorzeitigen Kohleausstiegs gemäß Kohleausstiegsgesetz (KAG) ist eine Anpassung der bestehenden Vorsorgevereinbarung zur Sicherung der Wiedernutzbarmachungs- sowie etwaiger Nachsorgeverpflichtungen für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain erforderlich“, teilt Dulig da mit.
„Hierzu finden derzeit Verhandlungen zwischen dem Sächsischen Oberbergamt und der MIBRAG statt. Die angepasste Vorsorgevereinbarung soll verschiedene Sicherungselemente zur Kompensation der zusätzlichen rechtlichen sowie wirtschaftlichen Risiken infolge des vorzeitigen Kohleausstiegs gemäß KAG enthalten. Regelungen zur einer Kostenübernahme durch Dritte (Freistaat Sachsen, Bund) im Fall unzureichender Rücklagen des Tagebaubetreibers MIBRAG sind nicht vorgesehen.“
Allein bei der Mibrag geht es dabei um rund 500 Millionen Euro.
Und wenn der Bund doch den früheren Kohleausstieg beschließt?
Das wird auf jeden Fall spannend. Denn wie werden die beiden Kohlekonzerne die nötigen Gelder aufbringen, wenn sie einige Jahre früher die notwendige Summe zur Rekultivierung zusammenbringen müssen? Und unauffällig umschifft hat Duligs Ministerium auch die Frage: Was passiert eigentlich, wenn sich die Ampelkoalition tatsächlich zu einem Kohleausstieg vor 2030 durchringt?
Bleibt noch die Geschichte mit dem „gigantischen Pereser See“. Dazu mehr im nächsten Beitrag.
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