Man merkt dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP an, dass hier drei Parteien mit völlig divergierenden Interessen am Tisch saßen und dass es in vielen Punkten nicht die Grünen waren, die sich durchgesetzt haben. Ganz zu schweigen davon, dass sie zwei ganz zentrale Ministerien nicht bekommen haben – Finanzen und Verkehr. Und entsprechend finster liest sich auch manches, was zum Verkehr im Koalitionsvertrag steht. Auch aus Sicht der Leipziger Fluglärminitiativen.
„Der Luftverkehr ist einer der großen Emittenten von klimaschädlichem CO2. Mit dem ersten Einsatz von auf Wasserstoff basierendem Kerosin (PtL) für ein ‚CO2-neutrales Fliegen‘ ist frühestens in 10 Jahren zu rechnen“, kommentiert Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ das, was im Koalitionsvertrag ab Seite 53 zum Flugverkehr steht. „Ob es dann auch sogenannter grüner Wasserstoff sein wird, darf nach heutigen Erkenntnissen bezweifelt werden.“Die im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Koalition enthaltene Vereinbarung enthält etwa den Passus: „Wir wollen die deutsche Luftverkehrswirtschaft und -industrie als Schlüsselbranchen nachhaltig und leistungsfähig weiterentwickeln…“
Das bedeutet aber, so Zimmermann, „mehr Flüge und damit mehr CO2-Emissionen! Das konkrete Beispiel dafür ist der Frachtflughafen Leipzig-Halle. Hier betrug der nach dem LTO-Zyklus ermittelte CO2-Ausstoß im Nahbereich des Flughafens im Oktober dieses Jahres 12.340 t gegenüber 12.190 t im Oktober 2019. Auf das Jahr hochgerechnet werden die CO2-Emissionen bei ca. 140.000 t liegen, was einem Klimaschaden von ca. 25 Millionen Euro bzw. dem CO2-Jahresverbrauch von 90.000 Mittelklasse-PKW entspricht.“
Der größte CO2-Emittent in Mitteldeutschland
Und das ist nur der Bodenbetrieb des Flughafens. Die eigentlichen Teibhausgas-Emittenten sind die Flugzeuge.
Zimmermann: „Der vom Flughafen Leipzig-Halle ausgehende globale Klimaschaden beträgt nach dem Halbstreckenprinzip aktuell ca. 6 Mio. Tonnen klimaschädliches CO2. Damit sind der Flughafen und sein Hauptnutzer DHL mitverantwortlich, dass trotz anderweitiger vielfältiger Maßnahmen zur CO2-Reduzierung, z. B. im Braunkohlenbereich, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre 2020 einen neuen Höchststand erreicht. Und ‚dank‘ der Koalitionsvereinbarung wird sich diese verheerende Entwicklung fortsetzen, sollte das aktuelle Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Frachtflughafens nicht gestoppt werden.“
„Laut derzeit laufendem Planfeststellungsverfahren sollen die Starts und Landungen bis 2032 um über 50 % auf ca. 120.000 steigen. Der globale Klimaschaden würde dann bei ca. 10 Millionen Tonnen CO2 liegen. D.h., die jetzt von der Koalition bereits auf 2030 vorgezogene Schließung des Kraftwerkes Lippendorf und damit verbundene CO2-Reduzierung wird – mit Steuermittel subventioniert – am Flughafen Leipzig-Halle ‚kompensiert‘.“
Der ganze Passus zum Flugverkehr erzählt im Grunde vom festen Glauben insbesondere der FDP, man könne mit dem aktuellen Wirtschaften einfach so weitermachen, müsse halt nur die fossilen Treibstoffe irgendwie durch klimaneutrale ersetzen.
Wann kommen die höheren Fluglärmentgelte?
„Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer werden wir für die Förderung von Produktion und Einsatz von CO2-neutralen strombasierten Flugkraftstoffen sowie für Forschung, Entwicklung und Flottenmodernisierung im Luftverkehr einsetzen. Wir unterstützen ambitionierte Quoten für Power-to-Liquid (PtL-Quoten) im Luft- und Schiffsverkehr, um einen Markthochlauf anzureizen. Wir wollen Fluglärm reduzieren und den Anteil lärmabhängiger Flughafenentgelte erhöhen. Wir fördern einen klimaneutralen Flughafenbetrieb“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Immerhin stehen da jetzt auch die lärmabhängigen Flugentgelte, mit denen der Flughafen Leipzig/Halle nun auch schon wieder seit einem Jahr trödelt, statt sie endlich einzuführen.
Und man darf gespannt sein, wie der nächste Passus umgesetzt werden soll: „Die Aufgabe der Deutschen Flugsicherung wird um das Thema eines effektiven Lärmschutzes erweitert. Eine Änderung des Fluglärmschutzgesetzes werden wir auf Basis des Evaluierungsberichts der Bundesregierung betrachten.“
Weniger Lärm durch Flugsicherung?
Am Flughafen Leipzig/Halle bastelt die Flugsicherung inzwischen seit 14 Jahren an immer neuen Anflugverfahren, die den Fluglärm minimieren sollen – aber der wird schlicht nicht weniger, weil immer mehr laute und uralte Maschinen in der Nacht starten und landen.
Tatsächlich aber verrät der ganze Abschnitt, dass die Verhandlungspartner sich nicht eingestehen wollen, dass der Flugverkehr – nicht nur in Deutschland – drastisch reduziert werden muss. Und zwar mit den regulatorischen Mitteln des Gesetzgebers, der damit beginnt, Inlandsflüge konsequent zu unterbinden, die unrentablen Flughäfen alle vom Netz nimmt und das Fliegen so teuer macht, wie es im Angesicht der Klimaschäden sein muss. Und zwar jetzt. Nicht erst irgendwann nach 2030.
Denn genau so klingt die Einstiegsformel in diesen Abschnitt: „Wir wollen die deutsche Luftverkehrswirtschaft und -industrie als Schlüsselbranchen nachhaltig und leistungsfähig weiterentwickeln, in einem umfassenden Beteiligungsprozess ein Luftverkehrskonzept 2030+ zur Zukunft der Flughäfen in Deutschland erstellen, die Schienenanbindung von Drehkreuzen fördern und durch bessere Bahnverbindungen die Anzahl von Kurzstreckenflügen verringern.“
Ja, es stehen auch ein paar Abschnitte zur Förderung des Schienenverkehrs und des ÖPNV drin. Aber die Ansprüche einer wirklichen Klimakoalition lesen sich anders. Und was da steht, macht den Anwohnern des Flughafens Leipzig/Halle ganz bestimmt keine Hoffnung, dass sich da irgendetwas in den nächsten vier Jahren zum Besseren verändert.
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Mittlerweile lesen sich Koalitionsvereinbarungen wie Werbeprospekte:
„Wir wollen die deutsche Luftverkehrswirtschaft und -industrie als Schlüsselbranchen nachhaltig und leistungsfähig weiterentwickeln…“
Das Adjektiv „nachhaltig“ ist übelst beliebt, weil es nach „umweltfreundlich“ klingt, aber eigentlich überhaupt nichts aussagt.