Was in Sachsens Regionalzeitungen steht, darf man schon seit geraumer Zeit nicht mehr ungeprüft glauben. Das ist leider so. Jetzt erntete auch die „Freie Presse“ in Chemnitz eine Klarstellung aus dem sächsischen Verkehrsministerium. Mit einer Meldung vom 17. Oktober hatte sie für regelrechtes Entsetzen gesorgt, was die Zukunft der Zugverbindung nach Leipzig betrifft: „Linie von Chemnitz nach Leipzig: Bahn plant Ausbau nicht komplett zweigleisig.“
Und das, obwohl im Artikel selbst auf die gerade erst im September zwischen Deutscher Bahn und Freistaat abgeschlossene Finanzierungsvereinbarung für diese Strecke verwiesen wurde. Endlich standen alle Zeichen auf „Grün“, dass diese Strecke endlich elektrifiziert und fast komplett zweigleisig ausgebaut wird, was erst eine dichte Taktung der schnellen Zugverbindungen zwischen den beiden Großstädten ermöglicht.Die Strecke war jahrzehntelang nur das Stiefkind der deutschen Bahnpolitik. Bürgerinitiativen und Parteien kämpften darum, dass dieser Ausbau einer Großstadtverbindung endlich ins Programm der Bahn kam. Die sächsische Regierung finanzierte extra die Vorplanungen, die Grundlage dafür werden sollten, dass die Bahn hier endlich den Standard des 21. Jahrhunderts schafft.
Und dann diese ohne jegliche Zweifel verkündete Meldung.
Der schnelle Protest
Auf die dann auch die Sächsische Wirtschaft entsprechend ergrimmt reagierte, die unter anderem hinter der Bahninitiative Chemnitz steht.
„Es kann nicht sein, dass in anderen Regionen über den viergleisigen Ausbau von Strecken verhandelt wird, und wir hier immer noch für den zweigleisigen Ausbau der Strecke von Leipzig nach Chemnitz kämpfen müssen. Immerhin handelt es sich dabei um zwei der vier größten ostdeutschen Städte“, meldete sich der Präsident des Industrievereins Sachsen, Prof. Dr. Udo Bechtloff, zu Wort. Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg von Regionen sei eine nach innen und außen funktionierende Infrastruktur. Das gelte auch für Sachsen, so der Industrievereins-Präsident.
Und auch der Fahrgastverband PRO BAHN kritisierte das, was diese Meldung der „Freien Presse“ suggerierte. „Selbst wenn ein geplanter 30-Minutentakt mit Regional- und Fernverkehr berücksichtigt wurde, nimmt man bei den Planungen bewusst Engpässe und starke Kapazitätseinschränkungen in Kauf. Bei der kleinsten Störung im betroffenen Südabschnitt ist ein zuverlässiges Betriebsprogramm nicht umzusetzen“, gab Markus Haubold, Sprecher für Südwestsachsen, zu bedenken. Auch er vertraute dieser so ohne Zweifel vorgebrachten Meldung.
Genauso wie Marco Böhme, Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag für Klimaschutz und Mobilität: „Ständig werden Versprechen gebrochen, ständig werden Selbstverständlichkeiten infrage gestellt. Wie lange soll das weitergehen? Es kann doch nicht sein, dass die regierende Politik jahrzehntelang darüber diskutiert, dass zwei Metropolregionen mit einer elektrifizierten Bahnstrecke verbunden werden müssen, und jetzt nicht einmal eine zweigleisige Verbindung geplant ist. Das wäre eine Selbstverständlichkeit für einen schnellen und sicheren Eisenbahnverkehr. Wir unterstützen die Kritik des Fahrgastverbands PRO BAHN an dieser Misere“, sagte er.
Nahm also die Meldung auch für bare Münze. „Ich fordere von der sächsischen Staatsregierung transparente Informationen und ein offenes Verfahren. Zu viele offene Fragen sind nach den zahlreichen Ausbaubekundungen offen. So ist auch die Finanzierungsfrage noch immer unklar. Im Bundesverkehrswegeplan ist der zweigleisige Ausbau einer elektrifizierten Strecke vorgesehen, also muss dieser nicht nur schleunigst gebaut, sondern auch vom Bundesverkehrsministerium finanziert werden.“
Die Klarstellung
Aber was die „Freie Presse“ da vermeldet hatte, hat mit der Realität nichts zu tun. Am Dienstag, 19. Oktober, gab es dann nach all der Aufregung die Klarstellung aus dem Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit (SMWA).
„Der geplante zweigleisige Ausbau und die Elektrifizierung der Bahnstrecke von Leipzig nach Chemnitz haben seit sieben Jahren Priorität im sächsischen Verkehrsministerium und damit bei Staatsminister Martin Dulig. Damit soll Chemnitz endlich wieder an den Schienen-Fernverkehr über Leipzig angeschlossen werden – damit wird der schwer erträgliche Ist-Zustand, der seit Anfang der 90er Jahre anhält, endlich beendet“, erklärte das Ministerium.
„Entsprechend hat das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr am 17. September eine Planungsvereinbarung für die 36 Kilometer lange Teilstrecke von Geithain nach Chemnitz unterzeichnet. Für die Ausbaustrecke Leipzig–Chemnitz hat der Freistaat damit bereits 12 Millionen Euro an eigenen Finanzierungsleistungen erbracht.“
Deswegen wunderte man sich schon, dass da in den vergangenen Tagen in der Presse berichtet wurde, „dass der Ausbau der Eisenbahnstrecke von Chemnitz nach Leipzig bis zu 25 Prozent nur eingleisig erfolgen soll. Diese Berichterstattung ist falsch und beruht auf veralteten Studien. Richtig ist, dass sich an der politischen Zielsetzung, einen zweigleisigen Ausbau zu realisieren, nichts geändert hat.“
Also falsche Panikmache. Was man eigentlich auch in Haus der „Freien Presse“ hätte wissen müssen. So kurz sind die Zeiträume zwischen Finanzierungsvereinbarung, Planungen und Ausschreibungen nicht. Ohne öffentlich gemachte Planungen gibt es auch keine Ausschreibungen – und schon gar keine so Hals-über-Kopf veränderten.
Der Engpass auf der Strecke
Nur ein Teilstück – mit einer maximalen Länge von vier Kilometern – zwischen Göhren und Cossen kann nicht zweigleisig ausgebaut werden, betont das SMWA bei der Gelegenheit: Auf diesem Abschnitt verläuft die bestehende eingleisige Bahnstrecke über das Göhrener Viadukt, welches die Zwickauer Mulde überbrückt. Das 1869 errichtete Naturstein-Bauwerk steht bekanntermaßen seit Jahren unter Denkmalschutz.
„Ein Abriss kommt selbstverständlich nicht infrage – eine Erweiterung der Brücke beziehungsweise eine Verlegung der Strecke würde die Realisierung der Gesamtmaßnahme nicht nur um Jahre zurückwerfen, sondern auch deren Finanzierung vor neue Probleme stellen“, betont das SMWA: „Eine weitere knapp zwei Kilometer lange Engstelle im bestehenden Bahnnetz von Chemnitz gibt es zwischen Chemnitz–Küchwald und Chemnitz Hauptbahnhof an einem Viadukt. Auch das ist bekannt. In diesem Bereich haben die Planungen der Deutschen Bahn gerade erst begonnen. Wie und ob ein zweigleisiger Ausbau technisch möglich und finanzierbar ist, wird sich erweisen. Auch hier ist die Zielsetzung des Freistaates eindeutig: zweigleisiger Ausbau.“
Verkehrsminister Martin Dulig lässt sich zu diesem original Chemnitzer Sturm im Wasserglas zitieren:
„Wir kämpfen seit Jahren gemeinsam mit der Stadt Chemnitz, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und des Landtages und auch mit der Bahn dafür, dass die Strecke von Chemnitz nach Leipzig endlich zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert wird. Daran wird nicht gerüttelt. Für dieses Ziel hat der Freistaat bereits viel Geld ausgegeben. Dies lassen wir uns nicht kaputtreden. Im Gegenteil: Linke und Grüne geben nun offensichtlich ungeprüft Aussagen wieder, ohne sich nach den tatsächlichen Fakten im Ministerium oder bei der Bahn zu erkundigen. Sie müssen sich fragen lassen, ob sie an der Realisierung des Vorhabens wirklich interessiert sind oder sich ihr Interesse vorrangig auf polemisierende Pressemitteilungen beschränkt. Ich wünsche mir, dass sie weiter Teil unserer gemeinsamen Zielsetzung sein wollen. Denn auf dem Weg zu unserem Ziel benötigen wir alle Unterstützer.“
Nein. Die genannten Politiker haben nur gutgläubig Quatsch aus der „Freien Presse“ übernommen. Dass die „Freie Presse“ solche Geschichten ungeprüft als Tatsachen verkündet, zeugt nicht wirklich mehr von journalistischer Ernsthaftigkeit.
Und noch eine Passage stimmte nicht, so das SMWA: „Der in der Presse ebenfalls erwähnte Nordabschnitt der Ausbaustrecke Leipzig–Chemnitz, von Leipzig nach Geithain, ist nicht Bestandteil dieser Planungsvereinbarung mit dem Freistaat. Auch für diesen plant die Bahn einen zweigleisigen Ausbau und dessen Elektrifizierung auch an den Stellen, an denen bislang nur ein Gleis vorhanden ist.“
Nachtrag Mittwoch, 20. Oktober, die Meldung der Deutschen Bahn:
Deutsche Bahn hat Finanzierungsvereinbarung mit dem Freistaat Sachsen gezeichnet: Planungen für Südabschnitt der Ausbaustrecke Leipzig–Chemnitz können beginnen
Bund, Freistaat Sachsen und die Deutsche Bahn ziehen bei der Modernisierung der Strecke Leipzig–Chemnitz an einem Strang
Die Deutsche Bahn (DB) und das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) haben für den Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke Leipzig–Chemnitz wichtige Voraussetzungen erfüllt. Martin Walden, Konzernbevollmächtigter der DB für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen: „Die Finanzierung der Vorplanung des zweigleisigen Ausbaus für den Abschnitt Geithain–Chemnitz ist nun auch durch die DB unterzeichnet worden. Damit ist die Vereinbarung verbindlich abgeschlossen. Wir ziehen mit unseren Partnern an einem Strang, um den zweigleisigen, elektrifizierten Ausbau der Strecke Leipzig–Chemnitz zügig voranzutreiben.“
Im Rahmen der Vorplanung werden verschiedene Betriebs- und Fahrplanszenarien untersucht und bewertet. Daraus ergeben sich dann Vorgaben für die Trassierung und die technische Planung. Nach aktuellem Stand wird zwischen Geithain und Chemnitz eine Zweigleisigkeit als Voraussetzung für das angestrebte und mit dem Freistaat Sachsen abgestimmte Betriebskonzept geplant. Bei einzelnen Viadukten sind in der weiteren Planung topografische Zwangspunkte zu untersuchen, die kurze eingleisige Abschnitte bedingen könnten.
Ausbaustrecke Leipzig–Chemnitz
Der Grund für die gesonderte Betrachtung der Abschnitte Leipzig–Geithain und Geithain–Chemnitz liegt in den unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen der Finanzierung. Mit Inkrafttreten des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) wurden vom Bund die formalen Voraussetzungen für den durchgehenden zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung des Abschnitts Leipzig–Bad Lausick–Geithain geschaffen. Dieser Abschnitt wird also komplett zweigleisig elektrifiziert.
Die eingleisige Elektrifizierung des Abschnitts Geithain–Chemnitz wird als Teilabschnitt der Strecke Leipzig–Borna–Geithain–Chemnitz als „vordringlicher Bedarf“ im Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG) geführt und ist damit nach BSWAG finanzierbar. Die Grundlagenermittlung sowie die Vorplanung für den zusätzlichen Ausbau des zweiten Gleises und der Maßnahmen für den Nahverkehr sind jedoch aus Landesmitteln zu finanzieren. Diese Vereinbarung wurde nunmehr zwischen dem Freistaat Sachsen und der Deutschen Bahn gezeichnet.
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Korrektur: Im Abschnitt “Der Engpass auf der Strecke” haben wir die Angabe “zwischen Burgstädt und Cossen” durch “zwischen Göhren und Cossen” ersetzt, wo das Göhrener Viadukt tatsächlich die Zwickauer Mulde überspannt. Da hatten wir die – falsche – Angabe aus der Meldung des SMWA vom 19. Oktober ungeprüft übernommen. Auf den Fehler hat uns Leser Wolfgang Resch hingewiesen. Vielen Dank für den Hinweis.
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