Gelingt die Bürgerbeteiligung zur Magdeborner Halbinsel in Großpösna oder scheitert sie? Für einiges Aufsehen sorgten ja die Auftritte von Prof. Dr. Jörg-Achim Weber und Frank Beutner aus der „Projektgruppe Bürgerbeteiligung“, die zumindest die Frage aufwarfen: Ist die Projektgruppe dann überhaupt noch arbeitsfähig? Dazu haben wir die Gemeindeverwaltung befragt.
Die Antworten sind etwas ausführlicher ausgefallen, weshalb wir sie dann doch lieber in voller Länge veröffentlichen. Denn auch wenn die 2019 gestartete Bürgerumfrage eigentlich eine recht eindeutige Zielrichtung aufgezeigt hat, die sich die Großpösnaer in der Mehrheit wünschen, bedeutete das trotzdem nicht, dass die eigentlich abgelehnten „Großprojekte“ und „harten touristischen Entwicklungen“ auf der Halbinsel damit aus der Diskussion sind.Denn sie stecken weiterhin in einem „Ideenpool für die Magdeborner Halbinsel“, der aus den bisherigen Beteiligungsformaten Bürgerbefragung und den beiden ganztägigen Workshops generiert wurde, der noch bis zum 14. Februar online von den 69 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Workshops priorisiert werden soll. Danach soll dann der Gemeinderat über das Ergebnis befinden.
In gewisser Weise haben ja Weber und Beutner diese Ängste benannt, dass eben doch wieder Dinge zur Entscheidung kommen, die eigentlich in der Bürgerbefragung so nicht dargestellt sind. Und die Erklärung des Gemeinderats von Großpösna zum möglicherweise anzusiedelnden Helmholtz Zentrum „Centre for Climate Action and Innovation – Research & Engineering“ (CLAIRE) ist tatsächlich mitten in den Bürgerbeteiligungsprozess hineingekracht, wie uns auch die Gemeindeverwaltung von Großpösna bestätigt.
Fragen und Antworten
Wie sieht die Gemeindeverwaltung den Stand der Bürgerbeteiligung, nachdem im Grunde die meisten Mitglieder aus Bürgerschaft und Gemeinderat das Gremium verlassen haben?
Es gibt eine „Projektgruppe Bürgerbeteiligung“ mit Vertretern der Verwaltung, des Gemeinderates und der Bürgerschaft, die die Großpösnaer Leitlinien für Bürgerbeteiligung erfolgreich erarbeitet hat und den ersten „großen“ Beteiligungsprozess zur Magdeborner Halbinsel begleitet. Die Projektgruppe wird von der Akademie für Lokale Demokratie (ALD e. V.) koordiniert und organisiert. Und es gibt den Bürgerbeteiligungsprozess zur Magdeborner Halbinsel an sich. Die Arbeit in der Projektgruppe ist mit einer hohen Intensität verbunden. Selten waren – insbesondere aus der Gruppe der Bürgerinnen und Bürger – alle Teilnehmer anwesend, inkl. Herr Beutner.
Schwierig wurde die Arbeit in der Projektgruppe bei der Modellierung des Beteiligungsprozesses zur Magdeborner Halbinsel. Zum einen wurden Rollenkonflikte sichtbar, da es eine persönliche inhaltliche Agenda zur Entwicklung der Magdeborner Halbinsel (Herr Beutner) gibt. Zum anderen gab es auch grundsätzliche Diskussionen zur Offenheit des Beteiligungsprozesses, da während des Prozesses das Interesse zur Ansiedlung eines Helmholtz-Zentrums auf Teilflächen der Magdeborner Halbinsel „hineinplatzte“ und der Gemeinderat dazu kurzfristig einen einstimmigen Beschluss gefasst hat (Prof. Weber).
Impressionen von den Beteiligungstagen zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel am 26.09. und 10.10.2020
Der Bürgerbeteiligungsprozess zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel ist mehrstufig organisiert. Als Erstes wurde mit einem Fragebogen, der an alle Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren (4.688 Personen) per Brief versendet wurde, für das Thema sensibilisiert und ein erstes grobes Stimmungsbild erhoben. Die Rücklaufquote war mit 1.026 Teilnehmern – ca. 22 % – sehr gut. Auf der Grundlage der Befragungsergebnisse wurde das weitere Beteiligungsformat entwickelt. Dies waren zunächst zwei Tagesworkshops und aktuell die Kommentierung der Leitlinien zur Entwicklung der Magdeborner Halbinsel und die Priorisierung des erarbeiteten Ideenpools.
An dieser zweiten Phase nehmen 53 Bürgerinnen und Bürger teil, die sich interessiert gezeigt hatten, am Prozess weiter mitzuarbeiten, 5 Vertreter des Gemeinderates, 3 Vertreter aus den Ortschaftsräten, 5 Vertreter der auf der Magdeborner Halbinsel bereits existierenden touristischen Akteure und drei Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung (insgesamt 69). An den beiden Tagesworkshops im Herbst 2020 nahmen alle 69 Personen teil. Auch bei der aktuellen Stufe, der Bearbeitung des Leitlinienentwurfes und der Priorisierung des gemeinsam erarbeiteten Ideenpools gibt es keine „Abgänge“. Aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben wir bisher durchgängig positive Rückmeldungen zum Beteiligungsprozess erfahren.
Wird das Verfahren neu gestartet oder repariert? Wie will Großpösna dafür sorgen, dass es am Ende tatsächlich ein belastbares Beteiligungsverfahren wird, das auch Akzeptanz in der Bevölkerung findet?
Das Verfahren wird fortgeführt, die Akzeptanz für das Verfahren ist da. Die Beteiligten sind mit Engagement und Freude dabei. Im Gegenteil kann aus einer persönlichen Agenda heraus motivierte öffentlich vorgebrachte Kritik der Akzeptanz des Gesamtergebnisses schaden. Die Gefahr sehe ich wirklich und das wäre sehr schade. Gerne kann ich Ihnen Kontakte zu Mitgliedern des laufenden Prozesses vermitteln, bei denen Sie direkt nachfragen können, wenn Sie mögen.
Was passiert mit all den – auch schon von Prof. Weber erwähnten – Beschlüssen in der Verwaltung und im Gemeinderat, die schon Vorab-Festlegungen zur Magdeborner Halbinsel treffen? Werden sie auf Eis gelegt oder sind sie verbindlich? Oder gibt es noch gar keine und Herr Weber hat da etwas falsch verstanden?
Die Kritik von Herrn Prof. Weber bezog sich auf das Helmholtz-Zentrum, dessen Ansiedlungsinteresse erst nach der Bürgerbefragung im zeitigen Frühjahr 2020 bekannt wurde. Der Gemeinderat hat dazu am 18.05.2020 einstimmig eine Absichtserklärung zur Unterstützung des Ansiedlungsinteresses beschlossen. Allgemein in Großpösna und insbesondere bei den Beteiligten des Bürgerbeteiligungsprozesses gibt es – bis auf wenige Ausnahmen – bisher durchweg positive Rückmeldungen zum Helmholtz-Zentrum – gerade auch wegen des Forschungsthemas Klimawandelanpassungsstrategien.
Erst nach diesem Meinungsbild aus den Tagesworkshops im Herbst 2020 wurde dem Gemeinderat ein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan vorgelegt, der die Fläche für das Helmholtz-Zentrum grob festlegt. Der Beschluss wurde am 16.11.2020 gefasst.
Weitere Beschlüsse in Bezug auf die Entwicklung der Magdeborner Halbinsel gibt es nicht. Als Nächstes steht im Frühjahr 2021 die Beratung der Ergebnisse des aktuellen Bürgerbeteiligungsprozesses an.
Welche Projekte gelten aus Sicht der Verwaltung an der Magdeborner Halbinsel als gesetzt und sollen auch umgesetzt werden?
Auf den Flächen, die im Rahmen des Bürgerbeteiligungsprozesses betrachtet werden, ist das Helmholtz-Zentrum das einzige Projekt. Ob dies wirklich kommt, ist offen. Aktuell beteiligt sich das Helmholtz UFZ Leipzig mit der Projektidee CLAIRE und dem Thema Klimawandelanpassungsstrategien am Wettbewerb für ein Großforschungszentrum im Mitteldeutschen Braunkohlerevier. Grundlage für den Wettbewerb ist die Gesetzeslage zum Braunkohle-Strukturwandel, die für Sachsen die Ansiedlung von zwei solchen Großforschungszentren vorsieht. Der Gemeinderat hat hier bisher die grundsätzliche Zurverfügungstellung der Flächen (in der Absichtserklärung) beschlossen. Weitere Projekte auf der Magdeborner Halbinsel sind nicht gesetzt.
Welche Spielräume zur Willensbildung hat die Bürgerbeteiligung dann noch?
Der Bürgerbeteiligungsprozess ist völlig offen. Im Ergebnis wird es Leitlinien geben, die die Vorstellungen, wie sich die Halbinsel entwickeln soll, zusammenfassen und einen durch alle Beteiligten priorisierten Ideenpool, der – sofern der Gemeinderat ihn bestätigt – von der Verwaltung im Anschluss auf Machbarkeit vorgeprüft wird. Der Gemeinderat und die Bevölkerung sollen im Anschluss regelmäßig darüber informiert werden. Für die Umsetzung eventueller größerer Projekte (sofern die so priorisiert werden sollten) ist die Machbarkeit natürlich vom Engagement Dritter, bspw. von Unternehmen abhängig.
Und wie ist das mit dem Umfrage-Design, das nun einzig die Sichtweise der Verwaltung spiegelt? Wird man es überarbeiten und eine Befragung initiieren, die tatsächlich wissenschaftlichen Maßstäben genügt? Wird man dazu ein wirklich unabhängiges Institut / eine wissenschaftliche Einrichtung beauftragen?
Der Fragebogen hatte das Ziel zunächst für das Thema zu sensibilisieren und bürgerschaftliches Interesse an der Mitarbeit zu wecken, d. h. es sollte ein erstes Stimmungsbild erzielt werden, um die weiteren Beteiligungsschritte konzipieren zu können (u. a. Auswahl der Experten für die Workshops). Diesem Ziel wurden natürlich die Fragen angepasst. Das Ziel war keine quantitative Analyse. Der Fragebogen besteht im Wesentlichen aus offenen Fragen.
Ergänzt wurden diese mit existierenden Anfragen und Ideen Dritter, die der Gemeindeverwaltung vorlagen. Diese wurden aufgenommen, um auch ein Stimmungsbild zu ganz konkreten Ideen zu bekommen, da dies fassbarer ist. Um es ganz klar zu sagen, diese hat sich bei der Verwaltung niemand ausgedacht, sondern lediglich existierende Anfragen von Unternehmen und Ideen Dritter zusammengefasst.
Der Fragebogen wurde von den uns begleitenden Experten des ALD e. V. erstellt und wir haben die Projekteanfragen und -ideen, die bei der Verwaltung vorlagen, hinzugefügt.
Aus unserer Sicht hat die Bürgerbefragung die gewünschten Ziele erreicht.
Wie verbindlich ist die geplante Ansiedlung des Helmholtz-Instituts? Gibt es dazu schon Verträge?
Aktuell läuft der Wettbewerb. Die Gemeinde Großpösna und der Landkreis Leipzig unterstützen die Bewerbung für das Helmholtz-Zentrum CLAIRE. Es gibt die erwähnte Absichtserklärung zur Unterstützung der Bewerbung und seit 16.11.2020 den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan. Mehr gibt es dazu bisher nicht. Das hängt jetzt vom Wettbewerbsergebnis ab.
Und wo soll das Highfield-Festival seinen neuen Standort finden? Wie ernsthaft verhandelt die Gemeinde dazu?
Der Festivalveranstalter ist grundsätzlich daran interessiert, weiter mit der Gemeinde Großpösna zusammenzuarbeiten. Aus Sicht der Verwaltung wäre eine Fortführung grundsätzlich denkbar, wenn ausreichend Flächen für eine solche Großveranstaltung zur Verfügung stehen. Aktuell prüft der Veranstalter die Machbarkeit des Festivals auf den verbleibenden Flächen, falls das Helmholtz-Zentrum kommt. Ein prinzipielles Ausweichen auf andere Flächen im Gemeindegebiet ist nicht möglich.
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Hier wird der Leser Zeuge eines typischen Reaktionsmusters, welches geradezu beispielhaft für die Kommunikation in diesem Projekt ist.
Zur Kritik standen neuerlich die Verletzung der Sorgfaltspflicht in der wissenschaftlichen Arbeit und die Diskriminierung von Kindern (10 konkrete Punkte im Offenen Brief 03.02.2021). In Anbetracht eines Projektes mit Modellcharakter für ganz Sachsen und mit dem Hintergrund der Verwendung öffentlicher Mittel besteht die zwingende Notwendigkeit lege artis zu arbeiten (https://wissenschaftliche-integritaet.de/). Dazu wäre es erforderlich die vorgebrachte Kritik auch Punkt für Punkt zu prüfen und zu beantworten.
Stattdessen argumentiert die Gemeindeverwaltung voluminös mit Informationsgehalt, der jetzt gar nicht vordergründig in der Kritik stand. Allenfalls auf Punkt 1 Neutralität/ Interessenkonflikt findet sich eine Antwort. Die Gemeindeverwaltung bestätigt in dieser Wortmeldung, „existierende Anfragen von Unternehmen und Ideen Dritter zusammengefasst“ und eingebracht zu haben. Leider finden sich neben dieser Auswahl der Gemeindeverwaltung keine anderen Beispiele, da niemand die Möglichkeit hatte, zusätzliche Ideen in den Fragebogen einzubringen.
Üblicherweise ist eine wissenschaftliche Qualitätssicherung durch interne und auch erweitere Review-Prozesse gesichert und es ist absolut unüblich, den kritischen Diskurs öffentlich zu führen. Jedoch hat dieses Projekt den Anspruch auf wissenschaftliche Integrität mittlerweile verlassen bzw. hatte es den Anspruch nie. Zumindest haben die Projektverantwortlichen offen zugegeben, dass kein wissenschaftlicher Anspruch besteht. Schon dieses Verständnis ist für ein Projekt mit Modellcharakter inakzeptabel. Spätestens nach dem Offenen Brief von Herrn Prof. Weber hätte man erwartet, dass Maßnahmen zur Qualitätssicherung greifen. Stattdessen wurde das Projekt mit unveränderter Intention fortgesetzt.
Es obliegt jetzt dem Fördermittelgeber – Landesprogramm ‚Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz‘ – die Diskussion in ein Expertengremium zu ziehen, einerseits um das Projekt auf seine Modellhaftigkeit für Sachsen zu prüfen und andererseits die Auswirkungen auf den lokalen Beteiligungsprozess zur Zukunft der Magdeborner Halbinsel zu beurteilen.
Es tut mir weh, diesen Diskurs in der Öffentlichkeit führen zu müssen. Das Dilemma ist offensichtlich, denn es besteht die Gefahr einer Beschädigung des Ansehens von Demokratie und Wissenschaft. Bitte liebes ‘Weltoffene Sachsen’ – gib ein Zeichen, den Diskurs achtsam und wissenschaftlich zu führen!