„Der Auwald ist chronisch krank“, sagt Sachsens Umweltminister Wolfram Günther. Im August war er zu Besuch im Leipziger Auwald, nicht nur, um sich die Schäden durch drei Dürrejahre hintereinander anzuschauen. Denn dass die Bäume im Auwald so leiden, hat auch damit zu tun, dass der Wald seit den 1930er Jahren praktisch trockengelegt ist.

Damals wurde die Neue Luppe als Hochwasserableiter für die Stadt Leipzig gebaut. Dabei wurden die Waldbestände in der Elsteraue dauerhaft durch hohe Deiche von den Flüssen abgeschnitten, die in der Vergangenheit für regelmäßige Überschwemmungen sorgten.

Warum baut man also die Deiche nicht einfach zurück? Das fragte sich so mancher, der die Leipziger Diskussionen der vergangenen Jahre verfolgt hat. Denn warum der Wald, der ja von Natur aus ein Wald im Überschwemmungsgebiet eines Flusses ist, leidet, das wissen alle Beteiligten.

Aber es sind halt eine ganze Menge: die Naturschutzverbände, die sich um die Rettung des einzigartigen Waldsystems bemühen, die beiden zuständigen Leipziger Ämter, die zum Teil geradezu widersprüchliche Ziele verfolgen, die Streiter für den Wassertourismus im Neuseenland, die Landestalsperrenverwaltung, die für den Hochwasserschutz zuständig ist, die Forscher der diversen Forschungsinstitute, das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG), der Staatsbetrieb Sachsenforst und auch die Leipziger Forstverwaltung.

Teile und herrsche, hieß es mal im alten Rom. Wenn jeder nur für sich kämpft, kommt niemals ein gemeinsames Projekt dabei heraus.

Das änderte sich erst mit Amtsantritt des ersten grünen Umweltministers in Sachsen. „Das ist genau die Aufgabe, die ich wahrnehmen kann“, sagt Wolfram Günther, der sein erstes Amtsjahr nicht nur dazu nutzte, den Kursschwenk beim Hochwasserschutz in Sachsen weiterzutreiben.

Denn auch da hatte sich seit dem Hochwasser von 2002 so manches betoniert, waren die Milliarden vor allem in den Ausbau von neuen Deichen und Schutzwerken geflossen. Obwohl damals schon die eigentliche Priorität war: Die Flüsse brauchen wieder Raum sich auszubreiten, sie müssen ihre alten Auen zurückbekommen. Nicht nur, damit sich die Hochwasserlage entspannt, sondern damit sie wieder zu artenreichen Flüssen werden, die der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie genügen.

Umweltminister Wolfram Günther im August in der Burgaue im Gespräch mit Rüdiger Dittmar, Leiter es Amtes für Stadtgrün und Gewässer Leipzig. Foto: L-IZ
Umweltminister Wolfram Günther im August in der Burgaue im Gespräch mit Rüdiger Dittmar, Leiter es Amtes für Stadtgrün und Gewässer Leipzig. Foto: L-IZ

Ein Thema, das Sachsen so ziemlich verschwänzte. Über 90 Prozent der sächsischen Flüsse genügen den Anforderungen an einen gesunden, vitalen Fluss nicht. „Deswegen treiben wir die Redynamisierung ja auch an der Spree und auch an Lausur und Mandau voran.“

Dort hatte das Hochwasser 2010 gezeigt, wie schnell die Kanalisierungen und Eindämmungen der Vergangenheit versagen. Flüsse brauchen wieder ihre natürlichen Ausbreitungsgebiete, in denen sie auch Mäander bilden können und zum Lebensraum für hunderte Organismen werden.

Beim Besuch an der Mandau sagte er im September: „Das Hochwasser 2010 hat auch im ostsächsischen Raum mit seinen zahlreichen stark ausgebauten Fließgewässern viele Ortslagen hart getroffen und mehr als 400 Ufermauern zerstört oder beschädigt. Ziel an Mandau und Lausur, aber auch an vielen anderen Orten in Sachsen ist es, Hochwasserschutz und Renaturierung zusammenzudenken und gemeinsam umzusetzen. In der Vergangenheit wurden Gewässer häufig verbaut, sodass sie ihre ökologischen Funktionen ganz oder teilweise verloren haben.

Wir wollen diese Funktionen wieder herstellen. Indem wir den ökologischen Zustand der Gewässer verbessern, setzen wir auch die Verpflichtungen durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie um. Durch die Renaturierung der Gewässer und den Rückbau von Ufermauern sinken zudem die Unterhaltungslasten des Hochwasserschutzes. Auch das ist ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit.“

Das Leipziger Auensystem unterscheidet sich da schon allein durch seine Größe. In der ist es deutschlandweit einmalig. Dazu kommt: Es liegt mitten in der Großstadt. Man kann also nicht einfach alles, was in den letzten 100 Jahren darin gebaut wurde, wieder entfernen. Und das Ganze beschränkt sich ja auch nicht nur auf die Burgaue. „Wir müssen den ganzen Fluss in den Blick nehmen“, sagt Günther. Man muss also auch mit Sachsen-Anhalt und Thüringen reden. Und auch auf sächsischem Gebiet gibt es noch andere mit ins Boot zu holen – die Stadt Zwenkau zum Beispiel.

„Und wie wir mit der Betonelster umgehen, dazu werden auch noch Gespräche geführt“, sagt Günther. Denn hier kann man im Leipziger Südraum besichtigen, wie ein völlig naturferner kanalisierter Fluss aussieht. Das kann auch nicht so bleiben. Aber um diesen Abschnitt der Weißen Elster wieder in einen naturnahen Fluss zu verwandeln, braucht es mehr als zehn Jahre.

An der Betonelster im Leipziger Süden. Foto: Ralf Julke
An der Betonelster im Leipziger Süden. Foto: Ralf Julke

Dabei drängt die Zeit: Bis 2026 muss auch Sachsen Fortschritte bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und echte Verbesserungen in der Gewässerqualität und der Artenvielfalt an und in den Flüssen melden.

„Einiges“, so Günther, „ist ja mittlerweile in Bewegung gekommen.“ Und verweist auf die im Oktober begonnene Deichöffnung am Deich am Ratsholz, mit der künftige auch schon mittlere Hochwasser in den südlichen Auwald kommen. „Die Deichöffnung ist so angelegt, dass wir sie künftig auch noch vertiefen können, um auch kleine Hochwasser in den Wald zu bekommen.“

Das Bauerngrabensiel wird gerade umgebaut, um künftig als leistungsfähiger Ablass für Hochwasser aus der Burgaue dienen zu können. Die Deiche am Möckerschen Winkel werden entwidmet.

Was freilich noch nicht mehr Wasser in die Aue bringt, das weiß auch Günther. „Das wird erst passieren, wenn wir das Wasserregime in der nördlichen Aue ändern. Die Landestalsperrenverwaltung (LTV) stellt sich der Aufgabe.“

Denn die muss nun klären, wie sie durch eine neue Regulation im Gewässerknoten mehr Wasser in Nahle und Weiße Elster leitet und den Zufluss zur Neuen Luppe verringert. Was sowieso mit einem Umdenken auch bei der LTV zusammenhängt, die auch und gerade vor dem Hintergrund von Klimawandel und Wasserrahmenrichtlinie alle ihre laufenden Projekte hinterfragen muss.

Aber was passiert jetzt im Leipziger Gewässerknoten? Wird jetzt alles so umgesetzt, wie es im im November vorgestellten Konzeptpapier steht, das unter Federführung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig entstand? Immerhin haben ja auch all jene mit daran geschrieben, die vorher kaum an einen Tisch zu bekommen waren.

Doch der Einladung des Umweltministers folgten sie dann doch und zeigten in erstaunlicher Einmütigkeit, dass sie eigentlich alle vom selben Ziel träumen: die gesamte Weiße Elster wieder in einen richtigen naturnahen Fluss mit gesunden Auen zu verwandeln. Aber da ist sich auch Günther sicher: „Das wird ein Generationenprojekt.“

Zum Konzeptpapier selbst sagte er: „Mit dem Papier haben wir zum ersten Mal einen umfassenden ökologischen und bereichsübergreifenden Ansatz für die Revitalisierung des Leipziger Auensystems in der Hand. Damit haben wir jetzt die Chance, die vielen verschiedenen Interessenträger rund um den Auwald hinter einer gemeinsamen Strategie zu versammeln, sprich, Verbände, die beteiligten Kommunen, Landkreise, Landestalsperrenverwaltung, forstliche Nutzer, Landwirtschaft und die vielen anderen Nutzerinnen und Anrainer in und um den Auwald. Ich freue mich darauf, auf Grundlage des Strategiepapiers die Gesundung des Auwalds zu gestalten – gemeinsam mit den regionalen Akteurinnen und Akteuren und mit der fachlichen Begleitung der Autorengruppe.“

Alle 70 Konzeptbausteine wird man sich jetzt genau anschauen. Und einige wird man sehr bald umsetzen müssen – so wie die Bespannung der Alten Luppe im Projekt „Lebendige Luppe“. „Das Projekt ist ja so angelegt, dass es sich einfügt in das Auenentwicklungskonzept“, so Günther. Das Konzept will das Projekt „Lebendige Luppe“ 2023 vorlegen. Und ein Ziel ist klar: Es soll so viel Dynamik in die Aue zurückkehren wie möglich.

Erläuterungstafel der Landestalsperrenverwaltung am Luppewehr. Foto: Ralf Julke
Erläuterungstafel der Landestalsperrenverwaltung am Luppewehr. Foto: Ralf Julke

Nur: Das ganze Projekt muss größer werden. Und das wird Geld kosten und einen starken Fördergeldgeber brauchen, so Günther. Und das Bundesamt für Naturschutz ist ja schon Förderpartner im Projekt „Lebendige Luppe“. Jetzt gehe es darum, ein richtiges Auenrevitalisierungsprojekt daraus zu machen, ein Naturschutzgroßprojekt, in das auch die Akteure in den Leipziger Nachbarkommunen mit eingebunden werden. Und natürlich das Bundesamt für Naturschutz, denn für Sachsen allein ist die Aufgabe ein bisschen zu groß. „Andererseits hat so ein Projekt einen Riesenreiz“, sagt Wolfram Günther.

Der sich sehr gut vorstellen kann, wie hier ein durch Kanalisierung und Bergbau massiv verändertes Flusssystem wieder zu einer Flussaue wird, wie sie die Menschen vor 150, 200 Jahren noch kannten. „Die Menschen, die heute leben, kennen nur den eingedeichten Fluss“, sagt Günther. „Die können sich nicht mal vorstellen, wie die Flussaue tatsächlich einmal ausgesehen hat.“

Und es ist ein großer Fortschritt, dass jetzt endlich alle Beteiligten an einem Tisch sitzen und die Dinge abstimmen. Was aus dem Konzeptpapier umsetzbar ist und in welchen Schritten es möglich ist, das wolle man 2021 besprechen. Allein das Papier sei schon ein Meilenstein.

„Vor einem Jahr noch wäre so etwas undenkbar gewesen“, sagt Günther. Und nun schätzt er ein: „Die wollen alle, dass was passiert.“ Denn die ausgetrocknete Aue braucht eine Langfristperspektive und gleichzeitig erste schnelle Maßnahmen, die das Problem des fehlenden Wassers wenigstens lindern. Und von der Dimension her, so Günther, wäre ein Projekt für die weit über Leipzig hinausreichende Redynamisierung der Weißen Elster auch geradezu prädestiniert als Förderprojekt für EU-Mittel.

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