LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 72, ab 25. Oktober 2019 im HandelAm Dienstag, 22. Oktober, protestierten sie in ganz Deutschland und auch in Leipzig gegen das von Bundesagrarministerin Julia Klรถckner (CDU) vorgelegte Agrarpaket. Die Bauern fรผhlten sich mal wieder zum Buhmann gemacht, der Bauernverband kritisierte, nicht einbezogen gewesen zu sein. Auf Facebook grรผndete sich daraufhin die Gruppe โ€žLand schafft Verbindungโ€œ, die dann am Dienstag maรŸgeblich die Bauern auf ihren Treckern in die Innenstรคdte des Landes schickte.

Offenbar fรผhlten sie sich seit langem nicht mehr gehรถrt, so sehr, dass es mal wieder eine Lรผcke fรผr die AfD ergab, den einen oder anderen Einmischungsversuch zu starten. Doch das Problem liegt mal wieder da, wo Reformen keine Reformen, sondern Refรถrmchen sind.

Der Grund fรผr den Aufstand, den die Bauern fortsetzen wollen: Anfang September hatten Julia Klรถckner und die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) das Agrarpaket vorgestellt, das unter anderem einen Ausstieg aus der Glyphosat-Nutzung vorsieht, mehr Schutz fรผr Insekten und ein neues Tierwohl-Kennzeichen. Auch enthรคlt es neue Auflagen, um das Grundwasser vor zu viel Nitrat durch รœberdรผngung zu schรผtzen. Alles Dinge, wie auch Klรถckner betonte, die im Grunde auf Auflagen der EU zurรผckgehen und lรคngst schon รผberfรคllig sind.

Und von Naturschรผtzern begrรผรŸt und gleichzeitig kritisiert werden. Denn โ€ž4.000 Jahre der normalen Beackerung mit dem Pflug, um das Unkraut zu vernichtenโ€œ, so auch Tobias Mehnert, Vorsitzender Naturschutzverband Sachsen e. V. und der Grรผnen Liga Sachsen, am 21. Oktober 2019 im MDR, ist wohl nun das Ende der letzten 40 Jahre โ€žIrrwegโ€œ mit โ€žChemie auf den ร„ckernโ€œ dran. Die bisherigen MaรŸnahmen der Regierung seien dennoch nicht ausreichend.

Verรคnderungen ja, aber wer zahlt?

Nur trifft das ganze Paket auf eine Agrarwirtschaft, in der die Kosten-Preis-Relationen seit Jahren nicht mehr stimmen, was nicht nur mit den Fehlwirkungen der EU-Agrarpolitik zu tun hat, sondern auch mit der Billig-Politik der groรŸen Einzelhandelskonzerne. Sie sind es, die den Bauern schon seit Jahren Preise diktieren, die eine umweltschonende Produktion kaum noch zulassen und der weltweite Konkurrenzkampf trรคgt das seine zum Zustand auf den ร„ckern bei.

Es fรผhrt kein Weg an einer anderen Preispolitik vorbei, die Bauern รผberhaupt erst wieder ermรถglicht, umwelt- und tiergerecht zu produzieren. Die Bauern brauchen echte Unterstรผtzung, um wieder umweltgerecht ackern zu kรถnnen.

Es passierte nicht am 22. Oktober 2019, dass die Bauernvertreter wach wurden. Das Thema brannte fรผr die Arbeitsgemeinschaft bรคuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) Sachsens schon im September, als das Agrarpaket bekannt wurde. Und der sรคchsische AbL-Landesvorsitzende Michael Grolm kommentiert das Agrarpaket am 4. September 2019 so: โ€žDie staatliche Tierwohl-Kennzeichnung fรผr Fleisch und Milch muss jetzt schnell kommen und mit aussagekrรคftigen Kriterien fรผr Klarheit und Orientierung im Markt sorgen. Es ist gut, dass immer mehr Unternehmen und Handelsunternehmen besondere Tierwohl-Marken auflegen und damit eine qualitรคtsbezogene Marktdifferenzierung vorantreiben.โ€œ

Klingt nach jeder Menge Zustimmung zu den bisher kleinen MaรŸnahmen, wenn das Wรถrtchen โ€žAberโ€œ nicht wรคre. Denn so Grolm weiter: โ€žAber die Verbraucher am Kรผhlregal brauchen eine staatliche Einordnung, um das Tierwohl-Niveau vergleichen zu kรถnnen. Und wir Bauern brauchen diese Einordnung, damit wir zu vergleichbaren Anforderungen bei den verschiedenen Abnehmern kommen, um nicht von einem abhรคngig zu werden. Klar ist aber auch, dass eine Kennzeichnung allein nicht ausreicht, um in der Tierhaltung insgesamt ein gesellschaftlich akzeptiertes Tierwohl-Niveau umzusetzen. Das kostet Milliarden, fรผr die bisher noch keine Finanzierung auf dem Tisch liegt.โ€œ

Hoher Verรคnderungsdruck bei Flรคchenbewirtschaftung und Nutztierhaltung

Die LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 72, Ausgabe Oktober 2019. Foto: LZ (zum VergrรถรŸern klicken)
Die LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 72, Ausgabe Oktober 2019. Foto: LZ (zum VergrรถรŸern klicken)

Die Bundesregierung sieht nun auch endlich fรผr das Jahr 2020 eine Umschichtung von Direktzahlungen vor. Doch den Bauern ist das zu wenig. โ€žEs ist richtig, dass auch 2020 mindestens ein kleiner Teil der pauschalen Flรคchenzahlungen genutzt wird, um damit zielgerichtete FรถrdermaรŸnahmen der Bundeslรคnder fรผr Umwelt-, Klima- und Tierwohl-Leistungen der Bรคuerinnen und Bauern zu finanzieren. Dass das nur 6 % sein sollen, ist bescheidenโ€œ, sagte Grolm.

Beim Glyphosat freilich forderte die AbL sogar selbst ein frรผheres generelles Ende der Zulassung. โ€žDazu sind umfassendere ร„nderungen im Ackerbau notwendig. Es ist daher wichtig, dass die Bundesregierung sich schnell auf eine entsprechend anspruchsvolle Ackerbaustrategie einigt. Und die Beratungseinrichtungen der Lรคnder mรผssen den Glyphosat-Ausstieg mit einer intensiven Beratung der Betriebe รผber die ackerbaulichen Alternativen aktiv begleitenโ€œ, fordert der AbL-Landesvorsitzende Grolm.

Und weiter โ€žBรคuerinnen und Bauern sind bereit, die Herausforderungen anzupacken. Aber sie dรผrfen mit den notwendigen Verรคnderungen nicht alleine gelassen werden. Sie brauchen wirtschaftlich tragfรคhige Perspektiven.โ€œ

Das ist der Punkt, an dem sich konventionelle Bauern und Biolandwirte aus gutem Grund einig sind. Als nun die Traktor-Proteste vom Dienstag bekannt wurden, verรถffentlichte die AbL auch noch einmal ihre Position, die sie schon im August formuliert hat. Denn die bringt ziemlich kompakt auf den Punkt, worum es jetzt geht.

Endlich weg von der Billigproduktion

Tobias Mehnert von der Grรผnen Liga Sachsen sieht das Ende von 40 Jahren Gift nach 4.000 Jahren Ackerpflug gegen Unkraut gekommen. Foto: Privat
Tobias Mehnert von der Grรผnen Liga Sachsen sieht das Ende von 40 Jahren Gift nach 4.000 Jahren Ackerpflug gegen Unkraut gekommen. Foto: Privat

โ€žWir Bauern und Bรคuerinnen stehen vor riesigen Herausforderungen. Wir stehen vor einem schwierigen รœbergang von der bisherigen Ausrichtung auf Billigproduktion hin zu einer umfassenden Qualitรคtsstrategie. รœber Jahrzehnte haben uns Politik, Agrarwirtschaft, Handel und Wissenschaft auf weltweite Kostenfรผhrerschaft eingeschworen. Das hat Hunderttausende bรคuerliche Betriebe gekostet. Jetzt mรผssen wir uns innerhalb weniger Jahre umstellen, um den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen an Tierwohl, Klimaschutz und Artenvielfalt in der Praxis gerecht zu werden. Das kostet Milliarden Euro, und die kรถnnen die bรคuerlichen Betriebe niemals aufbringen. Das mรผssen wir gesamtgesellschaftlich lรถsenโ€œ, formulierte Elisabeth Fresen, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bรคuerliche Landwirtschaft (AbL), die zentrale Forderung.

โ€žEs gibt nicht nur den einen Weg, sondern es muss einen Mix aus mehreren MaรŸnahmen zur Finanzierung des Umbaus gebenโ€œ, fรผgt AbL-Vorsitzender Martin Schulz hinzu. Und stellt den Forderungskatalog auf, mit dem aus seiner Sicht ein Ausweg mรถglich ist.

โ€žErstens mรผssen die vorhandenen Fรถrdermittel in EU, Bund und Lรคndern neu ausgerichtet werden. Dazu muss die laufende Reform der EU-Agrarpolitik in Brรผssel und Berlin wesentlich ehrgeiziger angepackt werden als bisher. Zweitens brauchen wir einen groรŸen Schub in der Marktdifferenzierung, damit viel mehr Qualitรคtsprodukte in der Laden- und Metzgertheke zu fairen Preisen und mit einer aussagekrรคftigen Kennzeichnung angeboten und gekauft werden. Beides reicht aber nicht, um die Mehrkosten des Umbaus zu tragen.โ€œ

Seine Folgerung dafรผr ist unter anderem eine Anhebung der Mehrwertsteuer, โ€ždeshalb geht an zusรคtzlichen Finanzierungsquellen kein Weg vorbei. Die Angleichung der Mehrwertsteuer fรผr Fleisch und Eier an den allgemeinen Satz von 19 Prozent ist eine Option, es gibt aber auch andere Wege, deren Vor- und Nachteile jetzt intensiv diskutiert werden mรผssen, um dann bald politisch darรผber zu entscheiden. Darรผber hinaus seien โ€žauch Verbesserungen im Fachrecht notwendig, besonders im Dรผngerecht, im Tierschutz, im Bau- und Genehmigungsrecht fรผr tiergerechte Stรคlle sowie im Pflanzenschutz. Insgesamt mรผssen wir erreichen, dass wir allen noch bestehenden bรคuerlichen Betrieben verlรคssliche und wirtschaftlich tragfรคhige Perspektiven mit gesellschaftlicher Akzeptanz erรถffnen.โ€œ

Das Fazit von Schulz und Fresen: โ€žVerรคnderungen immer nur abzuwehren bringt uns ebenso wenig weiter wie die weit verbreitete Haltung, an Bรคuerinnen und Bauern immer mehr Forderungen zu stellen und sich dann bei der Finanzierung der Kosten in die Bรผsche zu schlagen. Jetzt sind alle gefordert, einen Beitrag zu leisten und sich konstruktiv einzubringen.โ€œ

Zรถgern auf allen Politikfeldern

Alles weist demnach auf eine CDU/SPD-Politik hin, die sich schon beim Klimaschutz und in der Energiewende fรผr Zรถgern und Zaudern entschieden hat, auch auf dem Acker eher als eine Maus auftritt. Es kรถnnte also sein, dass ab jetzt รถfter Landmaschinen durch die Innenstรคdte fahren und โ€“ ganz nach โ€žExtinction Rebellionโ€œ-Art โ€“ den Verkehr lahmlegen. Vielleicht lรถst sich ja so zumindest das Autothema rascher, als mancher glaubt.

Gesamt betrachtet ist es ein schlechtes Zeugnis fรผr die nun 14-jรคhrige Politik โ€žder kleinen Schritteโ€œ, wenn sich zunehmend alle Interessensgruppen in einem Land zu immer mehr Demonstrationen genรถtigt sehen, um sich Gehรถr zu verschaffen.

Die neue โ€žLeipziger Zeitungโ€œ liegt an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Besonders in den Szenelรคden, die an den Verkรคufen direkt beteiligt werden. Oder einfach abonnieren und direkt im Briefkasten vorfinden.

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