Der Fall des vor 14 Jahren im Dessauer Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh beschäftigt noch immer Behörden, Politik und private Initiativen. Vor allem letztere vertreten die These, dass Jalloh von Polizisten ermordet wurde. Die Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt wollte zur Aufklärung einen Untersuchungsausschuss einsetzen, scheiterte jedoch mit dem Antrag. Daraufhin folgten ein Farbanschlag auf ein Grünen-Büro, eine Antifa-Demonstration in Halle und heftige Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten in den sozialen Medien.
Der Landtag in Sachsen-Anhalt hat einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur Aufarbeitung der Todesumstände von Oury Jalloh abgelehnt. Am Donnerstag, den 28. Februar, stimmte lediglich die Linksfraktion für ihren Antrag. Während die AfD den Antrag ablehnte, enthielt sich die regierende Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Insbesondere das Abstimmungsverhalten der Grünen sorgte anschließend für heftige Kritik.
Der PUA sollte sich mit dem Tod des abgelehnten Asylbewerbers Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle am 7. Januar 2005 befassen. Nach offiziellen Angaben hat der gefesselte und stark alkoholisierte Mann in seiner Zelle einen tödlichen Brand ausgelöst. Doch an dieser Darstellung gibt es massive Zweifel: Aus Sicht vieler Initiativen und eines hochrangigen Ermittlers spricht vieles dafür, dass Jalloh von Polizisten getötet wurde.
Ziel des Antrags war es deshalb auch, die staatlichen Ermittlungen der vergangenen 14 Jahre zu untersuchen. Die Linksfraktion wollte klären, ob „alle juristischen und kriminologischen Möglichkeiten ausgeschöpft“ und welche Fehler seitens der Ermittler gemacht wurden.
Justizskandal bleibt wohl unaufgeklärt
Henriette Quade, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, kritisierte in der Landtagsdebatte „Polizisten, die lügen und schweigen, eine Gesellschaft, die nicht nach den Todesumständen eines schwarzen Asylbewerbers fragt, eine Politik, die Verantwortung von sich wegschiebt, und eine Justiz, die entscheidende Fragen nicht stellt“. Durch die Ablehnung des Antrags werde der „Justizskandal weiter nicht aufgeklärt“.
In einer Pressemitteilung bezeichnete Jens Kolze, der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, den Untersuchungsausschuss als „keinesfalls notwendig“. Der Rechtsausschuss habe sich bereits darauf verständigt, zwei Sonderberater einzusetzen. Zudem verwies er auf das laufende Klageerzwingungsverfahren, das sich gegen die Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft richtet.
SPD und Grüne argumentierten ebenfalls mit den juristischen Beratern. Sebastian Striegel, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, warf den Linken zudem vor, „Schaufenster-Anträge“ zu stellen und „Symbolpolitik“ zu betreiben. Die Antragssteller hätten sich im Vorfeld nicht darum bemüht, Mehrheiten zu finden – die es seiner Auffassung nach sowieso nicht gegeben hätte. Die Grünen hätten sich an das mit den Koalitionspartnern vereinbarte Verfahren gehalten.
Kritik aus den eigenen Reihen
Doch selbst in der eigenen Partei sorgte dieses Vorgehen für Unmut. Astrid Rothe-Beinlich, die parlamentarische Geschäftsführerin der Landtagsfraktion in Thüringen, schrieb auf Twitter: „Fremdschämen. Ich verstehe das beim besten Willen nicht.“ Ähnlich äußerte sich Jürgen Kasek, ehemaliger Landessprecher in Sachsen: „Woran ich keine Zweifel habe? Dass Oury Jalloh Mord war. Woran ich Zweifel habe? An Regierungsbündnissen mit der CDU. Danke für nichts.“
Die Grüne Jugend Sachsen-Anhalt reagierte hingegen zwiegespalten auf die Enthaltung der Fraktion. Ein Untersuchungsausschuss sei für die Aufklärung unverzichtbar. Jedoch müsse man zuvor die Arbeit der Sonderberater abwarten. Diese wurden bislang allerdings noch nicht tätig. Zur Begründung heißt es, dass erst der Ausgang des Klageerzwingungsverfahrens abgewartet werden müsse.
Auch aus den Reihen des SPD-Nachwuchses gab es Kritik. Marco Rietzschel, der Vorsitzende der Leipziger Jusos, bezeichnete das Abstimmungsverhalten von SPD und Grünen als „peinlich und beschämend“.
Demo und Farbanschlag
Am Tag nach der Abstimmung folgten etwa 100 Personen einem Demoaufruf des „Offenen Antifaplenums Halle“, um den „Protest und unsere Wut“ über die Entscheidung auf die Straße zu tragen.
Eine weitere Aktion gab es bereits in der Nacht zuvor. Unbekannte hatten ein Parteibüro der Grünen mit „Antifa“, „Oury Jalloh“ und „Das war Mord“ beschmiert. Christian Franke-Langmach, ehemaliger Landesvorsitzender der Partei in Sachsen-Anhalt, bezeichnete den Farbanschlag als „Ergebnis des aussichtslosen Schaufensterantrags der Linksfraktion“. Unter anderem deren Mitglied Henriette Quade wies diesen Vorwurf scharf zurück.
Neben den Parteien und Politiker/-innen meldeten sich auch außerparlamentarische Initiativen zu Wort, zum Beispiel die nach einem Todesopfer neonazistischer Gewalt benannte Amadeu-Antonio-Stiftung. Diese bezeichnete die Ablehnung des PUA als „vergebene Chance, bei der die demokratischen Parteien geschlossen hätten zeigen können, dass ihnen die Aufklärung zum Tod von Oury Jalloh wichtig ist“.
Wahrscheinlich Mord, aber ohne Beweise
Im Laufe der Jahre waren Beweisstücke verschwunden oder plötzlich aufgetaucht, hatten Polizisten vor Gericht gelogen und ermittelnde Staatsanwälte immer wieder die Mordthese verworfen. Erst durch ein privates Brandgutachten der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ wurden neue Ermittlungen in Gang gesetzt.
Im vergangenen November stellte die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Sachsen-Anhalt das Ermittlungsverfahren jedoch wieder ein. Es gebe weder Beweise noch ein Motiv dafür, dass Polizisten oder Dritte den Mann aus Sierra Leone getötet haben.
Ein Jahr zuvor hatte allerdings ein langjähriger Ermittler der Staatsanwaltschaft Dessau in einer Akte vermerkt, dass Jalloh kurz vor seinem Tod mit Brandbeschleuniger übergossen und dann angezündet worden sei. Als Motiv nannte er eine mögliche Vertuschung früherer Todesfälle im Dessauer Polizeirevier. Kurz darauf übernahm die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren und stellte die Ermittlungen ein.
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