Am 13. Februar erfreute ja die LVZ ihre Leser mit einer Liste von Großprojekten, die im Vorschlagspapier der Kohlekommission zu finden sind – lauter Projekte, die in Leipzig heftig umstritten sind, weil sie Stadt- oder Naturräume zerstören. Und man durfte sich wirklich fragen: Hat irgendjemand, der diese Projekte an die Kommission weitermeldete, überhaupt darüber nachgedacht?
Die Projekte findet man alle im Anhang zum Vorschlagspapier der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, der Kürze halber auch Kohlekommission genannt, das sie am 25. Januar vorlegte. Es ist ein janusköpfiges Papier, das im grundlegenden Informationsteil tatsächlich definiert, was in den betroffenen Kohlerevieren alles passieren kann, um diese Regionen für die Zukunft nach der Kohle tauglich zu machen. Für jedes Revier gibt es detaillierte Vorschläge, auch für das Mitteldeutsche Revier.
Und diese Vorschläge sind so konkret, dass nun eigentlich die Initiativen in den Regionen sich hinsetzen und die Sache mit Projekten untersetzen könnten.
Aber genau das wird im selben Papier torpediert – eben durch die langen Projektlisten im Anhang, die schon suggerieren, alle betroffenen Reviere wüssten schon, was machbar ist, und jetzt müsste das Geld nur noch fließen.
Allein für den sächsischen Teil des mitteldeutschen Reviers hat Sachsen 118 Projekte angemeldet. In dieser Liste tauchen all die Projekte auf, die die LVZ am 13. Februar herausgefiltert hat.
Nr. 15 der Flughafenausbau
Nr. 16 der Ausbau des S-Bahn-Netzes
Nr. 18 die Machbarkeitsstudie für den zweiten S-Bahn-Tunnel
Nr. 27 die Schließung des S-Bahn-Rings
Nr. 30 die Tieferlegung der B 2 am agra-Park
Nr. 34 die Schließung des Mittleren Rings
Nr. 39 der Ausbau des Elster-Saale-Kanals
Nr. 83 eine neue große Veranstaltungshalle
Nr. 94 das neue Naturkundemuseum
Erstaunlich ist die Liste nicht nur, weil sie ein Sammelsurium von lauter halben, vagen oder überhaupt nicht durchdachten Ideen ist, sondern weil sie im Anschluss auch gleich noch in kurzfristige und mittel- bis langfristige Projekte aufgegliedert wird. Als hätte jemand darüber nachgedacht, was gleich gebraucht wird und was später in die Visionen der Kohlekommission passt.
Fast alles, was oben aufgelistet wird, steht in der mittel- bis langfristigen Liste. Nur die Machbarkeitsstudie für den zweiten City-Tunnel findet man in der kurzfristigen Liste.
In der Endphase der Sitzungen der Kohlekommission wurden alle betroffenen Kohleländer (plus Niedersachsen und Saarland) um solche Projektlisten gebeten. Und wurden auf dem kalten Fuß erwischt. Auch Sachsen. Die Lausitzer Projektlisten sehen nicht besser aus, die aus Sachsen-Anhalt auch nicht. Augenscheinlich haben dann alle betroffenen Regierungen wie wild Projektideen aus den betroffenen Regionen abgefragt.
So bestätigt es uns auch das Leipziger Rathaus.
„Die in den Medien genannten Projekte sind Beispielprojekte, welche in hoher Geschwindigkeit zu benennen und über den Freistaat an die Kohle-Kommission des Bundes zu übermitteln waren“, teilt uns Pressesprecher Matthias Hasberg mit. „Wir sprechen hier über Projektvorschläge – was davon in welchem Umfang und in welcher Form tatsächlich als geeignet und realisierbar für eine spätere Förderung angemeldet werden soll, muss der jetzt angelaufene Arbeitsprozess zeigen. Darüber hinausgehende Aussagen wären zum jetzigen Zeitpunkt weder durch notwendige Untersuchungen gedeckt, noch belastbar bzw. insgesamt spekulativ.“
Man merkt schon: Irgendetwas ist da schiefgelaufen. Die Beteiligungsprozesse in den Regionen, die überhaupt erst einmal belastbare Strukturvisionen entwickeln sollen, sind ja gerade erst gestartet. Einiges aus den Listen wird bestimmt dort wieder auftauchen – und zwar das Sinnvolle, so wie die ganzen Pläne für Speicherstandorte, Forschungszentren, Wasserstoffprojekte, Solarparks.
Für das Mitteldeutsche Revier hat die Kohlekommission ja eine entsprechende Vision skizziert:
„Mitteldeutschland wird einer der Vorreiter bei der Digitalisierung der industriellen Wertschöpfungsketten sein. Daraus entstehen Fabriken der Zukunft, in denen mit möglichst geringem Energieverbrauch, einer optimierten CO2Bilanz, digitalsmarten Produktionslösungen und 5GKonnektiviät rationell und ressourcenschonend die vierte industrielle Revolution stattfindet. Als Wissens-, Forschungs-, Transfer- und Bildungsregion verfügt das Mitteldeutsche Revier hierfür über ideale Voraussetzungen. Mit den traditionsreichen Universitäten Leipzig und Halle, der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, der Hochschule Merseburg und der innovativ aufgestellten Handelshochschule Leipzig existiert ein hohes Zukunftspotenzial, welches es zu nutzen gilt.
Dazu plant die Universität Halle die Wiederetablierung der Technikwissenschaften und ein Strukturwandelinstitut in Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Stadt Halle. Leipzig und Halle werden sich künftig als Smart Cities etablieren. Der Smart Infrastructure Hub Leipzig und der Smart Systems Hub Dresden bieten vertiefte Ansatzmöglichkeiten für die Entwicklung neuer Verkehrs und Elektromobilitätskonzepte. In der Universitätsstadt Halle werden Grundlagen für einen autonomen und hochautomatisierten ÖPNV etabliert.“
Und gleichzeitig sieht man die gute Gelegenheit, auch das Thema Demographie klüger zu gestalten, als das bislang der Fall war:
„Innovationshub und lebenswerte Heimat: Da Landflucht, Abwanderung und demografischer Wandel das Mitteldeutsche Revier vor große Herausforderungen stellen, ist diese Region prädestiniert, als Modell bzw. Laborregion an der Entstehung neuer technologischer Lösungen aktiv mitzuwirken. Hierbei ist die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen, sowohl vom ländlichen Raum her als auch im Kontext der StadtUmland-Beziehung zu denken.“
Da hinein passen ja die von Sachsen und Sachsen-Anhalt gleichermaßen vorgebrachten Wünsche, das S-Bahn-Netz im Süden Leipzigs und im Süden Sachsen-Anhalts auszubauen. Bis jetzt ist es nur ein Rumpfnetz. Und eigentlich ist es viel zu spät, den Ausbau des Netzes irgendwie in die Langfristigkeit zu verschieben, auch wenn Bahn-Bau-Pläne nun einmal lange brauchen.
Und was die künftige Energielandschaft betrifft, formuliert es die Kohlekommission so:
„Im Mitteldeutschen Revier sehen die Nutzungskonzepte der Braunkohleregionen für erneuerbare Energien eine teilweise direkte Nachnutzung der Bergbaufolgelandschaft vor. Mit den Projekten Energiepark Amsdorf und Energiepark Profen sind neben der Errichtung von Photovoltaikanlagen, Speicheranlagen sowie Windkraftanlagen auch Wertstoffhöfe (einschließlich Phosphorrückgewinnung) und die Einrichtungen der Geothermie bzw. Erdwärmeversorgung in Verbindung mit Gewächshäusern und Kurzumtriebplantagen vorgesehen. Bei der Sektorkopplung durch PowertoX-Technologien kann an vorhandene regionale Aktivitäten zum Thema grüner Wasserstoff – HYPOSProjekt – angeknüpft werden.“
Aber die Antwort aus dem Leipziger Rathaus zeigt eben auch etwas, was zur Tragik der ganzen Diskussion gehört: Weder die betroffenen Landesregierungen noch die betroffenen Städte und Landkreise haben das Thema Kohlesausstieg für sich jemals durchdekliniert. Leipzig hat – genauso wie die umliegenden Landkreise – einfach alles „nach oben“ gemeldet, was irgendwo als wilde oder auch gescheiterte Idee durch die Rathausflure geisterte. Eben auch den Elster-Saale-Kanal, der wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn macht, aber als Wirtschaftsförderprojekt verkauft wird. Frei nach dem Motto: Wenn es in der Liste steht, wird es der Bund wohl auch bezahlen.
Die Gefahr: Die angemeldeten Projekte blockieren dann all das, was die Beteiligungswerkstätten in den Regionen selbst als wirklich machbare Zukunftsvision entwickeln. Und Verwaltungen und Regierungen werden auf die Liste verweisen, wenn sie begründen wollen, warum man das Geld lieber in Tunneln versenkt, als es zum Beispiel in wirklich kluge Verkehrssysteme zu stecken.
Die Projektliste aus Sachsen-Anhalt für das mitteldeutsche Revier findet man im Abschlussbericht der Kohlekommission im Anhangteil ab Seite 80, die aus Sachsen ab Seite 118.
Die Sendung “Monitor” am 22.02.2019 über weitere “Projekte” auf der Liste
Jetzt befeuert sogar noch die Kohlekommission den Frachtfluglärm in Leipzig
Jetzt befeuert sogar noch die Kohlekommission den Frachtfluglärm in Leipzig
Es gibt 3 Kommentare
Es gibt ein dutzend Politiker und Verwalter Tiefensee, Jung, Rosenthal, Berkner, Steinbach und Mitläufer Köpping, Graichen, Lantzsch, Schulz, Heymann und Erfüllungsgehilfen Dittmar, v. Fritzsch etc.. Organisiert in einem halben dutzend Vereinen wie dem sogenannten Grünen Ring Leipzig, Zweckverband Kommunales Forum Südraum Leipzig, Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, Leipzig weiter denken, Regionalen Planungsverband Westsachsen (kein Verein) die mit gefaketen Bürgerbeteiligung a’la Charta 2030, Pleißemühlgraben oder aktuell zur grün-blauen Infrastruktur u.ä. solche Projekte auf die Schiene heben und wahrheitswidrig behaupten, sie seien “die Region”. Wobei “die” mit “Region” die staatlichen Strukturen verstehen, die Bürger demgegenüber sich – was ein eklatanter Widerspruch ist.)
https://www.rpv-westsachsen.de/projekte/gewaesserverbund/
So findet man die dortigen Projekte ebenso wieder beim sogenannten Grünen Ring Leipzig oder in der sogenannten “Metropolregion” Mitteldeutschland.
Eine Handvoll Politiker bekommen so ihre Projekte (außer ressourcenfressenden, naturvernichtenden, gering qualifizierten und schlecht bezahlten Wassertourismus, den es nicht mal gibt, fällt denen nix ein.) nach Berlin.
Milliarden der Kohlekommission als Wahlkampfgeschenk in den Zirkusring geworfen, Brot und Spiele fürs Volk kurz vor den gefürchteten Wahlen, Hauptsache es kracht? Lassen sich die Menschen, die in den ehemaligen Tagebauen gearbeitet und/oder von ihnen gelebt haben, so billig an der Nase herumführen? Da ist für die Leipzig die Tieferlegung der B2 noch ein sinnvolles, mit den Auswirkungen des Braunkohltagegbaues sinnvoll zusammenhängendes Projekt (ja, lieber Uwe). Die Renaturierung der Betonelster bei Zwenkau und der (gerade betonierten) Pleiße neben der B2 wären ähnlich ursächlich mit dern Braunkohle verbunden und würden zudem helfen, die Zahlung von Strafgeldern an die EU wegen Nichterfüllung der Wasserrrahmenrichtlinie ersparen. Nicht aber ein Elster-Saale-Kanal, für den dann massenweise Folgekosten anfallen werden statt Innovationen zum Umgang mit dem Klinamwandel oder nachhaltige Arbeitsplätze.
Jetzt passiert das, was passieren würde, wenn man Kindern, deren Schule abgebrannt ist, die nun neu gebaut werden soll, sagen würde: “Wünscht Euch mal was!” Unreflektierte, nicht durchdachte und völlig an der Realität und dem, was bewältigt werden muss, vorbeigehende Größenfantasien: Wer am lautesten brüllt, hat die besten Aussichten auf Erfolg.
Schön, dass es Deutschland so gut geht!
Die “Nr. 30 die Tieferlegung der B 2 am agra-Park” ist keine “halbe, vage oder überhaupt nicht durchdachte Idee”, sondern angesichts des Zustandes der Brücke und der Verschandelung des agra-Parkes durch die B2 eine überfällige Korrektur dieser DDR-Sünde!