Die Leipziger, die sich in Bürgerinitiativen engagieren, die haben es mit der Zeit gelernt, amtliche Unterlagen zu lesen und sich auch noch durch den dreißigsten Anhang eines Planwerks zu arbeiten, um herauszufinden, was wirklich auf sie und ihre Stadt zukommt. Ein solches Planwerk ist der „Regionalplan Leipzig-Westsachsen 2017“. Der beschreibt unter anderem, wo noch Wohnhäuser gebaut werden dürfen. Und wo nicht. Nämlich weil schwere Frachtflieger übers Dach dröhnen. Zündstoff für die Fluglärmgeplagten im Leipziger Norden.
Sie haben sich durch das vielbändige Werk (für das die Bürgerbeteiligung bis März läuft) gearbeitet und sind in den „Zweckdienlichen Anlagen“ fündig geworden. Dort wird beschrieben und erklärt, warum sich das sogenannte „Siedlungsbeschränkungsgebiet“ rund um den Flughafen Leipzig/Halle deutlich vergrößert. Etwas, was die Betroffenen eigentlich wissen.
Aber der Planungsverband Westsachsen hat sich nicht auf die windelweichen Messungen des Flughafens verlassen. Er hat vom Institut für Umweltschutztechnik und Bauphysik Obermayer die Fluglärmbelastung rund um den Flughafen neu berechnen lassen. Und er geht auch nicht mehr davon aus, dass die nächtliche Frachtflugbewegung keinen Einfluss auf die Lärmentwicklung hat. Im Gegenteil: Die Berechnungen nehmen das auf, was am Flughafen längst Realität ist.
„Die Lärmbelastung in der Umgebung des Flughafens Leipzig/Halle wird insbesondere von den Flugbewegungen in der Nacht bestimmt“, heißt es dazu im entsprechenden Fachkonzept „Siedlungsbeschränkungsbereich für den Verkehrsflughafen Leipzig/Halle“, geschrieben übrigens im März 2017. „Gemäß LEP 2013 ist dem SBB mindestens die Umhüllende der Fluglärmkonturen mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 55 dB(A) für den Tag und 50 dB(A) für die Nacht zugrunde zu legen. Zur besonderen Berücksichtigung der Nachtfluglärmbelastungen wird zusätzlich ergänzend ein Häufigkeits-Maximalpegelkriterium von 6 mal 68 dB(A) Außenpegel für die Nacht herangezogen.“
Das Büro Obermeyer hat diese Grenzen berechnet. Und es überrascht nicht, dass damit auch weitere Teile des Landkreises Nordsachsen und der nördlichen Leipziger Ortsteile erfasst werden.
„Die Gebietskulisse des künftigen SBB weist gegenüber dem im Regionalplan Westsachsen 2008 festgelegten SBB in der Summe einen deutlich größeren Umgriff auf, auch wenn im Bereich um den Werbeliner See der Umgriff kleiner wird. Der veränderte räumliche Umgriff hat seine Ursachen in abweichenden Modellparametern, insbesondere der Berücksichtigung von schwereren Flugzeugklassen, der stärkeren Bündelung der Flugrouten, einer geringeren Zwischenanflughöhe sowie der Verwendung eines genaueren Berechnungsmodells“, kann man da lesen.
Das Ergebnis wirkt für die Mitstreiter der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ entsprechend frustrierend. Denn damit bestätigt der Planungsverband eigentlich, dass es am Flughafen keine Lärmentlastung geben wird. Im Gegenteil. Jetzt gilt in einem wesentlich größeren Gebiet, dass dort keine Wohnbebauung mehr zulässig ist.
Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiative, bringt das in Verbindung mit Aussagen von Prof. Andreas Berkner, Chef des Regionalen Planungsverbandes Leipzig-Westsachsen, der ein „Umdenken und gleichzeitig ein kooperatives Entwicklungskonzept für Wohnbauflächen“, fordert. „Der Kerngedanke besteht darin, neue Bauflächen vorrangig in Gemeinden im Umland mit guter Verkehrsanbindung, beispielsweise S-Bahn-Haltepunkt, und Infrastruktur zu schaffen“, geäußert in der LVZ vom 25. Januar. Exemplarisch führt er dabei unter anderem Orte wie Jesewitz und Mockrehna an.
„Sonderbarerweise stehen seine Aussagen/Forderungen im krassen Widerspruch zum Entwurf des Regionalplan Leipzig-Westsachsen, freigegeben mit Beschluss Nr. VI/VV 09/01/2017 am 14. Dezember 2017 durch eben vorgenannten Regionalen Planungsverband Leipzig-Westsachsen, dessen Chef Andreas Berkner ist. Dieser Regionalplan sieht nun vor, das als Folge des DHL-Frachtdrehkreuzes im Jahre 2008 verordnete Siedlungsbeschränkungsgebiet im Nordwesten und nördlich von Leipzig nochmals um ein Vielfaches zu erweitern“, stellt Zimmermann fest.
Mockrehna ist zwar nicht betroffen. Aber Jesewitz liegt in dem deutlich erweiterten Beschränkungsgebiet kurz hinter Taucha. Und da liegt es, weil nach der Lärmberechnung die oben genannten Grenzwerte dauerhaft überschritten werden. Es darf also in Jesewitz künftig kein Wohnhaus mehr gebaut werden, auch keine Kita und keine Schule.
Und das sind nur Berechnungen. Auch Obermeyer kann nicht erfassen, welche Orte tatsächlich von hohen Lärmpegeln betroffen sind. Denn die Berechnungen sind statisch. Wenn der Wind dreht, bekommen auch ganz andere Orte den nächtlichen Fluglärm zu hören. Was ja die regelmäßigen Bürgerumfragen in Leipzig zeigen.
Leipziger Ortsteile wie Lindenthal, Seehausen, Wahren, Lützschena-Stahmeln, Böhlitz-Ehrenberg, Burghausen, Rückmarsdorf melden schon seit Jahren überhöhte Lärmbelastung, obwohl sie nur in Teilen im sogenannten Siedlungsbeschränkungsgebiet liegen. Das heißt: Die dort Wohnenden haben nicht einmal einen Anspruch auf passiven Schallschutz. Deswegen ist die Diskussion um die „kurze Südabkurvung“ so heikel, denn sie wird von Obermeyers Berechnungen nicht erfasst. Das heißt: Seine Lärmberechnungen weisen im Leipziger Westen keine Lärmbelastung aus, obwohl die Ortsteile massiv unter den abkürzenden Frachtfliegern leiden und genauso ihren nächtlichen Dauerlärm von bis zu 60 Dezibel und mehr abbekommen.
Das Siedlungsbeschränkungsgebiet beschreibt nicht nur ein dauerverlärmtes Gebiet – es bringt auch einige dauerhafte Verbote mit sich:
– Ausweisungsverbote neuer Siedlungsflächen (Raumordnung),
– Entschädigungsansprüche (FluglSchG),
– Bauverbote für Wohnungen,
– Passiver Lärmschutz durch den Flughafenbetreiber (FluglSchG),
– Bauverbote für schutzbedürftige Einrichtungen,
– Passiver Lärmschutz durch die Immobilienbesitzer/Betreiber (FluglSchG).
„Haben sich das die Vertreter der Kommunen intensiv verdeutlicht? Ist dies im Stadtrat zu Leipzig und den anderen betroffenen Städten und Gemeinden ausgiebig diskutiert worden?“, fragt Zimmermann. Und stellt fest: „Die Gemeinden werden in Teilen ihrer städtebaulichen Entwicklung und kommunalen Selbstverwaltung beraubt. Der Flughafen wächst über die Kommunen hinaus. In den Siedlungsbeschränkungsgebieten wird also in den nächsten Jahrzehnten kein Neubau von Wohngebieten, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Freizeiteinrichtungen usw. mehr möglich sein. Direkt betroffen davon sind, zumindest in Teilen, Leipzig, Schkeuditz, Taucha, Jesewitz, Eilenburg, Krostitz, Rackwitz und Wiedemar. Wer derartige Auswirkungen sich exemplarisch vergegenständlichen will, sollte sich die Betroffenheit der Stadt Offenbach im Zusammenhang mit dem Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main ansehen. Dort liegen mittlerweile von 254 bestehenden schutzbedürftigen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern 228 in Bauverbotszonen. Immerhin, und das ist kein Spaß, Leipzig hat eine Ausnahmefestlegung für den Golfplatz Seehausen beantragt. Ist aber nicht genehmigungswürdig. Andere Gemeinden waren da schon fleißiger, was aber am Grundproblem nichts ändert. Ausnahmeregelungen vertreiben nicht die Belastung“
Für Zimmermann liegen die Gründe für diese Vervielfachung der Siedlungsbeschränkungsbereiche auf der Hand. Er zählt auf:
1. Die Weigerung von DHL, die im PFB enthaltene Auflage zur gleichmäßigen Bahnnutzung zu akzeptieren. Derzeit erfolgen über 90 % aller nächtlichen Starts und Landungen über die stadtnahe SLB Süd. Demzufolge sind die ursprünglichen Lärmgrenzen nicht mehr einzuhalten.
2. Die örtliche Fehlplanung des Flughafens. Niemals hätte man DHL an der stadtnahen Südbahn ansiedeln dürfen.
3. Die Verweigerung der Landesregierung, sich im Interesse ihrer Bürger mit DHL anzulegen.
4. Das Ziel der Dresdener Landesregierung, LEJ als zentralen Frachtflughafen für Deutschland auszubauen. Die Passagierzahlen dümpeln gegenüber den vollmundigen Prognosen beim Ausbau dahin, und damit auch die Einnahmen. Frachtverkehr soll’s richten. Der Koalitionsvertrag CDU/SPD dient als „verpflichtendes“ Papier.
„Und somit wird das ganze Komplott hinter und auf dem Rücken der Bürger zur Rettung einer Fehlplanung rund. Mit der Vervielfachung des Siedlungsbeschränkungsgebietes um den Flughafen herum ist der Regionale Planungsverband zu 100 % den Forderungen von DHL und dem Flughafen gefolgt“, meint Zimmermann. „Zudem greifen die von Herrn Tillich ausgehandelten Verträge mit einem der großen Logistiker Chinas nur, wenn die Frachtfluglanderechte erweitert werden. Schlussstein und Zementierung des Ganzen soll der Regionalplan Leipzig-Westsachsen sein. Die Interessen und die langfristige Entwicklung der von der Siedlungsbeschränkung betroffenen Städte und Gemeinden, insbesondere derer Bürger, wird den Interessen der Luftfrachtlobby, insbesondere DHL, geopfert. Es liegt jetzt an den gewählten Bürgermeistern, Stadt- und Gemeinderäten, Parteien, Umweltverbänden u. a. Organisationen, diesen Wahnsinn noch zu verhindern. Einsprüche und Stellungnahmen zu dem vorliegenden Entwurf können bis 29. März 2018 abgegeben werden.“
Vielleicht kann man es auch anders sehen: Mit der veränderten Größe des Siedlungsbeschränkungsgebietes zeichnet der Planungsverband erstmals ein realistisches Bild der Lärmbelastung im Norden. Und vor allem ist die Größe des Gebiets eine klare Warnung: In diesem Gebiet macht sensible Bebauung keinen Sinn. Sie ist schlicht untersagt. Selbst Schul- und Kita-Bauten sollten zwingend außerhalb dieses Gebietes erfolgen.
Und deutlich mehr Menschen haben ein Recht darauf, dass die Flughafengesellschaft einen passiven Schallschutz für ihr Haus bzw. ihre Wohnung finanziert.
Flughafen Leipzig/Halle soll ein deutlich größeres Lärmschutzgebiet bekommen
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