Da waren wir nicht die Einzigen, die sich wunderten, als zu Jahresbeginn die „Störstellenbeseitigung“ in der Pleiße kommentarlos wieder aufgenommen wurde, obwohl seit 2015 klar war, dass damit der Lebensraum der Grünen Keiljungfer weitenteils zerstört würde. Und das ohne Einspruch der Landesdirektion, ohne Aufschrei der Umweltverbände. Wie war das möglich? Der Grünen-Landtagsabgeordnete Wolfram Günther hat nachgefragt.
Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) hat nun geantwortet. Und die Antwort verrät so einiges darüber, warum Umweltverbände in Sachsen zahnlos sind. Sie werden einfach ausgebootet. Anhörungen werden zur Farce. Und dann erklären zuständige Fachämter die Zerstörung von Lebensräumen einfach nur für temporär – nach den Bauarbeiten wird die Grüne Keiljungfer ja vielleicht wiederkommen.
Aber zuerst die Frage: Wie wurden die Naturschutzverbände ins Bockshorn geführt?
Ganz einfach, erklärt Minister Thomas Schmidt: „Nach Bekanntwerden der Tatsache, dass die Grüne Keiljungfer und die Asiatische Keiljungfer als streng geschützte Arten im Vorhabengebiet vorkommen, verständigten sich der Vorhabenträger, Kommunales Forum Südraum Leipzig, und die Planfeststellungsbehörde, die Landesdirektion Sachsen (LDS), zunächst darauf, dass der Vorhabenträger eine Änderung des Planfeststellungsbeschlusses beantragt, was mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 auch zunächst erfolgte. Im Verfahren zur Planänderung gemäß § 76 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) wurden die zuständigen unteren Naturschutzbehörden sowie die anerkannten Naturschutzvereinigungen angehört.“
Irgendetwas aber gefiel dem Vorhabenträger Kommunales Forum Südraum an dieser Verfahrensweise nicht.
Kurzerhand stieg man aus dem Verfahren aus und wählte einen anderen Weg. Thomas Schmidt: „Diesen Antrag nahm der Vorhabenträger mit Schreiben vom 26. April 2016 zurück und beantragte die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung gem. § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) direkt bei der hierfür zuständigen Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig.“
Schon das eine seltsame Begründung. Denn diese Ausnahmeregelung im Bundesnaturschutzgesetz darf nur angewendet werden, „wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert“.
Beides ist nicht der Fall. Zumutbare Alternativen wurden gar nicht erst gesucht. Und dass die vor Ort vorkommenden Arten massiv beschädigt werden, bestätigt auch Thomas Schmidt.
Aber das Komfortable an diesem Weg ist, so Thomas Schmidt: „Für die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist eine Anhörung der anerkannten Naturschutzvereinigungen nicht vorgeschrieben.“
Da waren die Umweltverbände also völlig umsonst zur Anhörung getappelt. Ein kleiner bürokratischer Federstreich – und sie sind raus.
Obwohl sich am Tatbestand nichts geändert hat.
Mit welcher Finesse man die Zerstörung des Lebensraums der Grünen Keiljungfer als zulässig erklärte, klingt in der Antwort des Umweltministers so: „Dort wird festgestellt, dass es zwar durch die Baumaßnahmen zur Tötung einzelner Individuen (Larven) und zu Schädigungen von Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Grünen Keiljungfer und Asiatischen Keiljungfer kommen werde (es also einer Ausnahmegenehmigung bedürfe), nicht jedoch durch den zu erwartenden Bootsverkehr. Auf ausgewählte Nebenbestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses zur Ufergestaltung und auf bereits heute (stärker) genutzte Abschnitte der Leipziger Stadtgewässer, an denen die Keiljungfern ebenfalls vorkommen, wurde hingewiesen. Es wird damit von einem (nur) zeitweiligen Verlust von Fortpflanzungs- und Ruhestätten für die Grüne und die Asiatische Keiljungfer durch das Vorhaben ausgegangen. Mit einer zügigen Wiederbesiedlung des Vorhabenbereiches nach Umsetzung der Baumaßnahme sei im Übrigen zu rechnen.“
Wie das gehen soll, erschließt sich natürlich nicht. Denn die „Fortpflanzungs- und Ruhestätten“ der Grünen Keiljungfer sind genau die Sandbänke im Fluss, die jetzt unter dem Titel „Störstellenbeseitigung“ abgebaggert werden.
Und das in einem Fluss, der bekanntlich seine Selbstreinigungskräfte fast völlig verloren hat. Stichwort: Pleißeverockerung. Auf viele Kilometer hin ist die Pleiße kanalisiert und wird daran gehindert, sich wieder wie ein natürlicher Fluss zu verhalten. Und dort, wo sie gerade begonnen hat, sich wieder wie ein Fluss zu verhalten – und Stromschnellen und Sandbänke bildet – wird sie wieder freigebaggert, um reibungslosen Bootsverkehr zu ermöglichen.
Das Problem der Naturschutzverbände in Sachsen ist: Um gegen diese sehr eigensinnige Interpretation des Bundesnaturschutzgesetzes einzuschreiten, müssten sie einen teuren Gerichtsprozess anstrengen. In dem ihnen wieder Behörden gegenüberstehen, die mit Steuergeldern problemlos auch bis in die höchste Distanz gehen und durchhalten können, egal, wie die Urteile ausfallen.
Aber diese Gelder für teure Gerichtsprozesse haben die Umweltverbände nicht. Eigentlich ist deswegen ihre Anhörung im Planungsprozess gefragt und ihre Einwände sind – wenn fachlich begründet – auch zwingend zu berücksichtigen. Was normalerweise dazu hätte führen müssen, die Pläne für die Pleiße deutlich zu verändern. Denn noch ein anders Problem lauert dahinter: Mit dem Wasserzustand der Note 5 genügt die Pleiße nicht der Wasserrahmenrichtlinie. Um die Reinigungsfähigkeit des Flusses zu erhöhen, müsste sie in weiten Teilen wieder renaturiert werden. Das ist gerade im kanalisierten Markkleeberger Abschnitt erforderlich.
Doch das hat in den Visionen der Ämter, die die Kanalisierung im Neuseenland vorantreiben, keinen Platz.
Deswegen stellen sie ihre „tourismuswirtschaftlichen Interessen“ einfach über den Naturschutz. Oder mit den Worten des Umweltministers: „Der zu erwartenden Beeinträchtigung werden als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses die Ziele des Regionalplans Westsachsen zum Gewässerverbund sowie mit der Störstellenbeseitigung erzielbare, gewässertouristisch nutzbare Wegebeziehungen und damit erreichbare, kommunal- und regionalpolitisch gewünschte wirtschaftliche Effekte gegenübergestellt.“
Da dürfte so manches Gericht zweifeln, ob das wirklich alles „zwingende Gründe“ sind.
Zumindest hat das Landratsamt Leipziger Land in seiner artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung die Auflage erteilt, dass die „Wiederbesiedlung des vom Vorhaben berührten Gewässerabschnittes der Pleiße durch die prüfrelevanten Libellenarten Grüne und Asiatische Keiljungfer (…) im Rahmen eines Monitorings zu dokumentieren“ sei. Und wenn man dann feststellt, dass der Lebensraum der beiden Flussjungfernarten tatsächlich verschwunden ist und sich keine neue Population ansiedelt?
„Sollte im Rahmen der Erfolgskontrolle/Monitoring nachgewiesen werden, dass beide Libellenarten sich auf den Flächen nicht dauerhaft ansiedeln und keine Reproduktion stattfindet, behält sich die untere Naturschutzbehörde des Landkreises Leipzig weitere Maßnahmen vor, die die Erhaltung der lokalen Population absichern.“
Welche das sein sollen, verrät die Ministerantwort nicht.
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