Für FreikäuferWenn man der Meldung der Stadt zum letzten stattgefundenen Dialogforum Flughafen Leipzig/Halle hätte glauben dürfen, die sie am 29. August verschickte, dann hätte sich das Forum längst erledigt. Denn am Flughafen wäre es zusehends leiser geworden und alle Wünsche der Anwohner nach Lärmminderung würden in Erfüllung gehen.

Was insbesondere in der Aussage zur Fluglärmkartierung zum Ausdruck kam: Neben der Berechnung von Lärmkarten für den 24-Stunden- und den Nachtzeitraum seien auch Betroffenheitsstatistiken zu erstellen, erzählte ein Abgesandter des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie im Dialogforum. Für die 24-Stunden-Belastung liege die niedrigste zu berichtende Klasse bei über 55 bis 60 Dezibel, für die nächtliche Belastung bei über 45 bis 50 Dezibel, hieß es in der Meldung. In den Nachtstunden seien in Leipzig zirka 2.000 Personen betroffen. In Schkeuditz, Schkopau und Kabelsketal liege die Zahl deutlich höher.

Im Vergleich zur letztmaligen Kartierung sei die Betroffenheit sogar etwas zurückgegangen, wobei dies auf den veränderten Flottenmix zurückzuführen sei.

Was Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiativen „Gegen die neue Flugroute“ und „Gegen Flug- und Bodenlärm“ nur verblüfft. Jeden Monat bilanziert er die Lärmentwicklung und die Flugbewegungen gerade im Nachtzeitraum im Fluglärmreport, den er dann auch versendet.

Und das Problem ist: Augenscheinlich messen die amtlichen Lärmkartierer etwas anderes, als die Betroffenen rund um den Flughafen erleben.

„Die Belastungen der Bevölkerung durch Fluglärm und Luftschadstoffe aus dem Luftverkehr sowie Regelverstöße steigen kontinuierlich. Monat für Monat werden neue Negativrekorde erreicht“, schreibt er.

Das Problem ist: Auch das Landesamt berechnet den Lärm nur. Es misst ihn nicht.

„Die Pflicht zur Fluglärmkartierung 2017 ergibt sich auf der Grundlage, dass der Flughafen Leipzig/Halle mit mehr als 50.000 Bewegungen/Jahr als Großflughafen geführt wird. Als Ausgangsdaten wurden die Flugbewegungen aus dem Kalenderjahr 2016 herangezogen“, hieß es in der Mitteilung zum Dialogforum. „Der Bodenlärm wird im Rahmen der Lärmkartierung nicht berücksichtigt.“

Diesen Bodenlärm bekommen die Flughafenanwohner quasi kostenlos obendrauf: „Bodenlärm, der beispielsweise durch Triebwerksprobeläufe oder das Rollen von Flugzeugen zur Start- und Landebahn verursacht wird, stellt insbesondere für die an den Flughafen angrenzenden Leipziger Ortsteile eine große Belastung dar. Das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie erhofft sich durch die messtechnische Begleitung der Entwicklung des in den Jahren 2015 und 2016 angepflanzten Lärmschutzwaldes nördlich des Schkeuditzer Ortsteils Papitz und östlich des Grenzgrabens Leipzig-Lützschena wichtige Erkenntnisse zur Reduzierung von Bodenlärm.“

Aber das eigentliche Problem ist nicht der berechenbare Fluglärm, sondern der tatsächliche, der dadurch entsteht, dass neben moderneren und leiseren Maschinen auch immer wieder schwere und vor allem alte und laute Maschinen starten und landen, deren Lärmspitzen weit über Pegeln von 50 oder 60 dB liegen und zwar auch in der Nacht. Sie sorgen dafür, dass die Nachtruhe zerhackt wird und der Lärm eben keinen einheitlichen Pegel hat. Und auch die Zahl dieser „Heavy“-Flieger hat 2017 deutlich zugenommen.

So nahmen die nächtlichen Starts und Landungen zwischen 22 und 6 Uhr im August auf rund 2.950 (+ 5,7 %) im Vorjahresvergleich zu, davon wurden rund 1.940 (+11,6 %) in der besonders gesundheitskritischen Nachtkernzeit (00:00-05:00 Uhr) registriert. Davon wurden 97,9 % von der stadtnahen SBL Süd abgewickelt und etwa 1.805 (+16,2 %) Flugbewegungen zählten zur Flugzeugklasse Heavy.

Dass Menschen, die so etwas über Jahre erleben, ohne dass sich irgendeine politische Instanz bemüßigt fühlt etwas zu ändern, irgendwann politikverdrossen werden, ist aus Zimmermanns Sicht eigentlich erwartbar.

Längst auch hätte die Kurze Südabkurvung neu geregelt werden müssen. Der Bundestag hat der Petition dazu ja mit großer Mehrheit zugestimmt. Aber die sechs Wochen sind herum und der verantwortliche Verkehrsminister sieht sich nicht einmal bemüßigt, irgendetwas zu tun.

Oder mit den Worten von Zimmermann: „Seit der Verabschiedung unserer Petition im Bundestag am 29.06.2017 sind inzwischen 10 Wochen vergangen. Seit 10 Wochen warten mehr als 60.000 Bürger aus Leipzig auf ein Signal des Bundesverkehrsministers (CSU) zur Umsetzung des Beschlusses des Bundestages, die kurze Südabkurvung abzuschaffen und damit für ein Zeichen der Fluglärmentlastung in Leipzig sowie Glaubhaftigkeit der Politik zu sorgen. Schreiben unserer Bürgerinitiative blieben bisher unbeantwortet, ja sogar ohne Eingangsbestätigungen. Ähnlich erging es Abgeordneten und Kandidaten bei ihren Anfragen zum Thema. Der OBM von Leipzig, ansonsten um Schnellschüsse gegen die Landesregierung oder Unterstützung in dessen politisches Konzept passende Vereine nicht verlegen, hält sich dezent zurück. Herr Jung (SPD) ist Mitglied im Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Airport Holding. So viel zu den Ursachen diverser Politikverdrossenheit.“

Eigentlich wurde das Dialogforum Flughafen Leipzig/Halle 2013 auf Beschluss des Stadtrates wieder eingerichtet, um sich „unter Beteiligung von Vertretern der DHL am Standort Leipzig/Halle, des Flughafens Leipzig/Halle, des Bürgermeisters für Umwelt, Ordnung, Sport, des Bürgermeisters für Wirtschaft und Arbeit, Vertreter der Bürgerinitiativen, der Fraktionen im Stadtrat und der Ortschaftsräte“ mit den „im Spannungsfeld liegenden divergierenden Interessen des Flughafens und seiner Nutzer einerseits und denen der Anwohner des Flughafens andererseits auseinanderzusetzen“.

Aber diese Auseinandersetzung findet sichtlich nicht statt. Es geht alles seinen alten Gang und die zuständigen Minister verfallen einfach in Arbeitsverweigerung.

Das ist dann sozusagen eine Wurschtegal-Demokratie. Nur dass es nicht die Bürger sind, die mit dem „wurschtegal“ angefangen haben, sondern augenscheinlich völlig überbezahlte Minister, die in ihrem Amt überhaupt nichts auf die Reihe kriegen, dafür umso mehr Schaden anrichten.

Besonders frappierend fand Zimmermann übrigens, dass jetzt auch der fliegende Billigheimer Ryanair nachts starten darf, wie ihm lustig ist. So wie am 11. August, als um 0:12 Uhr eine Ryanair-Maschine startete und augenscheinlich den Beginn eines regelrechten nächtlichen Himmelschaos über Halle und Leipzig auslöste.

Der ganze Fluglärmbericht für August.

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