Am 19. Juni meldeten mehrere Medien, was ihnen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ins Haus flatterte. So in der Art des „Spiegel“, der gleich mal titelte: „Zu viele Eigenheime auf dem Land Immobilien-Euphorie sorgt für Häuserschwemme“. Auch die LVZ berichtete von diesem Zahlensalat, ohne die eigene Kompetenz vor Ort zu nutzen. Und erntet postwendend eine harsche Kritik von Landrat Kai Emanuel.

Möglich, dass andere Landräte und Bürgermeister ähnlich reagieren. Denn was das arbeitgebernahe Institut, das gern auch mit der INSM zusammenarbeitet, da mit zusammengerechneten Zahlen herausgehauen hat, ist mehr oder weniger Unfug.

Was Nordsachsens Landrat Kai Emanuel sehr deutlich auf den Punkt bringt: „Im Durchschnitt war der See einen Meter tief, und trotzdem ist die Kuh ertrunken.“

Diese ländliche Weisheit fällt Nordsachsens Landrat Kai Emanuel (parteilos) ein, wenn er von den Ergebnissen einer Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft zur Wohnungssituation in Sachsen liest, worüber dann auch die LVZ am 20. Juni, auf Seite 4, berichtet. Als drastische Fehlentwicklung werde da kritisiert, dass im Landkreis Nordsachsen der Bestand an Wohnungen um 209 gestiegen sei, obwohl keine neuen benötigt würden.

„Im Durchschnitt mag das stimmen, dennoch gibt es an der einen Stelle eben Bedarf an neuem Wohnraum und an anderer Stelle nicht. Es baut doch keiner zur Erhöhung des Leerstands“, so Emanuel. „Unser Landkreis ist heterogen. Er reicht vom Schkeuditzer Flughafen im Westen rund 100 Kilometer bis an die Elbe im Osten. Da gibt es völlig verschiedene Problemlagen, die sich nur regional differenziert lösen lassen.“

Aber dahin kommt man, wenn man sich als Zeitung nicht mit demografischen Bewegungen beschäftigt. Tut Sachsens Regierung zwar auch nicht. Aber so eine Ignoranz macht blind.

Das zweite Jahr hintereinander berichtete die Stadt Leipzig davon, dass sie zwar mit fast allen Gegenden der Bundesrepublik einen positiven Wanderungssaldo hat – es wandern mehr Menschen nach Leipzig, als in umgekehrter Richtung wegziehen. Nur mit den beiden angrenzenden Landkreisen ist es anders. Es ziehen wieder mehr Menschen in die Umlandgemeinden, weil in Leipzig das Wohnungsangebot deutlich verknappt ist. Worauf sogar das IW hinweist. Leipzig gehört zu jenen Großstädten, in denen der Wohnungsbau eindeutig nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithält.

Doch da das IW das Thema wieder einmal so betrachtet, als seien die Wohnungsmärkte von Städten und Kreisen geschlossene Gebilde und Menschen würden niemals pendeln, kommt Blödsinn dabei heraus. Das Baupreisniveau, auf dem so penetrant herumgeritten wird, bremst zwar den Wohnungsbau in den großen Städten aus. Aber Menschen sind keine Container, die man irgendwo abstellt. Sie agieren und reagieren. Und sie weichen aus, wenn in Leipzig-Mitte nichts mehr zu finden ist. Davon profitieren zuallererst die direkt angrenzenden Städte wie Taucha, Markkleeberg und Markranstädt.

Aber neu ist, dass jetzt auch Städte weiter entfernt profitieren, wo die S-Bahn Anschluss verschafft. Eilenburg macht dafür ja richtig Werbung. Und es lohnt sich, dort zu bauen. Diese Städte haben am Aufwärtstrend in Leipzig direkten Anteil. Deswegen sind die Lamentationen aus Köln („Wohnungsmangel in den Städten, Leerstand auf dem Land“) so völlig unangebracht. Mit Wirtschaftsdenken haben sie auch nichts zu tun.

Und im Landratsamt möchte man schon gern wissen, wie belastbar das alles ist.

Das Landratsamt habe gerade erst beim Leibniz-Institut für Länderkunde eine Demografie-Studie in Auftrag gegeben, teilt es mit.

Die Leipziger Forscher sprechen bereits von drei sich überlagernden Trends: Reurbanisierung und Wachstum der Großstädte, Stabilisierung im ländlichen Raum und internationale Wanderungen.

„Die wissenschaftliche Untersuchung der demografischen Entwicklungen soll uns die Möglichkeiten geben, Zukunftsszenarien für Nordsachsen zu entwickeln und den Landkreis optimal aufzustellen“, begründet Landrat Emanuel das Demografie-Projekt. „Auch wenn Leipzig wächst: Im Saldo verzeichnet Nordsachsen seit 2014 Wanderungsgewinne gegenüber der Großstadt, insbesondere in deren Umlandgemeinden. Und bei entsprechender Nachfrage entstehen dort dann auch neue Wohnungen. Was nichts am Leerstand andernorts ändert. Wodurch es im Landkreis dann insgesamt mehr Wohnungen geben kann, als tatsächlich benötigt. Aber eben nur im Durchschnitt. Wie bei der Kuh in dem Teich, der eigentlich nur einen Meter tief ist.“

Für Leipzig weist das IW Köln sogar eine Unterdeckung beim Baubedarf von 60 Prozent aus – es wird um 60 Prozent zu wenig gebaut, um den Bedarf zu decken. Was dann Bauherren im Landkreis Leipzig freut, der mit 235 Prozent „Überdeckung“ auftaucht – aber damit eben auch Bedarfe aus Leipzig auffängt. Nordsachsen hat sich beim Bauen sogar noch sehr zurückgehalten. Aber es ist absehbar, dass die Städte an der S-Bahn nachziehen werden. Denn bislang wirkt die Region wie ein Magnet. Aber wem sagt man das im fernen Köln?

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017, ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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