Nichts ist in Deutschland so verlogen wie die Steuerdiskussion. Immer dann, wenn sich im Bundeshaushalt so etwas wie ein Überschuss abzeichnet – möglicherweise 18 Milliarden Euro im Jahr 2016 – kommen die Kofferträger der Reichen und Besserverdienenden aus ihren Löchern und fordern: „Steuern runter“. Auch das Nachrichtenmagazin aller Leichtgläubigen, der „Spiegel“, tutet in das Horn – während den Kommunen im Land die finanzielle Basis erodiert.

Denn dass die aktuelle Bundesregierung überhaupt von einer „Schwarzen Null“ oder Einnahmeüberschüssen reden kann, hat mit der rigiden Umverteilungspolitik der letzten Jahre zu tun. Immer mehr – vor allem soziale – Aufgaben wurden bis hinunter in die Kommunen delegiert. Doch selten bis nie wurden auch die ausreichenden Finanzen mit durchgereicht.

Der Bundeshaushalt wurde entlastet. Aber wer zahlt die Kosten?

Der „Spiegel“ holte gleich mal wieder den „geschröpften Bürger“ aus der Klamottenkiste.

Mit einer vernünftigen Staatswirtschaft hat diese Denkweise nichts mehr zu tun.

Es ist kein Zufall, dass es immer mehr Landkreisen und Gemeinden in Sachsen schwerfällt, überhaupt noch einen genehmigungsfähigen Haushalt hinzubekommen. Das ist die Kehrseite der Politik symbolischer „Neuverschuldungsverbote“. Auf einmal stehen Kommunen, die mit Pflichtaufgaben überschüttet sind, wie Sünder im Regen, wenn sie den steigenden Berg sozialer Aufgaben auch aus ihrem freiwilligen Etat nicht mehr gegenfinanzieren können.

An kaum einer Stelle wird so deutlich, wie sich die Schwerverdiener im Land auf Kosten der Geringverdiener nicht nur bereichern, sondern sich mit geradezu schallender Arroganz immer mehr aus der Finanzierung des Gemeinwesens zurückziehen. Und es ist schon erstaunlich, mit welcher Lautstärke sich Medien wie „Der Spiegel“ diesem Ruf der Gier anschließen – obwohl in anderen Ausgaben lang und breit über die maroden Infrastrukturen im Land geschrieben wurde.

Fehlen nun auch dort schon die Redakteure, die 1 und 1 zusammenzählen können?

Dass sich in Sachsen da gerade ein gewaltiges Problem zusammenschiebt, das macht der Linke-Landtagsabgeordnete André Schollbach deutlich, der nun sogar schon Monat für Monat nachfragt, wie es um die genehmigten Haushalte von Landkreisen und Gemeinden in Sachsen steht.

In den Vorjahren trat das Problem in der Regel erst auf der Genehmigungsebene auf, wenn die Landesdirektion die auf’s Knappeste bemessenen Haushalte nur noch mit starken Einschnitten und strengen Auflagen genehmigte.

„Spiegel“-Titel: „Steuern runter!“ Screenshot: L-IZ
„Spiegel“-Titel: „Steuern runter!“ Screenshot: L-IZ

Aber mittlerweile haben immer mehr Kommunen das Problem, dass sie schon in der Abstimmung im eigenen Kreistag oder Gemeinderat nicht zu einer abstimmungsfähigen Haushaltsvorlage kommen.

Im Juni waren es 50, im Juli immer noch 42 Gemeinden.

Auch im Juli haben es viele nicht geschafft, die Haushaltsvorlage für das laufende Jahr 2016 abzustimmen und zur Genehmigung einzureichen. Nach wie vor ist das dem Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge nicht gelungen. Ein Teil der Probleme, die sich da seit dem vergangenen Jahr als fremdenfeindliche Demonstrationen austoben, haben direkt mit den wirtschaftlichen und finanziellen Knappheiten in diesem Landkreis zu tun.

Aber auch auf Gemeindeebene tauchen immer stärker Finanzierungsengpässe auf. Und das betrifft nicht nur Gemeinden in den eher abgelegenen Landkreisen, sondern passiert auch direkt vor den Toren der großen Stadt Leipzig. Man hätte fast erwartet, dass die schwelenden finanziellen Probleme durchs Internet lodern. Aber die Nachricht, die man zum Beispiel zur Gemeinde Borsdorf im Osten Leipzigs findet, stammt aus dem Februar 2010: „Borsdorf stimmt Streichkonzert an“.

Und es hat nichts genutzt. Die ganze Sparerei und der Versuch, die Ausgaben immer weiter zu drücken nach dem Rezept, das scheinbar die sächsische Regierung so schön vorlebt, funktioniert einfach nicht mehr, wenn eine Gemeinde nicht über steigende Steuereinnahmen verfügt. Die Staatsregierung hat seit Jahren kein Problem, die „Schwarze Null“ zu erreichen. Tatsächlich erwirtschaftet sie jedes Jahr milliardenschwere Überschüsse, die zum großen Teil in Fonds und Rücklagen landen – im Generationenfonds zum Beispiel. Der ist zur Absicherung der Pensionszahlungen der künftigen Jahre vorgesehen. Das hat kaum ein anderes Land. Die meisten anderen Bundesländer bezahlen auch die Pensionen der Staatsdiener komplett aus dem laufenden Haushalt.

Gemeinden wie Borsdorf können nicht mal dran denken, solche Rücklagen zu bilden. Sie stehen finanziell mit dem Rücken an der Wand.

Neben Borsdorf betrifft das auch Grimma, das genauso wenig einen genehmigungsfähigen Haushalt für das Jahr 2016 vorgelegt hat wie die Gemeinden Kohren-Sahlis, Otterwisch und Naunhof, alle im Landkreis Leipzig gelegen.

Im Landkreis Nordsachsen, der finanziell eigentlich deutlich knapper aufgestellt ist, haben mittlerweile alle Gemeinden einen beschlossenen Haushalt zur Genehmigung eingereicht – die meisten auch schon lange genehmigt bekommen.

Leipzig hat seinen (Doppel-)Haushalt ja schon vor zwei Jahren geschnürt und 2015 genehmigt bekommen. Hier steckt man derzeit in der Diskussion um den (Doppel-)Haushalt 2017/2018.

Aber die Zahlen, die André Schollbach abfragt, zeigen im Grunde, dass da einiges in der sächsischen Finanzierungskonstruktion nicht (mehr) stimmt und eine Korrektur überfällig ist. Für die betroffenen Gemeinden ist das Märchen von der Schwarzen Null und dem Wirtschaften ohne Schuldenmachen an seine Grenzen gekommen.

Die Kleine Anfrage von André Schollbach zu den kommunalen Haushalten im Juli 2016. Drs. 5888

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