Wahrscheinlich läuft es auch in Leipzig auf das alte Grimm-Märchen hinaus: Die einen sind ihr Leben lang Hase und hetzen sich zu Tode in einem Rennen um bessere Lebensbedingungen und mehr Ehrlichkeit in der Stadtpolitik. Und die anderen sitzen als Swinegel in ihren Büros, rühren sich nicht vom Fleck und sind trotzdem immer schon da, wenn der Hase angehechelt kommt. Die Rennstrecke heißt: Flughafen Leipzig/Halle.
Der Kritikfelder gibt es viele – und bei den meisten wird getrickst, getäuscht und geschummelt, was der Swinegel so schafft am Tag. Anfang 2015 flog der Schwindel auf, dass der Flughafen nach über sieben Jahren noch nicht einmal die Hälfte des passiven Schallschutzes umgesetzt hatte. Vorher hatte man immer wieder lautstark behauptet, man habe das Meiste geschafft.
Ende des Jahres flog der Schwindel auf, dass – trotz Planfeststellungsbeschluss – jegliche Technik fehlt, die das nächtlich Kreuzen der Landebahnen absichern soll. Deswegen gibt es in der Nacht keine gleichmäßige Bahnverteilung und 99 Prozent der nächtlichen Starts und Landungen erfolgen auf der stadtnahen Südbahn.
Nun kämpfen die Mitglieder der Bürgerinitiativen gegen Fluglärm seit Monaten mit der Leipziger Stadtbürokratie, um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, ob Leipzig nun der Klage gegen die – immer noch illegale -kurze Südabkurvung beitritt oder beitreten darf. Der Leipziger Stadtrat hat das so beschlossen. Aber schon vorher tat sich Leipzigs Verwaltung schwer, hier einen Grund zum Klagen zu sehen, obwohl diese im Planfeststellungsbeschluss nicht enthaltene Flugroute direkt über städtisches Gebiet führt und mit dem Auenwald auch direkt über ein anerkanntes Naturschutzgebiet.
Man hat die Frage, ob Leipzig als betroffene Kommune der Klage der Grünen Liga beitreten dürfe, erst einmal ans Sächsische Oberverwaltungsgericht zur Prüfung gegeben. Jedenfalls bekam Lutz Weickert von der Stadt im Mai diese Aussage von der verantwortlichen Lärmschutzkoordinatorin Gabi Fischer. Die auch betonte, dass die Stadt Leipzig eigentlich auch die Position vertritt, dass die Kurze Südabkurvung abgeschafft gehört.
Da kommt dann wieder der Swinegel ins Spiel. Gabi Zimmer: „Aufgrund des Urteils vom 19.12.2013 stellte die Stadt Leipzig in der Fluglärmkommission am 19.03.2014 einen Antrag auf Aussetzung der Kurzen Südabkurvung. Dieser wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass die Kommission eine Aussetzung im Vorgriff auf die Sachentscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes nicht befürworten konnte.“
Die Fluglärmkommission ist sichtlich ein Gremium, das die Anliegen der vom Fluglärm betroffenen Kommunen nicht ernst nimmt. Dass ein Antrag der Stadt Leipzig in so einem Gremium überhaupt mit so einem Argument abgelehnt werden kann, spricht Bände. Es ist nicht das einzige Anliegen der Stadt, das in dieser Kommission abgebügelt, vertagt, zerredet wird. Was auch damit zu tun hat, dass Leipzig bis heute keine deutliche Position in Sachen Fluglärm vertritt und in der Kommission eigentlich doppelgesichtig auftritt – ganz zaghaft als Sachwalter der lärmbetroffenen Bürger, aber augenscheinlich auch windelweich als Miteigentümer der Mitteldeutschen Flughafen AG. Und über allem steht die Aussage des OBM, der im letzten OB-Wahlkampf deutlich gesagt hat, mit ihm werde es niemals eine Entscheidung gegen den Flughafen geben.
Das ist verständlich aus Sicht der so wichtigen Firmenansiedlungen, der Arbeitsplätze und der Rolle des logistischen Knotenpunktes.
Aber damit hat sich Burkhard Jung als OBM selbst in eine Position manövriert, in der er politisch nicht mehr handlungsfähig ist. Denn die Ansprüche auf Lärmschutz der betroffenen Bürger kann man auch dann vertreten, wenn man die wirtschaftlichen Belange berücksichtigt. Aber dann muss man das politische Gewicht der Stadt Leipzig auch in die Waagschale werfen, um die Lärmschutzbelange auch in belastbaren Verhandlungen mit Nutzern und Betreibern des Flughafens umzusetzen. Wer sonst, wenn nicht die Stadt Leipzig?
Doch Leipzig kneift.
Und das sorgt bei den Betroffenen für eine zunehmende Verstimmung. Erst recht, nachdem im Frühjahr mehrere Anfragen der Bürgerinitiativen auch im Leipziger Stadtrat ausweichend beantwortet wurden. Etwa zur fehlenden Sicherheitstechnik. Ziemlich scharfe Worte für dieses Has-und-Swinegel-Spiel findet Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“, in seinem neuen Fluglärmreport für den Juni. Darin gibt es dann auch die neuesten Zahlen zu nächtlichen Fluglärmbewegungen im Zeitraum Januar bis Juni 2016: 15.874 (rund 50 Prozent mehr als 2008), davon 10.086 in der Nachtkernzeit (0 bis 5 Uhr), ein plus von knapp 6 Prozent. 9.746 Flüge erfolgten mit schwerem (und damit oft sehr lautem) Fluggerät, das sind 61 Prozent mehr als 2008.
Das Frachtfluggeschehen in Leipzig nimmt kontinuierlich zu. Und da es zum großen Teil in der Nacht abgewickelt wird, bedeutet das für Ortschaften im Überfluggebiet nächtliche Lärmpegel von 55 Dezibel, aus denen dann immer wieder Lärmspitzen mit über 65 Dezibel herausragen.
Und da die Sache mit der Kurzen Südabkurvung so gut geklappt hat, hat man mittlerweile auch eine Kurze Nordabkurvung fest mit ins Programm genommen. Die auf diese Route nach Norden abbiegenden Maschinen erzeugen für den Leipziger Nordwesten neue Lärmspitzen. Was übrigens Anlass für die Beantragung neuer Lärmmessstellen in Trägerschaft der Stadt Leipzig gewesen war, was ja dann – siehe oben – die Stadtverwaltung aus Kostengründen abgelehnt hat.
Ob das OVG nun freilich sagt, Leipzig dürfe gemeinsam mit der Grünen Liga klagen, ist völlig offen. 2012 hatte das Oberverwaltungsgericht die Klage der Grünen Liga abgewiesen. Zu Unrecht, wie im Folgejahr das Bundesverwaltungsgericht feststellte. Denn genau das, was die Grüne Liga bemängelt hatte, hatte das OVG nicht wirklich geprüft: die Auswirkungen der Flugroute auf die überflogenen Schutzgebiete. Seitdem aber wird geprüft und geprüft. Und viele Eltern lesen – damit ihre Kinder was lernen über die Welt – ihnen zum Einschlafen das Märchen vom Has und dem Swinegel vor.
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