Nicht nur zum Werbeliner See und der Entscheidung der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Nordsachsen nimmt der Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald e.V. (NuKLA) Stellung. Denn während im Leipziger Norden ein wichtiges Stück Naturschutz gesichert wird, wird im Leipziger Stadtrat gerade ein Projekt vorbereitet, das für die Gewässerlandschaft die völlig falschen Weichen stellt.
Es geht um das „Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept“ für die Region Mitteldeutschland, von dem man sich, als es in Auftrag gegeben wurde, tatsächlich noch eine realistische Vision für eine bessere Vernetzung der Tourismusinitiativen in Mitteldeutschland erwarten konnte. Doch dann standen völlig frei erfundene Zahlen drin und lauter Leuchtturmprojekte, die den Fokus auf eine Art Tourismusentwicklung lenken, die mit den Gegebenheiten an Saale, Weißer Elster und Mulde nichts zu tun haben. Bis hin zum 106 Millionen Euro teuren Ausbau des Elster-Saale-Kanals.
Davon kann man träumen. Sicher. Vielleicht wird die Nachfrage ja einmal so groß, dass sich so ein Kanal rechnet, wachsen die 3.000 neuen Motorbootbesitzer in Leipzig und Halle aus dem Boden, die für die nötige Nutzerfrequenz sorgen. Bislang gibt es sie nicht. Und einen in den Umsatzstatistiken nachweisbaren „Wassertourismus“ auch nicht. Die neu entstehende Seenlandschaft lebt vor allem vom Wunsch der Anrainer nach Naherholung. Und wenn Gäste kommen, dann selten mit Motorboot auf dem Anhänger, aber – wie eine Zählung an der Schleuse Connewitz in diesem Frühjahr ergab – mit dem großen Wunsch, durch den schönen Floßgraben zu paddeln.
Übrigens kam auch die teuer beauftragte Studie zu dem Schluss, dass die naheliegenden Aufgaben in Mitteldeutschland eigentlich auf ein besser strukturiertes Angebot an Camping- und Caravaningplätzen hinausliefen. Die Region muss besser mit Rad und ÖPNV erschlossen sein und die Angebote müssen besser ausgeschildert sein. Dann kommen die Freiluftreisenden auch an die Gewässer – nicht nur. Denn die Haupttriebkraft der touristischen Entwicklung um Leipzig, Halle, Merseburg und Dessau ist und bleibt der Städtetourismus. Oder – das wird immer wieder vergessen – der Wunsch, eine einzigartige und artenreiche Flusslandschaft erleben wollen. Naturschutz als Tourismusfaktor? Das scheint es im Leipziger Rathaus als Gedanke überhaupt nicht zu geben.
„Das soeben beschlossene Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Region hätte gut daran getan, derlei Aspekte zu integrieren: als Voraussetzung für den Erhalt des Wertes der Bergbaufolgelandschaft für die Lebens-, Erholungs- und Freizeitqualität der hier lebenden Menschen und damit zwangsläufig auch für deren Gäste oder Kultur- und Städtetouristen, die auch die Angebote der Gewässer nutzen wollen“, kritisiert Wolfgang Stoiber, der Vorsitzende des NuKLA e.V. „Es ist eine Frage der Mathematik bzw. des gesunden Menschenverstandes, sich auszurechnen, was passiert, wenn hier jeder See alles anbietet, was es anzubieten gibt. Die kluge, ursprüngliche Idee, jedem See ein eigenes Gesicht und Nutzungskonzept zu geben, ist schon längst dem Hype um Fördermittel, egoistischer Großmannssucht und unverhohlenen Rivalitäten zum Opfer gefallen. So viel zur Qualität aktueller ‚Gesamtkonzepte‘.“
Tatsächlich wird durch dieses am Ende genau auf die gewünschten „Leuchtturmprojekte“ zugeschnittene Konzept das Pferd von hinten aufgezäumt. Statt erst einmal die grundlegenden Strukturen zu schaffen, dass Naturtouristen sich in der Region wohl fühlen und die notwendigen Strukturen vorfinden, will man gleich ein Schiffshebewerk für Schaulustige hinbauen. In völliger Ignoranz, dass die Region mit touristischen Attraktionen geradezu gespickt ist. Alle innerhalb weniger Stunden per Rad, Bus oder Bahn erreichbar. Hier ist kein karges englisches oder brandenburgisches Hinterland, in dem ein Schiffshebewerk die einzige Attraktion weit und breit ist. Touristische Attraktionen aller Art sind per Rad, Bus oder Bahn in alle Richtungen leicht erreichbar. Aber das kommt in diesem seltsamen Papier nicht mal vor, das seinen Namen nicht verdient. Und trotzdem will es Leipzigs Bürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) im Stadtrat unbedingt als Beschlussvorlage einbringen.
Eigentlich pfuscht der völlig unterforderte Umweltbürgermeister damit der Kulturbürgermeisterin und dem Wirtschaftsbürgermeister schlicht ins Ressort und packt ein weiteres touristisches Konzept obendrauf zu ungefähr drei anderen, die auch nicht zueinander passen und dem Stadtrat jegliche Entscheidungsspielräume zu touristischen Schwerpunktsetzungen in Leipzig aus der Hand nehmen.
Das ist auch in diesem Fall wieder eine Form der Auslagerung von politischer Verantwortung.
Ein Phänomen, das im Leipziger Rathaus immer öfter sichtbar wird. Es werden Kommissionen, Arbeitsgruppen, Steuerungsgruppen oder Zweckverbände gegründet, in denen auf einmal die Ämter verschiedener Kommunen miteinander aushandeln, was gemacht werden soll – und kein einziges gewähltes Parlament ist an der Entscheidungsfindung beteiligt. Und wenn dann etwas zum Abnicken kommt – wie die selige „Charta Leipziger Neuseenland“ im letzten Jahr – dann ist es ein Papiertiger, an den sich keiner hält und der den Stadträten nicht mal eine Handhabe gibt, Fehlentwicklungen vorzubeugen.
Der „Beschluss“ des Gesamtkonzepts ist erst einmal auf August vertagt. Aber man kann sich wohl sicher sein, dass wieder ein paar emsige Stadträte brav ihre Hand heben werden. Der ein oder andere freut sich bestimmt innerlich auch schon auf einen Sitz im Aufsichtsrat des nächsten Zweckverbandes.
Dass damit wieder die Politik für bessere Naherholungs- und Freizeitstrukturen in der Leipziger Region auf der Strecke bleibt, kümmert ja nicht, wenn man ein hübsches Pöstchen bekommt.
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