Aufblasen, tricksen, täuschen. Anders kann man den Umgang der Leipziger Stadtverwaltung mit dem vor drei Jahren beauftragten „Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum (TWGK)“ nicht bezeichnen. Ein unter wirtschaftlichen Aspekten völlig fragwürdiges Papier. Doch jetzt will es die Verwaltung dem Stadtrat sogar zum Beschluss vorlegen – samt Zusage für das „Leuchtturmprojekt“ Elster-Saale-Kanal.
Nein, man wolle nicht durch so ein Papier die Begründung für den Ausbau des Elster-Saale-Kanals schaffen, betonte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal 2013, als das Gutachten in Auftrag gegeben wurde. Als es dann fertig war, stand auch der Elster-Saale-Kanal samt Schiffshebewerk als „Leuchtturmprojekt“ drin. Nein, man wolle sich erst mal um die gesamte Region kümmern, die aufgezählten „Leuchtturmprojekte“ seien keineswegs prioritär, hieß es dann später.
Doch was die Verwaltung jetzt vorlegt, liest sich ganz anders. Gleich in Beschlusspunkt 2 heißt es: „Die Stadt Leipzig wird die Realisierung der Leuchtturmprojekte des Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzeptes durch geeignete und gesondert zu beschließende Einzelvorhaben unterstützen. Für sämtliche diesbezügliche Maßnahmen gilt der Haushaltsvorbehalt.“
Sicher könnte man das ganze Konzept als gute Arbeitsgrundlage betrachten – wenn nur die Zahlengrundlagen im Konzept stimmen würden.
Das haben wir an dieser Stelle schon einmal gründlich analysiert.
In der Studie wird im Grunde alles durcheinandergeworfen – Kultur- und Städtetourismus mit dem, was irgendwie als „Wassertourismus“ bezeichnet wird. Aber welchen Anteil der „Wassertourismus“ am Gesamttourismus der Region hat, weiß niemand. Das können auch die Studienautoren von BTE nicht berechnen. Sie behaupten einfach, er könne bis zu 30 Prozent am möglichen Tourismuswachstum annehmen.
Wobei sie freilich davon ausgehen, dass der Tourismus nicht durch die Wasserreisenden zunehmen wird, sondern dadurch, dass kulturelle Hotspots wie Leipzig noch zugkräftiger werden. Aber genau die dubiosen Touristenzahlen tauchen jetzt in der Vorlage der Verwaltung, an der sich tatsächlich drei Dezernate (Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport; Dezernat Kultur; Dezernat Stadtentwicklung und Bau) abgearbeitet haben, wieder auf.
Nämlich dort, wo in der Begründung von den induzierten Effekten gesprochen wird, nämlich der zusätzlichen Bruttowertschöpfung, die die Gutachter dem Segment Wassertourismus in der Region zuschreiben: „Sowohl bei der direkten Bruttowertschöpfung als auch der direkten Beschäftigung liegt das zusätzliche jährliche Steigerungspotenzial bei ca. einem Fünftel der tatsächlich erfassten Werte des Jahres 2012 – und damit in einer überaus beachtlichen Größenordnung. Mit einem prognostizierten jährlichen Zuwachs von insgesamt 171,9 Mio. Euro wird die immense Bedeutung des wassertouristischen Wirtschaftssegments für die öffentlichen Steuereinnahmen unterstrichen.“
Immense Bedeutung?
Nichts an dieser scheinbar so konkreten Zahl beruht auf einer konkreten Potenzialanalyse. Man hat einfach Effekte „angenommen“.
Alles nachlesbar in der Langfassung des TWGK auf Seite 119. (Link siehe unten)
Erste Annahme: Der Übernachtungstourismus in der Region nimmt innerhalb von 10 bis 20 Jahren um 50 Prozent zu. Wobei das schon eine seltsame Spanne ist, die davon zeugt, dass die Studienersteller nicht wirklich wissen, ob der touristische Zuwachs, wie er für die Zeit von 2002 bis 2012 messbar war (48,6 Prozent für die gesamte Region), so auch in den nächsten 10 bis 20 Jahren weitergeht. Man nimmt es einfach an – übrigens unter der Annahme, es passiere vor allem im Kultur- und Städtetourismus noch eine Menge mehr.
Auf Grundlage dieser angenommenen 50 Prozent hat man dann einfach eine Zunahme der Übernachtungszahlen um 4 Millionen in der Gesamtregion errechnet.
Und da man überhaupt nicht weiß, welchen Anteil der „Wassertourismus“ an den Gesamtübernachtungszahlen hat (man hat es im Zusammenhang mit dieser teuren Studie nicht einmal erhoben), haben die Ersteller der Studie einfach angenommen, der „Wassertourismus“ würde 30 Prozent Anteil an der Steigerung ausmachen.
Diese 30 Prozent sind der ganze Dreh- und Angelpunkt der Studie.
Dass er nirgendwo durch statistische Zahlen unterlegt ist, stellen die Autoren der Studie selbst fest: „Die im Rahmen des vorliegenden Gutachtens entworfenen und skizzierten Projekte konzentrieren sich auf den Bereich ‚Wassertourismus‘ und damit nur auf ein Segment der touristischen Attraktivität der Region. Der von den Gutachtern auf Basis der zurückliegenden Gesamtentwicklung erwartete Gesamteffekt mit Steigerungsraten zwischen 50 und 100 % in den nächsten 10 bis 20 Jahren darf daher nur teilweise auf die wassertouristischen Initiativen und Projekte zurückgeführt werden; kulturtouristische und weitere naturtouristische Angebote werden auch ihren Beitrag leisten (müssen). Vor diesem Hintergrund darf das künftige Wachstum nur zu ca. einem Drittel mit wassertouristischem Erfolg begründet werden; für die vorsichtige Abschätzung wird ein Anteil von rd. 30 % an den erwarteten Erfolgssteigerungen angesetzt.“
30 Prozent sind keine vorsichtige Abschätzung, sondern eine durch nichts untersetzte Erwartung.
Vielleicht noch in irgendeiner Weise „vorsichtig“ wäre ein Wert von 5 Prozent gewesen, der in einer Region wie der um Leipzig der Realität wohl näher käme. Was den ökonomischen Effekt des Wassertourismus rechnerisch deutlich senkt – statt 467 Millionen Euro zusätzlicher Bruttowertschöpfung in der gesamten Region sind es dann nur noch 60 Millionen im Jahr. In Leipzig dann statt über 100 Millionen Euro nur noch 20 Millionen.
Aber der Druck, die Stadtratsfraktionen zur Zustimmung für dieses neue Verwaltungsspielzeug zu bringen, ist gleich in der Vorlage dargestellt: „Mit dem TWGK wurde ein länderübergreifendes Strategiepapier geschaffen, welches nur in Verbindung mit der angeschlossenen und bereits positiv beschiedenen Umsetzungsphase sichtbare Ergebnisse generieren wird. Eine Ablehnung der Beschlussvorlage hätte gravierende Folgen, da in diesem Falle eine negative Signalwirkung sowohl auf die Mitgliedskommunen des Grünen Ringes Leipzig als auch auf die länderübergreifend angeschlossenen Partner in Sachsen-Anhalt übergeht und der Ansatz des Gesamtprojektes in Frage stehen würde. Darüber hinaus wäre im Falle einer Ablehnung künftig die Akquise von Fördermitteln für die gesamte Region erheblich gefährdet.“
So droht man Stadtratsmitgliedern, die vielleicht auf die Idee kommen könnten, die obskuren Zahlen zu hinterfragen. Was für gravierende Folgen hätte es eigentlich, wenn die teuren „Leuchtturmprojekte“ nicht gebaut werden? Wenn sich stattdessen auf eine Stärkung von Kultur- und Städtetourismus konzentriert wird und sich stattdessen Radwege und ÖPNV verbessern?
Das TGKW bezieht sich übrigens auch auf ebenso seltsame Studien zum Elster-Kanal-Projekt, dem eine Truppe namens ICL Ingenieur Consult regelrechte Millionengewinne errechnet hat. Und zwar so: „Wasserseitige Effekte entstehen u. a. aus der Nutzung des Kanals (Umsatz aus regionalem Neuverkehr, Ausgaben für Bootstouren, Unterhaltskosten für Boote, Kauf von Booten und Ausbau der Liegeplatzinfrastruktur) sowie aus der zusätzlichen touristischen Nachfrage. Die zusätzliche touristische Nachfrage entsteht maßgeblich durch eine Zunahme des Charterboot-Tourismus, Bootstourismus mit Eignerschiffen und durch Flusskreuzfahrten in der Region. Zusammen ergibt sich gemäß der Potenzialanalyse eine zusätzliche wasserseitige Nachfrage von ca. 9,9 Mio. Euro pro Jahr.
Weiter heißt es: „Landseitige touristische Effekte stellen die Ausgaben der Touristen für Eintritte für das Schiffshebewerk dar. Die Potenzialanalyse geht von einer sehr hohen touristischen Anziehungskraft des neuen Kanals und des Schiffshebewerks aus und veranschlagt ein Besuchervolumen von etwa 500.000 Besuchern pro Jahr. Durch die prognostizierten Besucher ergeben sich damit etwa 12,2 Mio. Euro an landseitiger Nachfrage. Insgesamt veranschlagt die Potenzialanalyse damit ein zusätzliches tourismusrelevantes Ausgabevolumen in Höhe von 22,1 Mio. Euro pro Jahr.“
3.000 neue Bootseigner und 500.000 – zahlende! – Schaulustige am Schiffshebewerk? Hier wird gerade für eine kleine, zahlungskräftige Klientel ein riesiges Investitionsprogramm auf Steuerzahlerkosten organisiert – mit Zahlen, die einer ernsthaften wirtschaftlichen Betrachtung nicht standhalten.
Der Leipziger Stadtrat hat schon mehrfach die Chance vergeben, diese amtlichen Selbstbeschäftigungen auf Steuerzahlerkosten zu beenden. Es steht zu befürchten, dass es auch diesmal nicht der Fall sein wird und auch Leipzig ordentlich draufzahlt, wenn die „Leuchtturmprojekte“ sich als Flop erweisen. Denn: „Die im Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept formulierten vertiefenden Untersuchungen und Planungen außerhalb der Planungshoheit der Stadt Leipzig werden unterstützt und – soweit rechtlich möglich – aktiv befördert.“
In Punkt 4 des Beschlusses wird zwar versprochen: „Der Arbeitsstand und die erreichten (Zwischen-)Ziele in der Umsetzung des Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzeptes werden regelmäßig evaluiert. Die erste Evaluierung soll zum Ablauf des 1. Bewilligungszeitraumes des Umsetzungsmanagements im November 2017 stattfinden und anschließend alle drei Jahre wiederholt werden.“
Aber wie will man etwas evaluieren, was schon in den Grundkonzepten einer ernsthaften Berechnung nicht standhält? Wobei dieser Leipziger Beschluss sogar zentral ist, denn ohne die Kulturstadt Leipzig als Zielpunkt all der millionenschweren Planungen fallen die „Wassertourismus“-Pläne in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Nicht nur der Elster-Saale-Kanal – sämtliche „Leuchtturmprojekte“ zielen auf das einzige attraktive Reiseziel in der Region – auf Leipzig. Die Stadt, die ihre Touristenzahlen völlig ohne „Wassertourismus“ steigert. Denn aktuell beträgt der Anteil des „Wassertourismus“ an den Leipziger Übernachtungszahlen nicht 30 und auch nicht 5 Prozent, sondern: 0 Prozent. Vielleicht 0,1 Prozent, wenn man freizügig aufrundet.
Aber zumindest hat Leipzigs Ratsversammlung jetzt wieder die Gelegenheit, eine Menge Geld zu verbrennen. Einfach mit Handaufheben.
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