Protzig stehen sie da, und ein Hauch Romantik umgeistert ihre Zinnen, Tore, Bäume und Parks von Schlössern, Burgen und Herrenhäusern, selbst dann noch, wenn sie längst verlassen sind. Manches Haus zeigt neuen Putz, frische Farbe, ausgebesserte Details an Skulpturen, Fenstern und Fassaden. Glück haben sie gehabt, diese alten Bauten, wenn sich jemand um sie kümmert.

Manche Tore sind verschlossen, Schilder warnen vor wachenden Hunden. Anderswo sind Besucher willkommen und schauen sich um (wie L-IZ.de),  staunen oder lassen sogar ihre Fantasie spielen…

Manchmal sind es berühmte Namen, Chronik und Geschichte, die etwas versteckt liegenden kleinen Orten, die eine Ausstrahlung verschaffen, von denen großspurige und großartige Adelssitze nur träumen können. Ein Familienname, noch dazu Künstlername, braucht im deutschsprachigen Raum eigentlich keine Erläuterung: Joachim Ringelnatz. Dass dieser Matrose, Dichter und Vortragskünstler ein Sachse war, ist kein Geheimnis, dass seine Wiege in Wurzen stand, ist eine Entdeckung wert.

Viele Rast- und Gasthäuser werben mit Aufenthalten von Kaisern, Königen, Philosophen oder Dichtern. Geburts- und Sterbehäuser sind Pilgerorte, wie die Geburtskirche Jesu in Bethlehem, Goethe-Häuser in Frankfurt am Main und Weimar, Walther von der Vogelweides Grab in Würzburg. Bei Hans Böttichers, genannt Ringelnatz, Elternhaus auf dem sächsischen Festland an der Mulde in Wurzen, ist das anders. Wanderer stehen dort vor verschlossener Tür. Ringelnatz ist hier nicht zu Hause.

Wurzener Wunderland

Wurzen und die Wurzener hatten das Potenzial eigentlich schon vor Jahren erkannt, als es um ein Alleinstellungsmerkmal und Stadtmarketing bis hin zu Tourismus ging. Mit Ringelnatz-Stelen, Ringelnatz-Wanderweg, Marktbrunnen, maritim angehauchten Sand-Spielplatz, schwer identifizierbarem Ringelnatz-Porträt in der Grünanlage. Da kam ein Ringelnatz-Schwoof dazu und ein Ringelnatz-Loof, oder auch, etwas weniger sächsisch, der „Ringelnatz-Lauf“ mit mehreren Distanzen.

Im Ringelnatz-Geburtshaus ist es schon lange finster. Dach und Straßenseiten-Fassade machten gerade so noch als fotogene Kulissen etwas her, der Geschichtsverein hatte bis vor kurzem sein Büro drin, im Erdgeschoss gab es dann und wann mal offene Türen und ein Stück Ausstellung. Längst war die umfangreiche und sehenswerte Ringelnatz-Sammlung, einst zweigeteilt, ins Kulturhistorische Museum umgezogen, wo sie durchaus eine gute Figur macht.

Spielplatz mit Seefahrtssehnsucht. Ringelnatz guckt zu. Foto: Karsten Pietsch
Spielplatz mit Seefahrtssehnsucht. Ringelnatz guckt zu. Foto: Karsten Pietsch

Nur das Ringelnatz-Geburtshaus dĂĽmpelte ratlos vor sich hin und fĂĽllte von Zeit zu Zeit Zeitungsspalten, so auch mit der Idee, die Stadt-Information dorthin zu verlegen.

Wie? Verkauft man einen Dichter?

Sein Wurzener Zuhause, also eine Art Ersatzfamilie, hat Joachim Ringelnatz im Ringelnatz-Verein, der sich jetzt mit einem offenen Brief an Freunde der Literatur, des Humors und namentlich die Ringelnatz-Fans wandte: Es geht darum, die Absicht der Stadtverwaltung zu stoppen, das Ringelnatz-Haus an einen Investor zu verkaufen.

Schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann der damalige Museumsleiter die bis heute gepflegte Ringelnatz-Sammlung anzulegen. Ringelnatz selbst bedankte sich dafür und sorgte dafür, dass seine Werke dem Museum zur Verfügung gestellt wurden. Gesammelt wurde auch zu einer Zeit, als Ringelnatz mit Auftrittsverbot belegt war und seine Werke als „entartete Kunst“ gebrandmarkt und aus Ausstellungen entfernt wurden.

„Diese lange Tradition, Ringelnatz’ Geburtsstätte und Werk als Teil des sächsischen und nationalen Kulturerbes zu bewahren, droht nun abzureiĂźen.“ So schreibt es der Ringelnatz-Verein in seinem Offenen Brief: „Ringelnatz wird fĂĽr das städtische Marketing allerorten be- und ausgenutzt. Der Kern des Erbes jedoch – das Geburtshaus und die Sammlung – werden in ihrem Wert nicht erkannt und bewahrt. Nicht nur, wenn Wurzen das Haus verkauft und der Investor das Haus im schlechtesten Fall verfallen lässt, verliert die Stadt ihren Status als wichtigste und größte Bewahrerin des Erbes. Niemand wird einer Stadt weitere Schätze aus dem Ringelnatzschen Nachlass anvertrauen, die nicht einmal das Geburtshaus erhalten kann. Der Beiname Ringelnatzstadt verkommt zur leeren HĂĽlle.“

Seit 1992 die Wurzener Ringelnatz-Ausstellung wegen Feuchtigkeitsschäden aus dem Geburtshaus ins Museum der Stadt verlegt wurde, verfiel das Haus. Ohne Wasseranschluss und mit defekten Toiletten ist es nunmehr gar nicht mehr nutzbar.

„Haste mal n Euro? Für mein Geburtshaus!“ Die Frage ist nicht von der Hand zu weisen. Foto: Karsten Pietsch
„Haste mal n Euro? Für mein Geburtshaus!“ Die Frage ist nicht von der Hand zu weisen. Foto: Karsten Pietsch

Immerhin hatte sich die Stadt Wurzen zum Tag der Sachsen 2015 das Motto bei Ringelnatz entlehnt: „Hier ist Wunderland“. Vielleicht haben ja Wurzens Oberbürgermeister und der Stadtrat noch einen ganz anderen Investoren als Joker im Ärmel. Manchmal ging es in Wurzen auch mit dem Abriss schnell. Da zählte vor Jahren der Denkmalschutz nicht mehr viel, als man für einen Supermarkt Platz brauchte und die alte Posthalterei, ein Gebäude des Neo-Klassizismus in bester Lage an der historischen Via Regia verschwinden musste.

Sächsische Liebe zu Ferne und Meer

Er war einer der größten sächsischen Seefahrer, dieser Hans Bötticher, in Wurzen geborener Sohn des Leipziger Tapetenmustergestalters und Dichters Hans Bötticher, Pastorensohn aus Jena. Der andere war Admiral Karl Rudolf Bromme aus Leipzig-Reudnitz. Sehnsucht nach Meer und Seefahrt wird den reiselustigen Sachsen bis heute nachgesagt.

Ringelnatz-Gedichte vom Seemann Kuttel Daddeldu, Verse für kleine und große Kinder, bleiben wie das unsterbliche Reh „Im Park“ eine sichere Bank für alle Dramaturgen von kleinen und großen Bühnen, die mal was „literarisch-unterhaltsam-niveauvolles“ auf die Beine stellen sollen. Wo sonst als in der Seefahrt sind sie noch so poetisch oder gar ringelnatzig, die „Bretter, die das Geld bedeuten“.

Hauschronik mit Geschichten

In den Wurzener Annalen wird das Haus schon 1511 erwähnt, als der Bürger Hans Voigt mit einer „wüsten Hofestadt“ belehnt wird. Unter den späteren Besitzern findet sich ein Erbbürger Christoph Lotter und die Familie des Stiftssuperintendenten Dr. Christoph Daniel Schreiter. 1875 bis 1886 wohnen die Böttichers hier, am 7. August 1883 wird Hans Bötticher hier geboren. 1945 wird eine hölzerne Erinnerungstafel angebracht. Ottilie Mitter, die Schwester, soll bei der Enthüllung anwesend gewesen sein.

1948 begründet der Ingenieur Dietrich Hoffmann im Erdgeschoss die Hoffmann & Co. GmbH, die später weltweit agiert. Geschichte und Geschichten hat das Haus also genug zu erzählen.

1983 wurde das Haus saniert. Im Obergeschoss befand sich der „Club der Intelligenz“, im Dachgeschoss das Büro des Kulturbundes der DDR und die Redaktion der Heimatzeitschrift „Rundblick“. Im Jahr 1983 war die Ringelnatz-Ausstellung im Geburtshaus eingerichtet worden.

So weltoffen die DDR war, wenn es darum ging, aus DDR-Mark harte Währungen zu machen, aber auch so klein, beschränkt und beschĂĽtzt die DDR war, im Fernsehen ging es „Zur See“ und man traf sich „Klock 8 achtern Strom“ und nach Hawaii wollte man schon deshalb nicht, denn „Es gibt kein Bier auf Hawaii“. Selbst als die sächsische Lebensphilosophie von Lene Voigt, Walther Appelt und Hans Reimann noch nicht wiederentdeckt war, „ging“ Ringelnatz. Als Bändchen in Reclams Universal-Bibliothek aus Leipzig gab es Ringelnatz billig fĂĽr jedermann. Und in besagter Fernsehsendung „Klock 8…“ trafen sich als Kudeldaddeldu Heinz Draehn und als Kuddeldaddelich Peter Borgelt in Texten des „Distel“-Autoren Hans Krause. Ringelnatz war wandlungsfähig.

Hafenkneipe an der Via Regia?

Ringelnatzig-bodenständig war eine Idee, die längst wieder verworfen wurde, Gastronomie ins Ringelnatz-Haus zu bringen, ein Projekt, das damals das Leipziger Brauhaus zu Reudnitz sehr ernst genommen haben soll. Ringelnatz-traurig ist dabei der Fakt, dass es das Reudnitzer Bier inzwischen schon längst nicht mehr gibt.

Wurzener StraĂźenkreuz. Foto: Karsten Pietsch
Wurzener StraĂźenkreuz. Foto: Karsten Pietsch

Ein Senioren- und Pflegeheim sollte in der Nachbarschaft entstehen, was ja zum sächsischen Gemüt und Reiselust der Sachsen und dem allgemeinen sächsischen Schwatzen, Seemannsgarn eingeschlossen, gepasst hätte.

Der fliegende Holländer von Wurzen

Mal hier, mal da. Da tauchte ein Ringelnatz-Marktbrunnen auf, und auf einem Seepferdchen schaukelt Joachim und guckt mĂĽrrisch auf die Wurzener… Wie der sagenhafte fliegende Holländer, der aller sieben Jahre an Land auf Sympathie und gar auf Liebe hofft…

Als Witz machte es schon vor Jahren die Runde: die Stadt Wurzen will das Ringelnatz-Haus verkaufen, und mit dem Geld wird dann das Ringelnatz-Haus saniert…. Man erschrickt immer, wenn man alte Witze, in ihrer Entstehungszeit offenkundig als solche identifizierbar, plötzlich in Zusammenhänge geordnet aus Politikermund hört.

Wo sind nun die eigentlich die Verleger, die mit Ringelnatz-Ausgaben in Werk-Umfang, Sammlungen, „Best of…“ etc. das groĂźe Geld gemacht haben? Suchte da nicht mal das Deutsche Kabarettarchiv eine neue Bleibe und hatte sich schon in Leipzig zusammen mit der „PfeffermĂĽhle“ ein Quartier gesucht, aus dem dann freilich auch nichts wurde.

An Interesse mangelt es auch in Norddeutschland nicht. Zum runden Ringelnatz-Geburtstag widmete der NDR eine ganze Radiosendung Joachim Ringelnatz. Allerdings ist das „Hamburger Hafenkonzert“ die älteste Rundfunk-Sendereihe der Welt, ob das so stimmt, ist egal: Jedenfalls hätte sie Joachim Ringelnatz bereits hören können. Man begann nun in der Hamburger Sendung mit einer Reportage aus der Geburtsstadt Wurzen. Vielleicht wäre der Verlauf – z. B. an einen reichen Seefahrer, evtl. sogar aus Cuxhaven, doch die Rettung!

Vorsicht!

Man nannte sie „Zaubermartha“, jene Frau die 1615 in Wurzen gesehen wurde, sie soll Kinder umgebracht, die Leute angehaucht und verderbt, auch mit dem Teufel sieben Jahre lang zu tun gehabt haben. Sie sollte ihrer Übeltaten wegen verbrannt werden, wozu es nicht kam, weil sie im Gefängnis vor dem Eilenburgischen Tor tot aufgefunden worden war. Man hat dann vorgegeben, sie sei vom Teufel umgebracht worden.

In den 1970er Jahren lebten in der alten Posthalterei neben dem Möbelhaus eine Familie und außerdem eine fremde alte Frau, die sich dem Trunk ergeben hatte. Eines Tages lag die Frau hilflos hinter der Eingangstür und versperrte dem Sohn der Familie den Zutritt. Inzwischen ist die alte Posthalterei, ein denkmalgeschütztes Gebäude mit der Architektur des Neoklassizismus abgerissen worden, um Platz für ein Einkaufszentrum zu schaffen.

Kunst , Texte und Kleinplastik am Wegesrand. Ringelnatz auf einem Seepferd. Foto: Karsten Pietsch
Kunst , Texte und Kleinplastik am Wegesrand. Ringelnatz auf einem Seepferd. Foto: Karsten Pietsch

Im Herbst des Jahres 1542 sind viele Heuschrecken aus Litauen, Preußen und Polen nach Meißen gekommen, die in kreisförmigen Schwärmen in der Luft lagen und den Sonnenschein trübten. Am Tage Aegidi sollen sie auch nach Wurzen gekommen sein „wo sie kniehoch gelegen“, wie Johann Georg Theodor Grässe in seinem „Sagenschatz des Königreichs Sachsen“ schrieb. Der König der Heuschrecken, selbst in der Größe eines Sperlings, angeblich an „Gestalt, Füßen und Klauen ganz schrecklich anzusehen“, gefangen, abgemalt und in Leipzig aufgehoben worden. Auch Franken und das Vogtland waren damals von Heuschreckenschwärmen heimgesucht worden. Bereits 1338 waren in Mitteleuropa Schwärme von Wanderheuschrecken, angeblich aus Asien über Ungarn und Böhmen, in den Südwesten Kursachsens, wo sie auf Wiesen und Feldern großen Schaden getan hätten. So zu lesen in Alexander Blöthners „Magische Orte in Leipzig und Umgebung.“

Extras

Irgendjemand war immer da: Luther, Goethe, Napoleon oder Wagner. Goethe musste auf seinem Weg von Dresden nach Leipzig sehr lange auf die Fähre warten, die ihn über die Mulde setzte. Er nutzte die Wartezeit, um am „Faust-“Stoff zu arbeiten. Im „Urfaust“ ist Wurzen erwähnt, in „Der Tragödie erster und zweiter Teil“ leider nicht.

Napoleon nächtigte vom 8. auf den 9.10.1813, dem Vorabend der Völkerschlacht bei Leipzig, im Patrizierhaus von Gottlieb Sommer, Domgasse 2 (heute Sitz des Museums), tags darauf folgte der König von Sachsen Friedrich August I.

Richard Wagners Freund Theodor Uhlig war ein Wurzener, geboren in Wurzen 1822, gestorben 1853 Dresden, Freund Richard Wagners. Von Uhlig besitzt das Museum 18 Originalkompositionen. Richard Wagner schrieb in einem Brief an Uhlig vom Projekt des Nibelungen-Zyklus. Östlich von Wurzen gibt es eine ganze Reihe sogenannter Wagner-Dörfer, in denen die Wagner-Vorfahren Richards lebten, etliche davon als Kantoren.

Martin Luther allerdings wollte die streng-gläubige Wurzener Bevölkerung allerdings nicht in die Bischofssitz- und Domstadt Wurzen hineinlassen.

Erika Pohl-Ströer, Liebhaberin und Sammlerin von Mineralien und Spielzeug hat im Erzgebirge Ausstellungen, Museen und Depots bereichert. In Leipzig hat sie die Puppenklinik Zsitva aufgekauft mit allem Inventar bis zu des Puppendoktors Schürze. In Gelenau wurde die Puppenklinik wieder aufgebaut. Sie ist eine gebürtige Wurzenerin.

Wann? Wie? Wohin? Weiter?

Auf Ringelnatz’ Pfaden kann man durch die Wurzener City streifen, geschmückt mit Kleinplastiken und Textzeilen. In Wurzens City gibt es sogar regelmäßig „Nachtshopping“!

Im Kulturhistorischen Museum hat die umfangreiche Joachim-Ringelnatz-Sammlung Platz gefunden.

Ă–ffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr, 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Samstag, Sonntag 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr.

Östlich von Wurzen, Richtung Oschatz erhebt sich der imposante Collm. Für die Leipziger Tieflandsbucht ein majestätischer Gipfel!

Wo nachlesen? Wo weiterlesen?

Etwas Ringelnatz sollte jede Buchhandlung und jede Bibliothek vorrätig haben! Aber auch das Werk des Vaters ist sächsisch-humorvoll! Nicht ohne Grund wurde Bötticher auf einer Gedenkplatte am Alten Rathaus in Leipzig verewigt, zusammen mit Edwin Bormann, einem anderen sächsischen Humoristen und Verleger. Die Tafel befindet sich gegenüber dem Goethe-Denkmal und gleich neben der Tür zum Verlies.

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