So langsam platzt auch den Bürgermeistern in den sächsischen Landkreisen die Hutschnur, was die Schienenpolitik der Staatsregierung betrifft. Seit Jahren wird hier nur noch dreingeholzt. Seit den rabiaten Kürzungen der Regionalisierungsmittel ab 2011 wurden etliche Zugangebote gestrichen. Und Grimma, das seit 20 Jahren auf einen sinnvolle Zugverbindung nach Leipzig hofft, lädt jetzt den sächsischen Verkehrsminister zu sich ein.
Denn nur kurz war die 28.000-Einwohner-Stadt im Muldental für eine Einbindung ins Mitteldeutsche S-Bahn-Netz im Gespräch. Denn wenn die Städte im Raum Leipzig teilhaben sollen am Wachstum der zentralen Großstadt, dann ist eine verlässliche S-Bahn-Anbindung überlebenswichtig. Doch während sich Städte wie Delitzsch, Borna oder Eilenburg über eine Anbindung freuen können und die Bahnen in Markkleeberg sogar im 10-Minuten-Takt halten, geht die Bahnverbindung nach Grimma und Döbeln so nach und nach den Bach runter – die Angebote werden ausgedünnt und eine Abwärtsspirale der Fahrgäste ist im Gang.
Und der Oberbürgermeister von Grimma, Matthias Berger, ist zunehmend wütend, wenn er sieht, wie seine Stadt systematisch bei den Bahnverbindungen heruntergestuft wird.
In einem Offenen Brief wird er jetzt sehr deutlich: “Entgegen allen Zusagen und Beteuerungen von den in Sachsen für die verkehrstechnische Infrastruktur zuständigen Stellen ist es durch den Fahrplanwechsel zu einer weiteren erheblichen Verschlechterung der Anbindung unserer Stadt an den Bahnverkehr gekommen. Dies resultiert insbesondere daraus, dass Grimma nicht an das S-Bahnnetz angeschlossen ist.”
Aber wie bekommt man den nun seit Herbst 2014 verantwortlichen Verkehrsminister nach Grimma, damit er sich einfach mal ein Bild davon macht, wie sächsische Schienenverkehrspolitik regelrecht dafür sorgt, dass ganze Landstriche unattraktiv werden?
Martin Dulig ist zwar nicht schuld an der Entwicklung – die Weiche hin zu einer permanenten Ausdünnung der Schienenverbindungen im ländlichen Raum haben seine Vorgänger im Amt des Verkehrsministers gestellt – und dabei auch billigend in Kauf genommen, dass sich die Abwanderung aus den abgehängten Regionen verstärkt. Die sächsische Regierung redet zwar eine Menge über demografische Entwicklungen, hat aber nicht einmal das Sensorium dafür, dass sie selbst die Entwicklung erst recht forciert hat – auch mit der Ausdünnung des ÖPNV.
Oberbürgermeister Matthias Berger will nun den Sächsischen Staatsminister Martin Dulig, nach Grimma einladen und würde ihn auch gern persönlich vom Bahnhof in Grimma abholen. Vor Ort kann der sich dann das Problem der Bahnanbindung anschauen – am besten mit einer Zugfahrt.
Unzählige Anfragen gingen in den vergangenen Jahren bereits bei den Verantwortlichen ein, betont die Grimmaer Verwaltung, doch die Situation für die Stadt Grimma verschlechtert sich zusehends. In seinem Offenen Brief an den Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr beklagt Matthias Berger die Missstände der Bahnanbindung für Grimma. Er schlägt dem Minister vor, die Bahnstrecke von Grimma zum Flughafen Leipzig/Halle doch persönlich zu testen. “In diesem Fall dürfte Ihre Bahnfahrt von Grimma nach Leipzig zeitlich Ihrer Flugzeit Frankfurt/Main – Seoul nahe kommen“, erklärt der Oberbürgermeister.
Und deutlich wie bislang kein anderer Bürgermeister der Region benennt er die Folgen der immer wieder herabgestuften Bahnanbindung: “Abschließend ist nunmehr mit Erschrecken zu konstatieren, dass aufgrund der bisherigen infrastrukturellen Vernachlässigung durch Staatsregierung und Bahn ein Kreislauf in Gang gesetzt worden ist, der zwangsläufig zu einer weiteren Verschlechterung unserer verkehrstechnischen Anbindung führt.”
Auf eine Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Wolfram Günther hatte Dulig gerade erst geantwortet, dass eine Elektrifizierung der Strecke Leipzig – Grimma von Bahn und Staatsregierung in den nächsten Jahren nicht für notwendig erachtet wird. Die Antwort ließ auch das kopfstehende Denken der sächsischen Verkehrspolitik durchblicken, das nicht davon ausgeht, dass Fahrgastzahlen sinken, wenn Strecken nicht saniert werden, sondern steigende Fahrgastzahlen als Voraussetzung erwartet, um überhaupt erst an Sanierung zu denken.
So eine Entwicklung zwingt die Bewohner einer Region natürlich zum Umsteigen – in der Regel aufs Auto.
Aber Matthias Berger sieht die Zukunft seiner Stadt nicht nur auf der Landstraße.
Die Stadt Grimma hat sich in den letzten 15 Jahren enorm entwickelt – trotz zweier Naturkatastrophen, betont die Verwaltung der Stadt, die mit diesen beiden Flutereignissen jedes Mal auch deutschlandweit in den Schlagzeilen war. Doch für die sächsische Regierung war das nie auch nur ein Ansatzpunkt, über eine Verbesserung der Zuganbindung nachzudenken. Mit 28.500 Einwohnern zählt Grimma nach Leipzig sogar die meisten Einwohner in Westsachsen. Und mit einer Fläche von 217 km² hat sie sich zur größten kreisangehörigen Flächenkommune Sachsens entwickelt.
“Doch die infrastrukturelle Anbindung läuft entgegen des Trends. Für die Stadt, ihre Bevölkerung und ihre Wirtschaft, bedeutet dies eine enorme Belastung. Hier besteht dringender Handlungsbedarf”, mahnt das Grimmaer Rathaus.
Seinen Offenen Brief beschloss Mathias Berger dann mit der Einladung an Martin Dulig zu einem Gespräch “Quo vadis – Bahn, wo fährst du?” Natürlich in Grimma. Und bittteschön: Anreise per Bahn.
Der Offene Brief von Matthias Berger an den Sächsischen Verkehrsminister.
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