Noch bis zum 2. Oktober können Stellungnahmen zum Rohentwurf des neuen Regionalplans Leipzig-Westsachsen 2017 abgegeben werden. Auch die Stadt Leipzig hat sich positioniert. 23 Seiten Kritik, Anregungen, Formulierungsvorschläge hat Planungsbürgermeisterin Dorothee Dubrau formuliert. In einigen Punkten sehr deutlich, denn die Bedürfnisse der Großstadt werden teilweise ignoriert.

In großen Teilen liest sich der Entwurf wie eine Planung für eine Region, in der es gar keine Großstadt gibt und jeder sich nur um seins zu kümmern hat, wo es lauter Grundzentren gibt, Landkreise nur für die Eigenversorgung zuständig sind und auch die Sache mit der Klimaanpassung eher lauter Insellösungen bevorzugt.

Das liegt weniger an der engagierten Arbeit von Prof. Andreas Berkner, der den Regionalen Planungsverband steuert und in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt hat, dass er sehr wohl einen Sack Flöhe zu hüten versteht. Denn es sind ja nicht nur die Stadt Leipzig und die beiden Landkreise, die zuweilen in verschiedene Richtungen zerren, auch die Städte und Gemeinden in den Landkreisen braten nur allzu gern eine Extra-Wurst für sich oder – wenn man es positiv formulieren will – haben berechtigte Eigeninteressen. Man denke nur an das Leipziger Neuseenland, zu dem es ja 2015 nicht nur die Charta-Unterschriften gab, sondern auch drei Bürgerbefragungen.

Aber spiegelt sich das auch im Regionalplan-Entwurf wider? Zu wenig, findet Dorothee Dubrau. Zumindest an wichtigen Punkten. Und eines scheint man jenseits der Leipziger Stadtgrenzen einfach nicht genügend wahrzunehmen: Die große Stadt Leipzig wächst mit einem unerwartet hohen Tempo. Die peripheren ländlichen Gebiete verlieren zwar Bevölkerung, aber gerade das zwinge die Landkreise, mit der Stadt Leipzig zusammen über gemeinsame Lösungen beim Wohnungsbau, bei der Versorgung mit Kitaplätzen und Schulen, bei ÖPNV-Verknüpfungen und vor allem bei der Schaffung neuer Gewerbeansiedlungen nicht nur nachzudenken, sondern dafür übergreifende Konzepte zu finden.

Das beißt sich bislang. Während Leipzig mit dem Landkreis Nordsachsen intensiv über neue Gewerbeflächen im Leipziger Norden verhandelt, um dort überhaupt noch Spielräume für neue Ansiedlungen zu haben, weist der Regionalplanentwurf dort verstärkt Vorranggebiete für landwirtschaftliche Nutzung aus.

Ein ebenso hochaktuelles Thema. Aber warum gerade da, fragt Dorothee Dubrau. Und weist recht energisch darauf hin, dass an anderer Stelle der ungebändigten Rohstoffgewinnung Tür und Tor geöffnet sind und sich bundesweit agierende Unternehmen ausgerechnet in der Leipziger Region Abbaurechte gesichert haben, die die Rohstoffe in westlichen Bundesländern schonen, hier aber wertvolles Ackerland verschlingen. Das aktuellste Beispiel ist ja der drohende Kiesabbau bei Zitzschen.

Gewerbeansiedlungen im Leipziger Norden

Tatsächlich wirkt der Entwurf zum neuen Regionalplan irgendwie zusammengestückelt aus den verschiedenen Vorstellungen im Planungsgebiet, ohne die Motorrolle von Leipzig besonders zu berücksichtigen. Aber es ist Leipzig, das die Arbeitsplätze schafft, aber im eigenen Stadtgebiet nur noch beschränkte Entwicklungsmöglichkeiten hat. Deswegen gibt es schon seit Jahren das Nordraumkonzept, das gerade weitergeschrieben wird.

“Die Stadt Leipzig erarbeitet derzeit in Zusammenarbeit mit dem Regionalen Planungsverband, den Städten Schkeuditz und Taucha sowie den Gemeinden Rackwitz und Krostitz das Nordraumkonzept Leipzig 2025+ für den Bereich nördlich und südlich der A 14”, heißt es dazu in der Stellungnahme der Stadt. Und indem sie den Regionalverband anspricht, benennt Dorothee Dubrau auch eine deutliche Lücke in der Selbstwahrnehmung des Verbandes. “Hierbei sollen mit einer langfristigen und abgestimmten Planung zukünftige Flächenansprüche analysiert werden, um eine ganzheitliche Flächenentwicklungsstrategie für den Leipziger Nordraum zu entwickeln und konkurrierende Flächenansprüche zwischen Gewerbe, Landwirtschaft, Ausgleichsmaßnahmen und Erholungsgrün aufeinander abzustimmen.”

Abstimmung tut not. Unübersehbar. Und oft genug werden immer noch Flächen verbaut, die man bei besserer Abstimmung hätte frei halten können.

“Im Kapitel Landwirtschaft werden keine Aussagen hinsichtlich des ständigen Flächenverbrauches für Neuversieglung und den damit verbundenen Kompensationsmaßnahmen und folglich zur sparsamen und effizienten Flächennutzung bzw. Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme getroffen. Deshalb ist unter der Ziffer 4.1.2 ein weiteres Ziel aufzunehmen, das folgenden Inhalt hat”, schreibt die Planungsbürgermeisterin. “Es ist darauf hinzuwirken, dass der Entzug von nutzbarer Landwirtschaftsfläche für Versieglung und für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen mit Rücksicht auf den Erhalt der Existenzgrundlage der Landwirtschaft sparsam erfolgt. – Begründung: Die Inanspruchnahme immer neuer Flächen und die Zerstörung von Böden sind nicht mehr vertretbar. Angesichts der global begrenzten Landwirtschaftsflächen und fruchtbaren Böden gehen der Landwirtschaft immer mehr die Produktionsgrundlage für den Anbau von Lebens- und Futtermitteln sowie von nachwachsenden Rohstoffen verloren. Mit der nicht vermehrbaren Ressource Boden muss sparsam umgegangen werden. Durch den Flächenverbrauch werden auch Landschaften zerschnitten und Lebensräume für Tiere und Pflanzen bedroht. Damit ist auch der Natur- und Landschaftsschutz betroffen.”

Aber das kann eine Stadt wie Leipzig nicht mehr allein lösen, da muss die ganze Region an einen Tisch. Das fehlt bis jetzt.

Im Grunde war das auch der Grund, warum die Diskussion um das Neuseenland so dissonant läuft. Gleich mehrfach plädiert Dubrau dort für eine andere Politik. An mehreren Stellen kritisierte sie die starke Fokussierung auf den Tourismus im Neuseenland – ein Weg, in dem einige Seenanlieger ihr wirtschaftliches Heil suchen, auch wenn sie damit die erheblichen Erholungswünsche der Bewohner der Region geradezu torpedieren.

Elektromobilität im Neuseenland

Die möchte Dorothee Dubrau aber im Regionalplan verankert sehen. Wobei sie einen Punkt im Entwurf – Kap. 2.3.3.3 Thematische Tourismusangebote – ausdrücklich begrüßt: Die Regionalplanung favorisiert nämlich jetzt die Beschränkung des Motorbootverkehrs auf Elektromotoren im Neuseenland. Was schon als eine Art gemeinsames Verständnis gesehen werden kann.

“Mit diesem Ziel werden Aussagen der ‘Charta Leipziger Neuseenland 2030’, nach der die künftige Ausrichtung auf Elektromobilität zu Land und zu Wasser erklärtes Ziel ist, um als Region für Bürger und Gäste weiterhin lebens- und besuchenswert zu sein, aufgegriffen und die Art der Motorbootnutzung im Leipziger Südraum weitreichend geregelt”, betont Dorothee Dubrau. “Das Ziel sollte auch auf den gesamten Touristischen Gewässerverbund Leipziger Neuseenland, die Stadt Leipzig sowie die isoliert liegenden Seen im nördlichen und südlichen Leipziger Neuseenland ausgeweitet werden.”

Und dann betont sie noch: “Es ist richtig zu prüfen, inwieweit die Elektromobilität als Alleinstellungsmerkmal der Region fungieren kann. Sollte die Ausrichtung auf Elektroantriebe das Potenzial als Alleinstellungsmerkmal tatsächlich haben, könnte das Ziel wie folgt ergänzt werden: ‘Die Ausrichtung auf Elektromobilität auf dem Wasser soll als Alleinstellungsmerkmal etabliert werden, damit der Imagewandel von einer durch den Braunkohlebergbau stark geschädigten Landschaft hin zu einer ökologisch wertvollen Erholungs- und Tourismusregion gelingt.'”

Da kann man gespannt sein, ob das dann auch so im Beschluss zum Regionalplan steht und damit auch endlich anerkannt wird, dass die Gemeinden im Neuseenland die Tagebauseen nicht als ihr Eigentum betrachten können, das sie ohne Rücksicht auf andere vermarkten. Schon gar ohne Rücksicht auf die Leipziger, die nach über 80 Jahren endlich wieder ein Hinterland zur Erholung bekommen haben. Das Neuseenland profitiert in vielfältiger Weise vom Erholungsbedürfnis der Großstädter, aber auf lokaler Ebene wird das immer wieder ignoriert.

Deswegen will Dubrau endlich auch den Sport als Leitziel im Neuseenland berücksichtigt haben – vom Segeln übers Tauchen bis zum Kite-Surfen, das, was Auswärtige und Großstädter nun tatsächlich ins Neuseenland zieht.

Landschaften nach der Kohle

Und sie möchte ein neues Kapitel haben, das bislang in einem Unterpunkt versteckt ist: Die Region soll sich endlich einmal offiziell zum Handlungsschwerpunkt „Landschaften nach der Kohle“ bekennen.

Daraus soll ein eigenständiges Unterkapitel „Landschaften nach der Kohle“ werden, das nicht nur die Bedeutung für den Tourismus hervorhebt, sondern auch für den Sport.

Die Eigenbrödelei der Region geht auch in anderen Kapiteln noch weiter. Ob es überhaupt ein nebulöses Gerede über Grundzentren braucht, bezweifelt Leipzigs Planungsbürgermeisterin: “Bei den Grundzentren im Verdichtungsraum stellt sich, wie bereits von der Stadt Leipzig in der Stellungnahme zum Regionalplan Westsachsen 2008 thematisiert, die Frage, inwieweit Grundzentren im Verdichtungsraum überhaupt notwendig sind, da es diesen Zentren u. a. aufgrund der Überformung durch den oberzentralen Verflechtungsbereich an eigenständigen voll ausgebildeten grundzentralen Verflechtungsbereichen mangelt. Seit Inkrafttreten des Regionalplans Westsachsen 2008 haben sich zudem weitere Entwicklungen vollzogen, welche zusätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Grundzentren im Verdichtungsraum aufkommen lassen …”

Irgendwie scheint die Region in der Zwischenzeit zwischen den Regionalplanbeschlüssen immer völlig abzutauchen und die große Stadt, in die die meisten Umlandbewohner täglich zur Arbeit fahren, völlig aus den Augen zu verlieren.

Wo ist die Verknüpfung?

Und so ist es fast schon eine freundliche Zurechtweisung, wenn Dubrau schreibt: “Diese Kernpunkte des Stadtentwicklungsplans sollten sich eigentlich zumindest punktuell auch in einem Regionalplan wiederfinden. Dies ist bislang nicht erkennbar. Insofern sollten für das Oberzentrum Leipzig weitere bzw. andere Ziele bestehen, als Leipzig als internationalen Knoten im Schienen-, Straßen- und Luftverkehr weiter auszubauen (Z 3.1.2) bzw. das Tangentenviereck und den Mittleren Ring weiter auszubauen (Z 3.2.4).”

Vernetzung kann schwer sein, erst recht, wenn jeder sein eigenes Königreich zu bewahren versucht. Das Ergebnis ist, dass viele verkehrliche Vernetzungen ins Umland regelrecht unpassend sind – vom ÖPNV bis zum Radwegenetz.

Und so nebenbei lässt die Bürgermeisterin auch noch ein wenig indirekte Kritik mit einfließen, wenn sie den gedankenlosen Umgang mit der Straßenbahn anspricht: “In G 3.4.7 sollte formuliert werden: Das Straßenbahnnetz der Stadt Leipzig ist zu erhalten, nach Möglichkeit auf vom Straßenverkehr unabhängigen Trassen zu führen bzw. durch dynamische Straßenfreigabe zu beschleunigen, bedarfsgerecht auszubauen und mit anderen Verkehrsträgern zu verknüpfen.”

Die Linie 9 wird nicht explizit erwähnt. Aber der Satz impliziert, dass auch Leipzigs Nachbargemeinden die Straßenbahn nicht nur als lästigen Finanzposten betrachten dürfen.

Und auch das Thema Auwald findet Leipzig wichtig. Auf mittlerweile sehr deutliche Art, denn bislang leidet er massiv unter der Absperrung vom Wasserzufluss.

Die recht deutliche Forderung nun in der Stellungnahme Leipzigs: “Eine Ergänzung der Formulierung, um auch der zum Teil auf andere Ursachen zurückzuführenden Austrocknung der Hartholzaue grundsätzlich entgegen zu wirken, ist geboten, im Sinne von: ‘Der Austrocknung der Hartholzaue ist durch geeignete Maßnahmen entgegen zu wirken.'”

Deutet sich da ein Wandel in der Gewässerpolitik an oder ist das nur eine schöne Formel, mit der man auch mal Richtung Dresden winken kann, wo ja nun einmal die Hochwasser- und Auenpolitik bestimmt wird?

Die Stellungnahme der Stadt Leipzig zum Regionalplan-Entwurf.

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Elektromibilität auf dem Wasser als Alleinstellungsmerkmal. Das unterstellt zunächst, daß Mobilität auf dem Wasser notwendig und nötig ist. Das ist es mitnichten. Die Tagebaurestlöcher sind alle erreichbar. Mit dem ÖPNV zugegebenermaßen schlecht. Wovon allerdings in erster Linie vor allem die Anlieger und in zweiter Linie die Naherholungssuchenden betroffen sind. Mobil auf dem Wasser müssen beide Gruppen genau nicht sein.
Da Mobilität auf dem Wasser auch die Ausnahme vor der Regel, dem Gemeingebrauch darstellt, muß diese explizit zugelassen werden. Und wenn sie das ist, wird der Gemeingebrauch eingeschränkt. Weshalb es für diese Nutzungseinschränkung einen triftigen Grund geben muß. Wie am Floßgraben derzeit besichtigt werden kann, an dem der Gemeingebrauch gerade beschränkt wird. Wofür es in der Tat einen triftigen Grund gibt. Allerdings Sondernutzungen, wie der Motorboot – Betrieb, eine Privilegierung erfährt.
Warum eine von den Grünen entsandte Beigeordnete solche Position vertritt, ist mindestens zweifelhaft.

Es erschließt sich auch nicht, weshalb die Leipziger einen Anspruch darauf haben sollen, wie die Tagebaurestlöcher zukünftig genutzt werden sollen. Nord- und Südraum waren für Leipzig Rohstofflieferant und Kloake gleichermaßen. Auch heute noch, siehe Deponie Cröbern. Deshalb sollten die Anlieger auch zunächst über eine Nutzung entscheiden. (Berg-) Rechtlich sind sie auch die Einzigen, die zu hören sind.
Allerdings sollten sich Stimmen in der Tat zu Wort melden, wenn tumbe Bauern und Bergleute mit Dollarzeichen in den Augen eine weitere Vermüllung der geschundenen Landschaft betreiben. Wozu nicht nur die Gewässermotorisierung zählt.

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