Was haben denn das sächsische Wirtschaftsministerium und die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) da eigentlich unterschrieben am Donnerstag, 18. Juni? Eine Rahmenvereinbarung klingt ja nach allem Möglichen, aber ist es wirklich das, was die LVZ online gleich mal verkündete: "Tagebauseen sollen schon vor Fertigstellung genutzt werden"?

Eine Meldung, die dann gleich mal so klang, als wäre da am Geierswalder See im Lausitzer Seengebiet etwas völlig Neues beschlossen worden, frei nach dem Motto: Jetzt kann der Tourismus aber loslegen im Seenland.

Entsprechend verschmitzte Reaktionen gab’s aus den Sportverbänden, die nun schon Arges befürchten: “Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.”

Wer nur die Meldung las, konnte auf solche Gedanken kommen. Das Online-Portal der LVZ hatte einfach eine eh schon eingedampfte Meldung von DPA verbraten. Das klang dann so: “Das Wirtschaftsministerium und der Bergbausanierer LMBV unterzeichneten eine entsprechende Vereinbarung, wie das Ressort am Donnerstag in Dresden mitteilte. Demnach könnten Anliegerkommunen und Unternehmen im Bereich Wassertourismus mit ihren Plänen bereits an die LMBV herantreten und Verträge zur Zwischennutzung abschließen, obwohl manche Seen noch nicht fertig saniert sind. Davon profitierten vor allem die Wassertouristen, erklärte Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD).”

Was nicht da stand, war natürlich der ganze Hintergrund, den auch die Akteure im Leipziger Neuseenland meist weglassen in ihrem Hase-und-Igel-Spiel.

Kein See im Neuseeland ist bislang “fertig gestellt”

Die schlichte Wahrheit ist nämlich: Kein einziger dieser Tagebauseen ist schon aus bergbautechnischer Sicht “fertiggestellt”. Auch nicht der Cospudener oder der Markkleeberger See, schon gar nicht der Störmthaler und der Zwenkauer See. Auf die Lausitzer Seen trifft das genauso zu. Der einzige Tagebausee bei Leipzig, der den Status der Fertigstellung besitzt, ist der Kulkwitzer See. Aber gerade der hat so seine kleinen Probleme, denn hier wurde in DDR-Zeiten kein großer Aufwand bei der Stabilisierung der Ufer betrieben. Man ließ das Tagebauloch einfach mit Grundwasser volllaufen und die Bergbautechniker beschauen sich das entstandene Profil zumindest mit einiger Skepsis.

Bis die Seen im Leipziger Südraum ganz offiziell fertiggestellt sind, können noch Jahrzehnte vergehen. So lange bleiben sie in der Hoheit der LMBV, die hier für die geotechnische Sicherheit, die Rekultivierung und die Wiedernutzbarmachung zuständig ist. Und auch bleibt.

Die Frage – die auch ein paar Akteure im Leipziger Neuseenland durchaus beschäftigt hat – war aber in den vergangenen 15 Jahren, seit der Inbetriebnahme des Cospudener Sees immer: Wer haftet eigentlich, wenn im Neuseenland was passiert? Die LMBV, die zwar für die Herstellung der Seen zuständig ist, aber nicht für den Betrieb? Die Kommunen, die hier mit allem Elan so früh wie möglich Wassertourismus auf die Seen bekommen wollen, denen die Seen aber nicht gehören? Oder der Freistaat Sachsen, der vor zwei Jahren einfach mal die Chuzpe hatte, hier die Schiffbarkeit per Gesetz zu erklären, obwohl kein einziges der Gewässer die Bedingungen für eine Wasserstraße erfüllt?

Tagebauseen sind keine natürlichen Gewässer

Bislang haben alle beteiligten Kommunen die künstlich entstandenen Gewässer genauso behandelt, als wären es natürliche Gewässer. Womit auch die dort geltenden Regeln angewendet wurden: Alle nichtkommerziellen und nichtmotorisierten Nutzungen sind erlaubt, alles andere wird mit Einzelgenehmigung geregelt. Jeder kann paddeln und rudern, so viel er mag. Für Fahrgastschiffe braucht es eine Sondererlaubnis. So wird es auch auf den Tagebauseen gehandhabt. Das war selbst bei den Einzelgenehmigungen für Motorboote und Segelboote mit Flautenschieber kein Problem. Erst in Zwenkau wird es jetzt eins, weil die zuständigen Verantwortlichen irgendwie das Rad neu erfinden wollen und so tun, als würden die bisher angewandten Regeln für sie unzumutbar sein.

Und gerade die ganzen Eiertänze vor und nach der Seeneröffnung in Zwenkau haben auch das alte Thema der Haftung wieder auf den Tisch gebracht. Denn wenn jemand ein starkes Interesse daran hat, die Zahl der Motorboote im Neuseenland drastisch zu erhöhen, erhöht sich logischerweise auch die Gefahr von Un- und Störfällen. Wer also soll dafür haften? Die Stadt Zwenkau, die gerade einen Haushalt mit einem kleinen Defizit vorgelegt hat? Der Landkreis Leipzig, der finanziell genauso knapp dasteht?

Dasselbe Thema gibt es in der Lausitz. Und um nichts anderes geht es jetzt in der „Rahmenvereinbarung Zwischennutzung Seen in Sachsen“, die Wirtschaftsminister Martin Dulig und der Vorsitzende der Geschäftsführung der LMBV, Klaus Zschiedrich, am Donnerstag, 18. Juni, unterzeichnet haben. In der Meldung von Ministerium und LMBV klang der Grund zumindest an: “Damit werden die Bedingungen für eine touristische Nutzung der Tagebaurestseen vor deren endgültiger Fertigstellung festgelegt.”

Endlich ein paar klare Haftungsgrenzen

„Die Braunkohlesanierung schafft wichtige Potenziale für die Zukunft und ist Voraussetzung für Umstrukturierung und Gesundung der Bergbauregionen“, erklärte Martin Dulig bei dem schönen Termin am Geierswalder See. „Mit der ergänzenden Vereinbarung haben wir praktikable Lösungen gefunden, von der die Anliegerkommunen, aber insbesondere die Wassertouristen profitieren werden. Die Kulisse hier am Geierswalder See mit erfolgreichen Projekten wie dem ,LeuchtTurm‘ zeigt, wie und vor allem dass die touristische Weiternutzung funktioniert.“

Klaus Zschiedrich machte dann noch ein bisschen deutlicher, worum es geht: „Mit der Rahmenvereinbarung haben wir nunmehr klare Regelungen über die Chancen, aber auch über die Rechte und Pflichten bei einer vorzeitigen Seennutzung definiert. Im Rahmen der Braunkohlesanierung werden im Freistaat Sachsen mehr als 40 Tagebaurestseen mit einer Gesamtfläche von ca. 14.000 Hektar entstehen. Da müssen wir allen Beteiligten Planungssicherheit geben.“

Und diese Planungssicherheit schließt eben auch ein, dass klar ist, wer für welche Sicherheitsaspekte an den Seen verantwortlich ist und damit auch in Haftung geht.

Die zentralen Regelungen der Rahmenvereinbarung

1. Regelung: “Die noch notwendigen Sanierungsmaßnahmen haben immer Vorrang gegenüber der Zwischennutzung durch die Kommunen.” Heißt im Klartext: Wenn die LMBV ein Gelände noch nicht zur Nutzung freigegeben hat und die Kommune will es trotzdem bespielen, dann würde die Kommune in Haftung gehen. Da die LMBV aber die Hoheit hat, kann sie die Nutzung schlicht untersagen. Das trifft derzeit zum Beispiel auch auf den Rundweg am Cospudener See zu, ein Thema, das in einigen Medien in ein regelrechtes Lamento ausartet darüber, was sich die LMBV mit der Sperrung im Bereich des künftigen Harthkanals herausnehme. Aber auch hier gilt nach wie vor Bergrecht und die LMBV ist für die Sicherheit zuständig.

2. Regelung: “Mit Eröffnung der vorzeitigen Nutzung geht die Verkehrssicherung auf den jeweiligen Nutzer über.” Damit ist die LMBV zwar bergrechtlich noch nicht raus aus der Verantwortung und wird die geotechnische Sicherheit der Seen auch noch weiter beobachten. Aber für die Sicherheit des Betriebs auf den Seen sind dann die jeweiligen Kommunen verantwortlich. Und dafür, dass sie mit ihrem “Wassertourismus” hier loslegen können, müssen sie mit der LMBV gesonderte Verträge abschließen.

3. Regelung: “Die Kennzeichnung geotechnischer Sperrbereiche (Land- und Wasserseite) obliegt der LMBV.” Wenn Hänge noch nicht als standsicher gelten und nicht genutzt werden sollen oder auch Buchten für die Nutzung gesperrt werden sollen, muss die LMBV Schilder und Bojen platzieren. Das war auch so ein Streitpunkt in der Steuerungsgruppe Neuseenland: Wer muss eigentlich die Bojen beschaffen, wenn es Sperrbereiche am See gibt? Und: Wovon wird das bezahlt? Das wird dann in der nächsten Regelung mit geklärt.

4. Regelung: “Die LMBV führt alle notwendigen Kennzeichnungen und Beschilderungen für eine vorzeitige Zwischennutzung der Seen geschäftsbesorgend durch. Die Finanzierung erfolgt aus §4-Mitteln des Verwaltungsabkommens Braunkohle.”

Tourismus klingt zwar schön, aber es geht erst einmal um Regeln

Die “Rahmenvereinbarung” grenzt jetzt erst einmal – nachdem man sich schon 15 Jahre irgendwie durchgepaddelt hat – einige der Haftungsgrenzen ab. Die LMBV bleibt weiterhin – bis zur endgültigen Fertigstellung der Seen – für die geotechnische Sicherheit zuständig, kann auch klare Grenzen setzen, wie weit die Nutzung gehen darf. Sanierung geht vor. Aber für alles, was auf dem Wasser passiert, insbesondere für die Verkehrssicherheit, sind die Kommunen in der Pflicht, die die verschiedenen Nutzungen wollen und zulassen.

Heißt also im Fazit: Die Rahmenvereinbarung ermöglicht nicht, was LVZ Online titelte “Tagebauseen sollen schon vor Fertigstellung genutzt werden”. Denn diese Nutzung vor Fertigstellung ist im Neuseenland schon lange der Fall. Sie schafft nur ein paar klare Haftungszuweisungen in einem Umfeld, in dem bislang alle Beteiligten ganz froh waren, dass nichts passiert ist, weil im Haftungsfall keiner gewusst hätte, wer eigentlich für den Schaden aufkommen muss.

Dass die DPA den Wassertourismus so in den Vordergrund gekehrt hat mit ihrer Meldung, hat natürlich mit dem Anhang zu tun, mit dem das Ministerium und die LMBV ihre Meldung verziert haben. Irgendwie scheint man dort unter einem erheblichen Legitimiationsdruck zu stehen, die Nutzung der Seen zu erklären und das ganze irgendwie mit Tourismus zu verquicken, obwohl die Rahmenvereinbarung mit Tourismus gar nichts zu tun hat.

“Hintergrund” ist dieser Anhang für die Marketing-Broschüre überschrieben

“2014 zählte der Tourismusverein Leipziger Neuseenland e.V. rund 673.300 Übernachtungen – ein Plus von 3,5 Prozent gegenüber 2012. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ‘Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur’ (GRW) wurden in den Gemeinden des Tourismusvereins Leipziger Neuseenland e.V. zwischen 1999 und 2004 insgesamt 33 Investitionsvorhaben in die touristische Infrastruktur und von Tourismusbetrieben gefördert.

Im gesamten Lausitzer Seenland konnten 2014 rund 503.400 Übernachtungen gezählt werden – ca. 110.800 davon im sächsischen Gebiet. Zwischen 1999 und 2004 wurden im Lausitzer Seenland mit GRW-Mitteln 26 Investitionsvorhaben in die touristische Infrastruktur und von Tourismusbetrieben gefördert.

Hinzu kommen noch die Mittel des § 4 aus den Verwaltungsabkommen zur Braunkohlesanierung. Seit 2003 stellte der Freistaat hierfür Mittel in Höhe von 147 Millionen Euro bereit. Bei Maßnahmen nach § 4 genießen infrastrukturelle Maßnahmen mit großen Entwicklungspotenzialen Förderpriorität, wie beispielsweise schiffbare Überleiter, Uferbefestigungen, Hafenanlagen, Schiffsanleger für Fährverbindungen und/oder ÖPNV sowie dazu notwendige Versorgungsleitungen und Verkehrsanbindungen.”

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