Am Freitag, 29. Mai, gab's eine Demo. Etwas am Rande von Leipzig, an der Elsterbrücke in Zitzschen. Das liegt am Westufer des Zwenkauer Sees und hat ein Problem: Hier soll ein riesiger Kiestagebau entstehen. Nicht nur die Bürger von Zitzschen sind entsetzt - auch die Kommunen stemmen sich gegen den neuen Landfraß.

Das erste Signal kam aus Zwenkau: Am 21. Mai hat der dortige Stadtrat einstimmig gegen den Verkauf von Flächen der Stadt Zwenkau an das Kiesunternehmen gestimmt, das in zwei großen Abbaufeldern südlich von Zitzschen den Kies abbaggern will. Aber auch die Stellungnahme der Stadt Leipzig ist deutlich: Sie wiederholt – wie schon in den Stellungnahmen von 2000 und 2008, 2011 und 2012 schwerste Bedenken gegen den Kiesabbau. Die Stadt ist mit ihrer Südgrenze bei Zitzschen vom Kiesabbau betroffen. Und besonders schwerwiegend findet Leipzig, dass mittlerweile nicht nur ein oberflächlicher Abbau geplant ist, sondern eine Abbaggerung bis unter den Grundwasserspiegel, wodurch bei Zitzschen künftig neue, großflächige Baggerseen entstehen – gleichzeitig aber wertvoller Ackerboden verloren geht.

Zitzschen – das Dorf an der Kante

Das kleine Dorf Zitzschen im Südwesten von Leipzig hätte eigentlich Grund zum Feiern. 1996 wurde es als sächsisches Modelldorf ausgewählt, im letzten Jahr wurde es Sieger auf Kreisebene im Wettbewerb “Unser Dorf hat Zukunft” und am 9. Mai 2015 wurde der benachbarte Zwenkauer See als letzter im Leipziger Neuseenland für die Öffentlichkeit freigegeben. Der Südraum Leipzig, einstmals eine Mondlandschaft aus Tagebaulöchern, hat sich dank der Milliardeninvestitionen aus der öffentlichen Hand in eine Seenlandschaft entwickelt.

“Das zerstörerische Kapitel Braunkohle ist nun abgeschlossen und vom geförderten Strukturwandel hin zu einer touristisch orientierten Wirtschaft sollte auch das schmucke Dorf Zitzschen profitieren”, stellt der Heimatverein Zitzschen e. V. fest. “Das war die Vision für die Zukunft und der Zwenkauer See würde die besten Voraussetzungen dafür bieten. Doch zum Feiern ist hier niemandem mehr zumute, denn fast gleichzeitig mit der Freigabe des Zwenkauer Sees wurde das Raumordnungsverfahren für einen Kiestagebau eröffnet.”

Mit einer Laufzeit von fast 40 Jahren im 24 Stunden Betrieb und einer Fläche von 174 Hektar hat dieser Tagebau eine Dimension, die den Braunkohlelöchern um nichts nachstehen wird. Dieser Kiestagebau wird nur wenige hundert Meter westlich vom Zwenkauer See wieder wertvolle Ackerflächen vernichten.

“Dieser eine Kiestagebau ist nur die Spitze des Eisbergs”, kommentiert der Heimatverein die Vorgänge um die Vergabe der Abbaubewilligungen im Jahr 1991, als die betroffenen Behörden augenscheinlich völlig überfordert waren. “Insbesondere in den potentiellen Braunkohleabbaugebieten gab es im Unrechtsstaat DDR umfangreiche geologische Untersuchungen. Die Funktionäre, welche Zugriff auf die Untersuchungsergebnisse hatten, nutzten die Wirren der Wendejahre 1989/90, um ihr Wissen bei westdeutschen ‘Investoren’ zu Geld zu machen. An diese ‘Investoren’ wurden nach der Wende in allen neuen Bundesländern Abbaubewilligungsurkunden für Kies und andere Rohstoffe, die nach bundesdeutschem Bergrecht dem Grundeigentümer gehören, verkauft. Dafür wurde im Einigungsvertrag extra ein Passus aufgenommen, dass für diese Bewilligungen (Laufzeit 30 Jahre) das Bergrecht des Unrechtsstaats DDR gilt. Noch schlimmer ist, dass diese reservierten Flächen später bei der Regionalplanung als Vorrang- und Vorbehaltsgebiete gekennzeichnet wurden.”

40 Jahre lang 24 Stunden Staub und Lärm

Gelernt haben die sächsischen Genehmigungsbehörden aus den Vorgängen augenscheinlich nichts. Insbesondere das Sächsische Oberbergamt hat die 1991 erteilten Bewilligungen an immer wieder neue Nachfolgeunternehmen übertragen. Heute besitzt die Mitteldeutsche Baustoffe GmbH Petersberg (MBG) die Bewilligung, hier Kies abbauen zu dürfen. Und während sich die Region schon auf den Planfeststellungsbeschluss des Sächsischen Oberbergamtes von 2004 eingestellt hatte, der lediglich eine Trockenauskiesung vorsah, deutet alles darauf hin, dass die sächsischen Bewilligungsbehörden den neuen Plänen der MBG bereitwillig ihre Genehmigung geben.

“Allen entgegengesetzten Beteuerungen zum Trotz wird dieser Wahnsinn wieder abgenickt werden, wenn nicht endlich die Politik munter wird”, kommentiert das Daniel Kalis vom  Heimatverein Zitzschen. “Sämtliche Argumente werden wieder beiseite geschoben mit der Ausrede, man hat sich nur an die Gesetze gehalten. Man hatte keine Wahl.

Während die Allgemeinheit darunter leiden muss, scheffelt ein Einzelner Geld, mit nach bundesdeutschem Recht fremdem Eigentum. Wir sind 1989 auf die Straße gegangen, um ein Unrechtssystem zu stürzen. Wir haben darauf vertraut, dass wir mit der Wiedervereinigung in einem Rechtsstaat leben. Nun müssen wir feststellen, dass uns dieser Rechtsstaat nicht nur getäuscht, sondern auch verkauft hat. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung zeigt sich, dass wir für den Rechtsstaat, für den wir friedlich 1989 gekämpft haben, Bürger zweiter Klasse sind. Für die Interessen einzelner wurde der Gleichheitsgrundsatz §3 Absatz 1 ausgehebelt. Ein Ding der Unmöglichkeit, aber alles legal. Am 3. Oktober 2015 werden von den Politikern wieder große Feierlichkeiten abgehalten, während die Werte der friedlichen Revolution von 1989 mit Füßen getreten werden. Das ist die Situation in den neuen Bundesländern im Mai 2015 – 25 Jahre nach der Wiedervereinigung.”

Kiesabbau verstößt eindeutig gegen geltenden Regionalplan

Die Stadt Leipzig weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass der geplante Kiesabbau auch gegen den geltenden Regionalplan verstößt.

“Der Teilbereich Großdalzig widerspricht zudem den Zielen und Grundsätzen des Landesentwicklungsplans Sachsen 2013 (LEP) sowie des Regionalplans Westsachsen 2008 (RP). So ist das Gebiet des geplanten Kiesabbaus im LEP als zu erhaltender Kernbereich eines großräumig übergreifenden Biotopverbundes Agrarräume sowie als Gebiet mit überwiegenden Bodenwertzahlen > 70 dargestellt, welches besonders schützenswert ist.”

Für ein kurzzeitig abbaubares Gut wie den Kies wird also fruchtbare Ackerfläche mit einer sehr hohen Bodenwertzahl vernichtet. Und das “wilde Bergrecht” von 1991 würde auch dafür sorgen, das gleich fünf Landwirtschaftsbetriebe im Leipziger Südraum ihre Arbeitsgrundlage verlieren. Die Stadt Leipzig dazu: “Der Verlust landwirtschaftlicher Nutzfläche umfasst insgesamt 178 ha und betrifft überwiegend Böden mit Bodenwertzahlen von 70. Im Rahmen der Rekultivierung der Abbaufläche werden nur ca. 48 ha (etwas mehr als 25 %) für eine landwirtschaftliche Folgenutzung wieder hergestellt. In der im Dezember 2011 stattgefundenen Scopingberatung wurde zu Recht die überregionale Wirkung auf die Belange der Agrarstruktur und der Landwirtschaft hervorgehoben und darauf verwiesen, dass bei Realisierung des Vorhabens bei mindestens 5 Landwirtschaftsbetrieben von einer Existenzgefährdung auszugehen ist.”

Und dass die Bewohner von Zitzschen und Großdalzig nun 40 Jahre lang im 24-Stunden-Betrieb den Lärm des Kiesabbaus ertragen sollen, findet auch Leipzigs Verwaltung unzumutbar.

Die Stellungnahme der Stadt Leipzig.

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