Sie diskutieren noch, teilten die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) auf Nachfrage der L-IZ mit. Noch sei eine Entscheidung zur Linie 9 nicht gefallen. "Dies wird derzeit durch die beiden Aufgabenträger für den öffentlichen Personennahverkehr, Landkreis und Stadt Leipzig, diskutiert”, erklärte LVB-Sprecher Marc Backhaus. Aber der Fahrgastverband Pro Bahn e.V., Landesverband Mitteldeutschland, hört vielleicht zu Recht die Nachtigall trapsen.

Denn wenn via LVZ schon die Nachricht lanciert wird, dass die Linie 9 mit dem Fahrplanwechsel im Dezember auf der Markkleeberger Route eingestellt wird, dann sind in der Regel tatsächlich schon Entscheidungen gefallen. Dann sitzen die Verantwortlichen in den Hinterzimmern und diskutieren noch den künftigen Betrieb. Mit Bussen will man das Thema angehen, ist zu hören. Wer im Berufs- und Schulverkehr mit der Linie 9 unterwegs ist, fasst sich bei dieser ewigen Melodie “Bus als die Lösung” nur noch an den Kopf. Es sind die Fahrgäste, die am Ende wieder ausbaden, was die eigentlich in Verantwortung Gewählten seit Jahren als ungelöstes Thema vor sich her schieben.

Denn dass das mit der jetzigen Streckenführung der Linie 9 in Markkleeberg so nicht funktioniert, ist schon seit Jahren Thema. Die Bahn drängt, dass die ebenerdige Querung an der Rathausstraße ein Ende findet. Dafür wächst die Nachfrage nach ÖPNV-Angebot in Markkleeberg-West. Und seit 2000 steht ungelöst die Anbindung an den Cospudener See auf der Tagesordnung.

Rücknahme des Beschlusses gefordert

Der Fahrgastverband Pro Bahn fordert jetzt die sofortige Rücknahme des Stilllegungsbeschlusses für die Straßenbahnlinie 9 im südlichen Abschnitt nach Markkleeberg-West.

“Die Vernichtung von bestehender genutzter Infrastruktur darf nicht auf fragwürdige Laienbeschlüsse hin umgesetzt werden”, sagt dazu Pro-Bahn-Sprecher Carsten Schulze. “Das neue S-Bahnnetz, welches auch die große Kreisstadt Markkleeberg schnell mit der Leipziger Innenstadt verbindet, ist seit etwas über einem Jahr in Betrieb. Doch schneller als die vielen ungelösten Aufgaben nach besserer Anbindung und Erreichbarkeit aller Stationen erledigt sind, wird im Hinterzimmer ohne Bürgerbeteiligung das Aus für eine Straßenbahnlinie beschlossen. Pro Bahn hält den Beschluss für das falsche Signal, eine Woche nachdem für Leipzig ein Stadtentwicklungsplan Verkehr und Öffentlicher Raum beschlossen wurde, welcher ambitionierte Wachstumsziele für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) vorsieht.”

Womit er ein Thema anspricht, das in Leipzig ja bekanntlich die Unternehmensberatung Hitschfeld seit Jahren beackert – immer wieder mit dem Ergebnis: Politik bindet die Bürger viel zu wenig in die Entscheidungsfindung zu Infrastrukturprojekten ein. Das betrifft nicht nur Mega-Projekte wie Autobahnen, Stromtrassen, Flughäfen oder Bahnhöfe. Es betrifft auch die Verkehrsstrukturen in ihrem direkten Umfeld.

Folgeschwere Entscheidung

Doch während es Leipzigs Planer fertiggebracht haben, die Probstheidaer im vergangenen Jahr einzubinden in die Planung möglicher künftiger Straßenbahntrassen, wird in Markkleeberg wieder die alte, niemandem mehr vermittelbare Hinterzimmerpolitik betrieben. Wieder wird versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen, ohne dass mit den Bürgern sinnvolle Alternativen diskutiert wurden.

Carsten Schulze: “Peinlich ist der Ausschluss der Öffentlichkeit für diese folgenschwere Fragestellung. Ganz ohne Beteiligung, wie ein Rückfall in alte, überwunden geglaubte Zeiten, werden vollendete Tatsachen geschaffen. Es ist irreversibel. Einmal stillgelegte Infrastruktur bleibt tot. Damit steht die Vernichtung eines erheblichen Wertes im Raum. Entscheidend ist nicht der buchhalterische Wert, die Strecke ist als Bestand längst abgeschrieben, partiell reif für Erneuerung. Viel mehr steht die Wertbestimmung als Wiederherstellungsaufwand im Raum. Was kostet es, eine Fehlentscheidung zurückzunehmen? Was kostet die Wiederbeschaffung?”

Politischer Sachverstand endet an der Gemeindegrenze

Und augenscheinlich entscheiden auch hier – wie leider bei vielen Themen im Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) – politische Entscheider vor Ort, die nicht wirklich Interesse an übergreifenden Verkehrsstrukturen haben. Hätten sie diese, gäbe es schon lange keine Tarifgrenzen mehr im Beförderungsgebiet der LVB, gäbe es auch für Nicht-Senioren bezahlbare Tickets für das gesamte MDV-Gebiet, gäbe es auch eine barrierefreie und sinnvolle Vernetzung des Neuseenlandes mit dem MDV. Gibt es alles nicht. Da, wo es drauf ankommt, endet der politische Sachverstand immer an der Gemeindegrenze.

“Besonders fragwürdig wird die durchgesickerte Entscheidung durch die Beteiligten Institutionen selbst, von denen keine fachlich kompetent im Thema steckt: Der Kreis der Entscheider besteht nicht aus ÖPNV-Fachleuten. Dort agieren Verwaltungsfachleute, aber keine Macher, keine Gestalter. Von den anspruchsvollen komplexen Wechselwirkungen aus städtischen Entwicklungen, Sozialgefüge, Verflechtungen zwischen den Städten und Stadtteilen, Erschließungsparametern und vor allem wie man Menschen als Fahrgäste gewinnt, scheinen alle überfordert zu sein”, benennt Carsten Schulze die ganze Themenbreite, die normalerweise mitbedacht werden muss, wenn man Linien einstellt, verändert, ausbaut oder verlegt. Alles Themen auch für Markkleeberg, das über seine Pendler aufs engste mit der Großstadt Leipzig vernetzt ist.

“Völlig vermisst werden alle Anstrengungen, eine bessere Auslastung beider Verkehrsträger Straßen- und S-Bahn, zu erreichen. Keine Verknüpfung, keine Ausschilderung, keine neuen Stationen – kurzum: Es gibt gar keinen Willen, den zur Rechtfertigung benannten Fahrgastrückgang in eine Steigerung zu verwandeln. Dürfen fehlender Wille und fehlende Ideen Grundlage sein, Werte in Millionenhöhe zu beseitigen?”, fragt Carsten Schulze. “Markkleeberg ist gut beraten, sich zur Wehr zu setzen. Denn überregional wird das ein unnötiges negatives Image verursachen. Ein Anachronismus angesichts des rasanten Städtewachstums in Leipzig, in Markkleeberg, des aufstrebenden Neuseenlands insgesamt und den erfreulich hohen Nutzerzahlen der Erholungsräume. Auch die Linie 9 spielt ihre Rolle in diesem Kanon, könnte eine wesentlich größere spielen, wenn nicht Laien die Chance scheuen würden.”

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Die “Experten” tun gerade so, als ob eine S-Bahn eine “parallele” Straßenbahn verdrängen könnte. Allein das zeigt schon, dass bei den “Experten” kein Sachverstand besteht.

Ehe hier ein “Experte” beleidigt tut, möge er selbst den Unterschied testen.

Leute mit Sachverstand und Erfahrung gibt es auch in Leipzig genug. Aber wieso kommen sie nicht in die entscheidenden Gremien? In anderen Großstädten ist das normal, nur hier nicht.

Filz? Vetternwirtschaft? Warme Sessel? Bestechungsgelder (von wem überhaupt)? Nur-und-Ausschließlich-Autofahrer?

Schreiben Sie einen Kommentar