Andreas Geisler ist Vorsitzender des Stadtelternrates (SER) Leipzig, Elternsprecher des BSZ Arwed Rossbach Leipzig, Berater des Vorstandes des Kreiselternrat (KER) Nordsachsen und eigentlich seit dem 25. Mai auch Stadtrat für die SPD in Leipzig - doch die Nachwahl im Wahlkreis 9 sorgt für Verzögerung. Gleichzeitig kämpft der Bäckermeister aus Lindenthal um ein Landtagsmandat im Wahlkreis 34 (Nordsachsen). Natürlich mit Bildungsthemen. Ein Interview.
Sehr geehrter Herr Geisler, hat denn der Landkreis Nordsachsen dieselben Probleme wie Leipzig mit dem eklatanten Mangel an verfügbaren Schulen? Hat der Landkreis nicht eher damit zu kämpfen, Schulstandorte zu sichern? Und wie viele sind – trotz Schulschließungsmoratourim – aktuell bedroht?
In der Tat: Nordsachsen hat genug Schulen, was aber in der Tatsache begründet liegt, dass die Einwohnerzahl schrumpft. Und ja wir müssen dafür sorgen, dass nicht noch mehr geschlossen werden. Am Rande der größeren Kommunen wie Schkeuditz oder Torgau könnten zum Beispiel Grundschulen wackeln, wenn sie nicht 15 Kinder auftreiben, denn für die gilt nicht das Moratorium, denn das gilt nur im absoluten ländlichen Raum. Aber auch dort gilt es dafür zu sorgen, dass immer 15 plus x Kinder pro Grundschule vorhanden sind. Dabei muss man sie auch mal unterstützen.
Ist das von der Staatsregierung beschlossene jahrgangsübergreifende Lernen tatsächlich die Lösung, um Schulen in Wohnortnähe zu erhalten? Oder scheitert das schon an den (nicht) verfügbaren Lehrern?
Jahrgangsübergreifendes Lernen scheitert im Moment an den Köpfen der Beteiligten, weil man sich mit Neuem immer schwer tut. In der Leipziger NaSch, der Nachbarschaftsschule, wird das mit großem Erfolg praktiziert. Und die Rahmenbedingungen stimmen im Moment nicht im Freistaat. Es fehlen die Lehrer, es fehlen eine langfristige Perspektive und die Möglichkeit, das zur Überbrückung von Engpässen zu nutzen, aber später ggf. wieder auf normal zu fahren. Also: Wir müssen unterscheiden – macht man etwas aus pädagogischen Gründen oder ganz pragmatisch, weil es mal 2 bis 4 Jahre zu wenig Kinder gibt.
Für die Großstadt Leipzig hat das Kultusministerium ja schon ausgesagt, dass es ab September in einigen Schulen Lehrerprobleme geben wird. Wie sieht das in Nordsachsen aus?
Also der KER Nordsachsen (Anm. d. Red.: Kreiselternrat) arbeitet fast noch enger mit den Schulleitern zusammen als wir in Leipzig. Wir haben die erwarteten Probleme und die ehrliche Sicht der Schulen abgefragt. Unglaublich viele haben sich beteiligt, weil sie klar sagen: Ihr als Eltern, als Elternvertreter, seid die einzige Chance, die wir haben, um wirklich was zu ändern. Ihr seid als Wähler und als Interessenvertreter die einzigen, die frei von Zwängen Missstände anprangern und Änderungen einfordern. Die Gewerkschaften und die Verbände der Schulleiter spiegeln uns das auch so sachsenweit. Und ja: Die übergroße Menge hatte noch zu Ferienbeginn große Probleme mit Lehrerbesetzung, Abdeckung der kompletten Stundentafel, ganz zu schweigen vom Ergänzungsbereich, der unsere Schulen erst rund macht und als Puffer wirken kann. Der war noch völlig unsicher bzw. nicht vorhanden.
In Nordrhein-Westfalen ist im ländlichen Raum das Projekt Gemeinschaftsschule positiv angenommen worden. In Sachsen wurde das “Experiment” unter Schwarz-Gelb sofort beendet. Ist es an der Zeit, in Sachsens Bildungspolitik gründlich umzusteuern? Und wären auch hier Gemeinschaftsschulen ein Beitrag zur Stabilisierung der ländlichen Räume?
Ich habe nicht verstanden, warum Schwarz-Gelb aus ideologischen Gründen das Projekt Gemeinschaftsschule beendet hat. Die ist sicher nicht die Lösung für alle Probleme, aber gerade im ländlichen Raum bietet sie Chancen, könnte Wege verkürzen, Schließungen verhindern, ja geradezu Schulbildung absichern. Wenn wir das Schulsystem im ländlichen Raum nicht stabilisiert bekommen, rennen die restlichen noch in die Großstadt. Das kann nicht das Ziel sein.
Ist das Thema Schülerverkehr überhaupt gelöst, nachdem die jetzige Landesregierung mehr Mittel dafür bereitstellen will? Oder wurde das in den letzten Jahren schon zu sehr überreizt bei der Kostenbeteiligung der Eltern und vor allem der Fahrzeit für die Kinder? Müssten nicht sogar wieder Schulen aufgemacht werden, um Kindern weniger Fahrzeit in den Bussen zuzumuten?
Die Probleme im Schülerverkehr liegen zum einen in der totalen Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs im ländlichen Raum, der die Anteile der Eltern, aber auch der Kreise immer stärker anwachsen lässt, während der Freistaat sich entschuldet. Zum zweiten hängt er aber auch an Denkfehlern. Schüler, aber auch Azubis, brauchen regionale Mobilität. Schauen Sie sich ein Gymnasium wie in Schkeuditz an. Die einen Schüler bekommen für viel Geld die Fahrkarte für Nordsachsen. Damit können sie dann nicht nach Leipzig zu Kultur oder in die Zooschule, nicht zur Messe, zur Uni zu Tagen der offenen Tür oder zu Praktika oder Berufsmessen fahren. Andere Kinder bekommen die Leipziger Fahrkarte, können aber nicht zu ihren Klassenkameraden im Landkreis fahren, zu immer häufiger vorkommenden gemeinsamen Projekten und Hausaufgaben. Und dazu kommen noch die, welche eigentlich zum GTA oder zum Musikunterricht wollen, aber weil nur ein Bus zum Heimweg garantiert wird, können sie nicht teilhaben, weil sie danach nicht mehr wegkommen.
Das alles abhängig vom Wohnort und der dort angebotenen Schülerkarte. Die Leipziger Karte ist mit S-Bahn, die in Nordsachsen nicht, was für ein Quatsch. Wenn dann noch Wege wie nach Markranstädt in den anderen Landkreis aber zur selben Schule oder gar über die Grenze nach Sachsen-Anhalt dazu kommen, zeigt sich der ganze Schwachsinn der Schülerbeförderung. Wir brauchen regionale Schülertickets, die auch über die Grenzen gelten für max. 10 Euro im Monat als ersten Schritt. Perspektivisch soll jeder Schüler mit dem Schülerausweis sachsenweit kostenfrei fahren können. – Ich glaube, dass wir Schulen wiedereröffnen, ist eher sehr unwahrscheinlich, dazu müssten die Geburten im ländlichen Raum heftig ansteigen.
Ein wichtiges Thema in Sachsen sind mittlerweile die Wanderungsströme vom Land in die Großstadt. Kann es sein, dass Leben und Arbeiten im ländlichen Raum den Jugendlichen nicht mehr vermittelbar sind? Oder erfahren sie über ihr Lebensumfeld in der Schule viel zu wenig?
Natürlich wird das Leben im ländlichen Raum für viele junge Menschen immer weniger interessant. Freizeiteinrichtungen schließen, Kino gibt es einmal die Woche, gut bezahlte Jobs sind überschaubar, die öffentliche Mobilität ist beschränkt, quasi klappen abends die Bürgersteige hoch, aber auch die Versorgung mit Arzt- und Pflegeleistungen wird schwieriger, da ziehen viele die Konsequenzen und gehen in die Großstadt vor der Haustür. Eine gefährliche Entwicklung, die es zu stoppen gilt, aber dazu muss man die Vorzüge des ländlichen Raumes wieder mehr herausarbeiten und auch statt immer mehr Straßen auch mal in Schule, Kita oder Freizeiteinrichtungen und Kultur investieren.Sehen Sie, dass die Landesregierung das Lehrerproblem in den ländlichen Räumen in Griff bekommt? Attraktiv ist das ja für junge Leute überhaupt nicht, denn selbst in den Kleinstädten gibt es kaum noch kulturelle oder soziale Angebote.
Im Großraum Leipzig sieht es durch die Uni und ihre Absolventen fürs Lehramt immer noch ganz gut aus, aber sobald es über den Speckgürtel hinausgeht wird es schwierig. Mit den jetzigen Mitteln bekommt das die Staatsregierung weder bei den Lehrern noch bei den Ärzten in den Griff. Wobei die Lehrer ja eigentlich einen Vertrag mit dem Freistaat bekommen und eigentlich regionalschulbezirksweit eingesetzt werden könnten. Aber es macht sicher nur Sinn, wenn sie gerne dort arbeiten, die Vorteile kleiner Schulen und kleiner Klassen schätzen und eher einen Sinn für Natur als für Großstadttrubel haben.
Müssen nicht gerade Schulen im ländlichen Raum neue Qualitäten bekommen, um für Schüler und Lehrer gleichermaßen attraktiv zu werden? Oder ist daran bei der aktuellen Sparpolitik gar nicht zu denken? Passt das überhaupt in die derzeitigen Schulpläne, denen wichtige Praxisbezüge fehlen?
Sachsen fehlt die Vision, die Idee, wie man Schule sowohl in den wachsenden Städten als auch in den ländlichen Regionen optimal gestalten kann. Möglichkeiten liegen ja auf dem Tisch. Ja, Bildung kostet Geld, aber noch mehr Geld kostet keine Bildung. Unser Finanzminister kennt aber nur den ersten Teil des Satzes.
Mit der jetzigen Bildungssparpolitik bekommen wir nicht mal den Status von heute bewahrt, von Qualitätsentwicklungen ganz zu schweigen. Und unser Schulgesetz, welches fast 25 Jahre alt ist und von den alten Bundesländern abgeschrieben wurde, ist dafür keine Hilfe. Wir bauen und vor allem finanzieren und fördern wir noch heute Schulen nach dem Musterraumkonzept, ein Relikt aus Anfang der neunziger Jahre, seit Jahren nicht fortgeschrieben aber immer noch Grundlage der Überprüfung durch die Oberfinanzdirektion. Damals gab es keine Schulsozialarbeit, keine Computer in der Schule usw.
Und als Handwerksmeister stimme ich Ihnen völlig zu: überalterte Lehrpläne, Schulbücher fast ohne Praxisbezug, dazu noch von bis zu vier Verlagen und das dann manchmal auch noch in einem Jahrgang und diese Bildungskleinstaaterei der Bundesländer gehören aufgebrochen. Oh Gott, gibt es da viel zu tun.
Kann das aktuell auf “Effizienz” getrimmte sächsische Schulwesen überhaupt verändert werden hin zu einem Bildungswesen, das Inklusion genauso herstellt wie die individuelle Förderung von Talenten? Ist das mit dem aktuellen Schulapparat überhaupt zu denken?
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Das heutige Schulsystem mit der heutigen Schüler-Lehrer-Relation wird weder Inklusion noch spezielle Förderung von Talenten hinbekommen. Wenn ich dann noch lese, das Ziel der CDU ist eine Schüler-Lehrer-Relation wie in westlichen Flächenländern – das würde 32er Klassen bedeuten – wird mir ganz anders.
Ein Blick auf das finnische Schulsystem lohnt sich, auch wenn mir klar ist, dass man das nicht übernehmen kann, auch nicht in Teilen.
Was könnte eine Regierungsbeteiligung der SPD bewirken? Hätte sie überhaupt die Kraft, eine auf Bestandswahrung fixierte CDU zu den notwendigen Änderungen in der Bildungspolitik zu bewegen?
Ich hoffe, dass die CDU mit ihrem Sparwahn nicht alleine regieren kann. In unserem Regierungsprogramm, das wir bewusst so genannt haben, findet man klare Aussagen zu fast jedem Landesthema.
Dann sollten wir das Ergebnis der Wahl abwarten und nicht das Bärenfell verteilen, bevor der Bär tot ist.
Und ja, ich glaube, die SPD könnte Änderungen in der Bildungspolitik herbeiführen und durchsetzen.
Ein Koalitionsvertrag müsste sicher mit einem Mitgliederentscheid beschlossen werden. Und ich bin mir sicher, dass er ohne nachhaltige zukunftsfähige Änderungen im Bildungssystem und ohne eine sichere Finanzierung keine Mehrheit finden wird, deshalb klar: JA!
Stadtelternrat Leipzig: www.ser-leipzig.de
Kreiselternrat Nordsachsen: www.kreiselternrat-nordsachsen.de
Schule braucht Sozialarbeit: www.schule-braucht-sozialarbeit.de
Andreas Geisler als Kandidat: www.andreas-geisler.eu
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