Gutachten, Gegengutachten und Gegengegengutachten - Was braucht Leipzig wirklich? Offensichtlich den Landesrechnungshof. Am Anfang war die Vision, über die nach der Wende gereinigten Fließgewässer von Leipzig mit Paddel und Kanu in die ebenfalls nach der Wende stillgelegten, rekultivierten und renaturierten Tagebaue zu fahren. Die Schönheit des Leipziger Auwaldes genießend. Von Lärm, Dreck und zerstörter Natur hatte man schließlich genug.

Als nächstes kamen Motorboote hinzu: für die Alten und Gebrechlichen, die eine oder andere betagte Anverwandte ambitionierter Akteure, damit diese auch die Natur genießen könne. Nun wollten auch andere, die zwar durchaus zu paddeln in der Lage wären, aber zeigen wollen, dass sie sich ihr privates Motorboot leisten können, beim großen Bootfahren mitmachen. Und schließlich wurden auch noch die Sportboote der Touristen herbeigerufen: wenn schon Spaß, dann für alle. Da das alles aber immer noch nicht genug war, mussten Fahrgastschiffe her. Auf den Tagebauseen sollten sie fahren, auch von einem zum andern und natürlich Touristen bringen mit ihrem Geld aus dem fernen reichen Hamburg, dem Rhein-Main-Gebiet oder aus dem Berliner Raum, direkt in die Wassersporterlebniswelt des Neuseenlandes.

Es wurden schon mal Schleusen gebaut (die vorher Wehre waren). Aber ach, für alles das waren nun die zur Verfügung stehenden Fließgewässer zu klein. Die Tagebaurestlöcher für sich genommen ja eigentlich auch.

Und so wurde flugs, bevor Zweifel sich hätten bemerkbar machen können, ein “Wassertouristisches Nutzungskonzept” geschaffen für einen sagenhaften Gewässerverbund, angeschlossen an das Europäische Wasserstraßennetz, großartig gelegen zwischen Rübenäckern, mitten durch den Leipziger Auwald gehend und mit einem riesigen Schiffshebewerk als Leuchtturmprojekt für die vielen Fremden, die in naher Zukunft in Scharen den Weg in dieses Wunderland würden finden wollen.

Damit alles seine Ordnung habe und der Eine oder Andere noch ein kleines Sümmchen verdiene, wurde auch ein Gutachten dazu erstellt. Doch dieses Gutachten kam zu dem Schluss, für die schicken Boote von außerhalb würde die Reise bereits im Lindenauer Hafen enden: die Leipziger Gewässer sind viel zu flach und viel zu schmal! Aber davon ließ keiner sich irre machen, ein LeipzigBoot wurde erdacht und extra gebaut. Hierein würden all die vielen Touristen umsteigen, hops, um frohgemut und gewässerangepasst ihre Reise fortzusetzen.

Doch dann, Wehe!, ein weiteres Gutachten, das sich ausdrücklich um Fragen der Wirtschaftlichkeit zu kümmern hatte, hält genau das für eher unwahrscheinlich, kein Tourist würde so was machen, und ohne eine Anbindung an die neuen Seen im Süden sei alles in allem doch wohl, um ganz ehrlich zu sein, auch wenn man es nicht mit Sicherheit sagen könne, nicht wirklich so ganz wirtschaftlich.
Macht nichts, da wird sich schon was finden! Schließlich, wenn schon Karl Heine so viel investiert hat, muss man das doch zu Ende bringen, das ist man der Vergangenheit schuldig. Und an Geld gebricht es nicht, Fördergeld und Steuergeld sowieso, notfalls die gut gefüllten Kassen für technische Hochwasserschutzmaßnahmen. Und so sollen trotz alledem weitere Fließgewässer (u.a. Wasserschlange, Pleiße und Floßgraben, Harth-Kanal) ausgebaut und Brücken angehoben, also weitere, nicht bezifferbare Investitionen getätigt werden.

Nun traten auch noch Allesverhinderer und Miesmacher auf den Plan, Käferzähler und solche, die Natur und Tourismus auf Dauer unter einen stadtarchitektonischen attraktiven Hut bringen wollten und deshalb maßvolles Handeln und regelndes Eingreifen bezogen auf die Nutzung der kleinen heimischen Gewässer anmahnten: Allenfalls ein interner Gewässerverbund sei sinnvoll, gleichwohl auch dieser nicht unter wirtschaftlichen Aspekten. Auch schlecht, also für die “Entwickler” dieses Gewässerverbundes. Regeln geht gar nicht. Da wird ja in die Wirtschaft eingegriffen. Also wurden noch mal Gutachten erstellt, genannt “Machbarkeitsstudie” und “Potentialanalyse”.

Und siehe: Endlich, ein Licht, und auf einmal ist der Gewässerverbund doch wirtschaftlich. Ein Wunder ist geschehen! Obwohl sich an den Grundlagen – Rieseninvestitionen in Wasserbauwerke und Gewässerausbau und massive Eingriffe in die z.T. unter Schutz stehende Natur des einmaligen Leipziger Auwaldes – nichts geändert hat, ist alles gut.

Immer weitere Gutachten wurden erstellt, die die Tagebaurestlöcher schon mal mit dem Chiem- und dem Bodensee oder der Fränkischen Seenplatte vergleichen und die dortigen Immissionsbelastungen ungeachtet der Größenunterschiede und Gewässereigenschaften einfach hierher transferierten und wieder zu dem Schluss kommen, dass alles gut sei, auch wenn die Emissionen, insbesondere krebserregender Stoffe, angeblich irreversibel sein sollen…

Dem Bund wird das alles schon seit langem zu viel. Na ja, haben wir nicht läuten hören, dass man alle Kanäle in Deutschland zu Ende bauen will? Das Wirtschaftsministerium hat vor Jahren beschlossen, keinen Cent in den Ausbau des Elster-Saale-Kanals zu stecken, der für eine schiffbare Verbindung an die Elbe notwendig wäre: Es gibt schlicht keine wirtschaftliche Grundlage. Es gab sie nie. Sie ging schon zu Zeiten von Karl Heine unter. Es gab wirtschaftlichere Verkehrsträger.

Die Kosten, die Leipzig erwarten, sind nicht bezifferbar. Schon jetzt wurden Unsummen in den Gewässerverbund gesteckt, die niemand kennt, weil sie in summa tunlichst nirgendwo erwähnt werden. Sie speisen sich aus vielen Töpfen, öffentlichen natürlich, Steuergeldern also, unter anderem für – Gutachten, ebenso für Personal- und Sachkosten bei der Stadt Leipzig. Die machte im Dezember zusammen mit den Bootsbetreibern einen Betriebsausflug an den Chiemsee, um dort den Motorbootbetrieb zu be”gutachten”. Oder die 1,2 Mio. Euro, die für die Umsiedlung des Eisvogels ausgegeben werden sollen, wofür es natürlich am Ende auch ein positives Gutachten gab – nachdem ein Gutachten vorher genau diese Möglichkeit ausgeschlossen hatte.

In dieses absurde Theater etwas Licht zu bringen und die finanziellen Aufwendungen nur allein für Gutachten, Gegengutachten und Gegegegengutachten nebst Personal- und Sachkosten der Stadt Leipzig und dem sogenanntem Grünen Ring Leipzig zu erahnen, bedürfte es der Arbeit des Landesrechnungshofes: der hätte da lange zu – begutachten….

Anmerkung der Redaktion: Am 3. Juni berichtete die LVZ unter dem Titel “Studie: Leipzig braucht Anbindung an die Saale” über einen “Zwischenbericht der Studie ‘Tourismuswirtschaftliches Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum'”. Um die zitierte Behauptung “Es besteht langfristig ein Bedarf einer Gewässeranbindung an das Leipziger Neuseenland über den Elster-Saale-Kanal” zu untermauern, hat die LVZ mit den einschlägigen Lobbyvertretern gesprochen, die seit Jahren für das 160-Millionen-Euro-Projekt trommeln. Man behauptet einfach – in immer neuen Variationen – dass der Kanal eine “Lizenz zum Gelddrucken” werde.

So kündigt man Großprojekte an, die am Ende das Geld der Steuerzahler verschlingen. Und auch wenn jetzt einige Stadtratsfraktionen nicht mehr so recht wahr haben wollen, dass sie dem Leipziger Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal mit der Zustimmung zur “Potenzialanalyse” zum Elster-Saale-Kanal einen Arbeitsauftrag gegeben haben, kommen jetzt die ersten Folgen zum Vorschein. Im ersten Schritt wird erst mal kräftig Geld für Studien und Gutachten ausgegeben, die dann beweisen, dass Leipzig den Kanal unbedingt in der geplanten Größenordnung braucht.

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