Hinter den Kulissen der Steuerungsgruppe Neuseenland ist man verärgert. Da verkündet man doch am 28. April das Zugeständnis aller Zugeständnisse: Nur Elektromotorboote möchte man zulassen auf den Seen des Leipziger Neuseenlands. Um einen solchen Ausnahmetatbestand wolle man die Landesdirektion bitten, wenn die Schiffbarkeit für die Seen definiert wird. Und dann zählte Dr. Gerhard Gey der Presse tatsächlich einen Bandwurm von Ausnahmetatbeständen auf.

Vom Hainer See spricht schon gar niemand mehr, wo man 500 Motorboote fahren lassen will. Der Zwenkauer See soll erst gar nicht aus der Befahrung mit spritgetriebenen Motorbooten ausgenommen werden. Anreisende Motorboottouristen sollen vier Wochen schippern dürfen auf den Seen – so weit es die Gewässerqualität noch zulässt. Zehn bis 15 Liegeplätze pro See soll es geben. Und die bisherigen Ausnahmetatbestände an den Seen bleiben erhalten. 120 sind es schon allein am Cospudener See …

Und da gibt es doch schon wieder Protest von Umweltverbänden und -initiativen. Hat man ihnen denn nicht gerade öffentlich eine “Vorzeigeregion in Sachen Elektromobilität” (Gerhard Gey) vorgelegt?

Hat man nicht. Und so sehen es auch die Grünen im Landkreis Leipzig.

“Die Kuh ist längst noch nicht vom Eis. Auch wenn wir die jüngsten Äußerungen, die Motorbootbenutzung auf den Seen auf solche mit Elektroantrieb zu beschränken, durchaus positiv sehen. Dies war längst überfällig, zumal sich Anrainer, Kommunen, der Landkreis, Sportler und Grüne seit Jahren gegen die Freigabe von Motorbooten einsetzen”, erklärt dazu der Grünen-Fraktionsvorsitzende Joachim Schruth. “Allerdings gibt es hier noch weitere Unklarheiten.”

Diese beziehen sich insbesondere auf die Gestattung von Motorbooten, wenn entsprechende Gutachten vorgelegt werden. Denn fahren darf auf den Seen praktisch alles, was die aktuellen EU-Abgasnormen erfüllt. Das Gutachten, das die Steuerungsgruppe zur Wasserqualität insbesondere des Cospudener Sees hat erarbeiten lassen, lässt Spielraum nach oben. Den will die Steuerungsgruppe ausreizen, weil sie seit 2006 den Kurs fährt: Die Region braucht unbedingt Wassertourismus. Wassertourismus sind Motorboote, sind anreisende Bootsbesitzer, die auf den Seen fahren und eventuell auch Geld da lassen. In Hotels und Ferienressorts.

Ist zwar eine reine Mengenfrage – genauso wie bei den kühnen Träumen vom Elster-Saale-Kanal. Wirtschaftliche Effekte treten dort erst bei einem Betrieb mit 3.000 Motorbooten auf. Alles andere spielt nicht mal die Betriebskosten des Kanals ein. Und genauso ist es im Neuseenland.Es ist ein Märchen, dass 50, 60 oder 100 Motorboote wirtschaftliche Effekte auslösen. Gar solche, wie sie die 500.000 nichtmotorisierten Besucher des Cospudener Sees jedes Jahr auslösen. Sie sind es, die die Gastronomie, das Fahrgastschiff und die Bootsausleihe wirtschaftlich machen. Ganz genauso das Bild am Markkleeberger See.

Doch es gibt eine Handvoll Akteure im Neuseenland, die glauben fest daran, dass motorisierter Wassersport mehr Effekte bringt als die umweltfreundliche Nutzung der Seen. Und sie sitzen den Akteuren der Steuerungsgruppe auf dem Schoß, erbetteln sich Ausnahmeregelungen und Weichenstellungen. Sie verstecken sich in Sätzen wie solchen, die Gerhard Gey, Sprecher der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, gern äußert: “Natürlich gibt es auch andere Interessen und wir befinden uns in einem Entwicklungsprozess.”

Sie sind wie graue Männer im Hintergrund, die ihre Fäden ziehen, während vorne noch die umschwärmten “Neuseenländer” diskutieren über ein Neuseenland, wie sie es sich wünschen. So lange die Vertreter in der Steuerungsgruppe agieren mit dem Selbstverständnis “Natürlich gibt es auch andere Interessen” ist der ganze Beteiligungsprozess eine Farce, gibt es immer zwei Versionen der Neuseenland-Politik – eine hübsch angemalte für die Bevölkerung und eine Hinterzimmerpolitik, in der die Ausnahmen verhandelt werden.

So etwas – wir können es an dieser Stelle gern wiederholen – unterhöhlt Vertrauen in Politik und Politiker – auch wenn in diesem Fall zur Hälfte Verwaltungsangestellte mit am Tisch sitzen. Die dann wieder die Fragen für die Bürgerbefragung formulieren lassen – möglichst so, dass ganz allgemein gefragt wird, nur ja nicht konkret. Etwa nach einem kompletten Fahrverbot für Boote mit Verbrennungsmotor, für Amphibienfahrzeuge, Quads und Rennmaschinen aller Art.

“Zudem sehen wir durch weitere Ausnahmeregelungen Sportler und Erholungssuchende in ihrer Sicherheit gefährdet. Bisher gibt es allein für den Cospudener See mehr als 120 Ausnahmeregelungen”, stellt der Markkleeberger Stadtratskandidat Tommy Penk (Grüne) fest. Am 15. Mai sollen vom Regionalen Planungsverband die Leitlinien abgesegnet werden, die sich die Steuerungsgruppe ausgedacht hat. Dann geht der Antrag an die Landesdirektion.

“Um den Druck der Bürgerinnen und Bürger auf das Konzept aufrechtzuerhalten, die Seen besser zu schützen und eine Aufweichung der bisher geplanten Richtlinien entgegenzuwirken, rufen wir am 9. Mai um 17 Uhr an der Bushaltestelle ‘Erlebnisachse, Cospudener See’ (Anm. d. Red.: Haltestelle der Buslinie 65) zu einer Demonstration auf. Hier wollen wir mit Bürgerinitiativen, Verbänden und Vereinen unsere Meinung kundtun. Die Abschlusskundgebung wird gegen 18 Uhr am Touristentreff stattfinden”, lädt Penk ein.

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