Eigentlich sollte die "Charta Leipziger Neuseenland 2030" schon dieses Jahr im Rahmen einer Regionalkonferenz verabschiedet werden. Aber der Termin ist nicht zu halten. Der Grund: Ohne breite Akzeptanz bei den Bewohnern des Leipziger Neuseenlandes macht diese Selbstverpflichtung keinen Sinn. So sieht es auch die Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, die am Mittwoch, 11. September, wieder tagte. 2014 soll nun professionell diskutiert werden.

Ursprünglich wurde der Charta-Vorentwurf von den Mitgliedern der Arbeitsgruppen Gewässer-verbund, Marketing und Standortentwicklung erarbeitet. Er wurde der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland erstmals im Dezember 2011 vorgestellt und ist seitdem auch im Internet zu finden, wo man auch seine Meinung dazu bekunden kann. Nur diskutieren kann man ihn dort nicht. Und das erwies sich im Nachhinein als Handicap: Denn wenn die Stellungnahmen von Bürgern, Initiativen, Unternehmen und Verbänden, die sich nach Auskunft von Dr. Gerhard Gey, Landrat im Landkreis Leipzig und Vorsitzender der Steuerungsgruppe, in reicher Zahl gemeldet hatten, nicht diskutieren kann, macht auch ein Internet-Auftritt keinen Sinn.

Die Charta soll ein Konzept der freiwilligen Selbstverpflichtung all jener sein, die an der Weiterentwicklung des Neuseenlandes beteiligt sind – also im Prinzip für die Steuerungsgruppe selbst, in der die wichtigsten Akteure alle zusammensitzen und die nächsten anstehenden Projekte besprechen. Dabei kommen unterschiedliche Interessenlagen zum Tragen – die Landkreise. die Stadt Leipzig, die Kommunen im Umfeld Leipzigs, aber auch Wirtschaft und Tourismusverbände kommen hier zu Wort.

Aber dass auch Bürger und Initiativen im Neuseenland berücksichtigt werden müssen, ist der Steuerungsgruppe durchaus bewusst. Dazu spielt das Neuseenland eine zu wichtige Rolle als Erholungs-, aber auch als Wirtschafts-, Lebens- und touristischer Raum.

Acht Thesen wurden 2011 definiert – zu Naturschutz, Freizeitgestaltung, Sport, Wirtschaft, Baukultur, Mobilität und Beteiligung.
Auf den ersten Blick liest sich alles sehr gefällig, sehr rund und optimistisch. Aber im Detail stecken natürlich genau jene Konflikte, die in den letzten Jahren immer wieder für Diskussionen gesorgt haben. So heißt es unter dem Stichwort “naturnahes Neuseenland” zum Beispiel: “Die schrittweise Entwicklung des Wassertourismus erfolgt mit einem begleitenden Monitoring, um Auswirkungen auf die Natur und die Gewässerökologie zu erfassen. Die Beachtung natürlicher Entwicklungsprozesse spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Mit den gewonnenen Erkenntnissen erfolgt eine Steuerung der Nutzungsarten und -intensitäten.”

Aber schon bei der Definition des Wassertourismus prallen die Interessen aufeinander. Denn in der Steuerungsgruppe sitzen durchaus Befürworter einer weiteren Motorisierung des Neuseenlandes. Wenn man aber die Entwicklung des Gewässerknotens Leipzig mit mehr Motorbooten denkt, beeinträchtigt es nicht nur sanftere Verkehrsarten – es macht sie unmöglich. Die Nutzungskonflikte sind jetzt schon erlebbar.

Da merken auch die Verantwortlichen, dass ein alter Anspruch so nicht immer funktioniert. Unter dem “entspannenden Neuseenland” ist der Konflikt angedeutet: “Diese Landschaft mit ihrer hohen Lebensqualität soll vielen verschiedenen Nutzungsansprüchen gerecht werden. Dazu bedarf es einer Steuerung ohne vordergründig zu reglementieren und zu verbieten. Durch eine gezielte Lenkung sollen die Nutzungen an den dafür am besten geeigneten Orten stattfinden.” Genau das aber funktioniert nur partiell. Wo ein Reglement die Übernutzung nicht wirklich einschränkt, gilt – das ist eine Lebensregel – immer das Recht des Stärkeren.

Es ist eigentlich längst überdeutlich: Das Neuseenland muss reglementiert werden. So sehr das die Vorkämpfer der PS-starken Freiheit auch immer ärgert.

Mehr zum Thema:

Steuerungsgruppe Neuseenland: 2013 wird man nun doch über Prioritäten nachdenken müssen
Kleines Jubiläum. Mit Stolle. Es weihnachtete …

Charta Neuseenland: Eine neue These und die berechtigte Sorge um Eisvogel & Co.
Es ist doch schön, wenn Ideen so langsam …

Charta Leipziger Neuseenland liegt als Entwurf vor: Einmalige Chance für die Wasserregion
Man befinde sich in einem Identitätsfindungsprozess …

Das ist den Verantwortlichen irgendwie auch bewusst. Denn gerade im Sommer hat der Freistaat Sachsen ein Wassergesetz beschlossen, das auf den Seen und Verbindungskanälen im Neuseenland die Schiffbarkeit erklärt. Was zwar geharnischter Blödsinn ist, denn es sind alles keine Wasserstraßen, auf denen auch nur irgendeine Art Wirtschaftsverkehr unterwegs ist. Aber Folgen hat der Unfug trotzdem. Die erste ist: Die Landesdirektion Sachsen muss jetzt den Gesetzbeschluss umsetzen – grübelt darüber aber schon seit Monaten. Denn tatsächlich braucht kein einziges Gewässer im Neuseenland eine erklärte Schiffbarkeit.

Eine Schifffahrtsordnung brauchen die Seen natürlich. Und in der vergangenen Woche war der Landkreis Leipzig eigentlich auch schon dabei, eine solche zu verkünden. Da kam dann flugs das Stopp! aus Dresden. Die Schifffahrtsordnung regelt, was auf den Seen und Kanälen erlaubt ist und welche Verhaltensregeln gelten. Und sie macht auch deutlich, wohin die Steuerungsgruppe die ganze Zeit gesteuert ist: Hin zu einer differenzierten, aber eben geregelten Nutzung der Tagebaufolgeseen.

Da kann man gespannt sein, welche Botschaft es dazu aus Dresden gibt. Denn die gesetzliche Erklärung der Schiffbarkeit war ja auch schon eine massive Einmischung in den sowieso schon diffizilen Abstimmungsprozess im Neuseenland. Der nicht leichter wird.

Denn die Öffentlichkeit am Charta-Prozess zu beteiligen ist festes Vorhaben der Steuerungsgruppe. Weil aber der 2013er Beteiligungsprozess so nicht funktioniert hat, hat man sich Profis aus Leipzig dazu geholt: die ZAROF GmbH, die mit Workshops und Bürgerbeteiligungs-Prozessen in Leipzig schon Erfahrungen hat. Sie hat jetzt den Zuschlag bekommen, drei Workshops zur Charta Neuseenland zu organisieren, zu denen alle Interessierten eingeladen sind. Der erste soll Ende Januar/Anfang Februar stattfinden. Weil das Abstimmungsfeld natürlich komplex ist, soll es keine Abendveranstaltung werden, sondern jeweils ein kompletter Tages-Workshop. Und auch nicht in Leipzig, sondern direkt im Neuseenland. “Wobei es jetzt bei ZAROF liegt, diese Veranstaltungsorte zu finden”, sagt Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, der Stellvertreter in der Steuerungsgruppe ist.

Die Ergebnisse der Workshops werden dann in die Thesen eingearbeitet. Dann sollen sie noch einmal öffentlich ausgelegt werden und die Einwohner der Region können noch einmal ihre Meinungen dazu sagen. Dann werden die Thesen noch einmal geschärft, so Gerhard Gey. Und erst dann werden sie in der Steuerungsgruppe beschlossen. Und gelten dann als Handlungsbasis bis 2030. “Wir wollen eine große Beteiligung”, sagt Gey.

Wer sich über die Thesen informieren möchte, findet sie hier:
www.charta-leipziger-neuseenland.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar