Warum wurde der Kanal nicht fertig gebaut zu einer Zeit, als er tatsächlich noch von Nutzungsinteresse für die Wirtschaft war? Ach, da war der Weltkrieg. Logisch, da konnte man selbst ein so ambitioniertes und für die wirtschaftliche Entwicklung Leipzigs wichtiges Bauprojekt nicht vollenden. Es gab andere Prioritäten bezogen auf die Verteilung der Mittel.
Und warum nicht später?
Da kam der Sozialismus, der war sowieso insuffizient und hatte keinerlei Visionen. Und eine schiffbare Verbindung nach Hamburg hätte vielleicht zu noch mehr Fluchtversuchen geführt.
Aber seit der Wende sind schon über 23 Jahre vergangen. Warum gerade jetzt?!
Es laufen ja schon Planungen, in die bereits viel investiert wurde. Es geht um Geld, Fördergelder, die verfallen würden, Eigenmittel, die eigentlich nicht verfügbar sind, die wir aber mit Sicherheit bei anderen, unwichtigen Projekten abzweigen können. Mutige mit Visionen sind in die Fußstapfen von Karl Heine getreten und haben den Kanalbau zur Krönung und Sollbruchstelle ihrer Karriere gemacht. Auch jetzt fehlen Arbeitsplätze, die der Kanaltourismus generieren wird, im Bereich hochwertiger, saisonaler Niedriglohnarbeit.
Gibt es denn eine ordentliche wirtschaftliche Begründung dafür, wie man Bau- und Erhaltungskosten decken will?
Ja natürlich, auch das bringt der Kanaltourismus, das ist ja der wirtschaftliche Nutzen! Die reichen Hamburger, die in der Yachtsaison bei Niedrigwasser über die Elbe kommen, ihre Yacht dann das Stück Elbe-Saale-Kanal, der als Projekt des Bundes gestrichen wurde, umtragen, um dann durch Maisfelder und Rübenäcker schnurgerade durch viele fahrtberuhigende Schleusen irgendwann an Halle vorbei Leipzig zu erreichen, sich im Hotel am Lindenauer Hafen einmieten und in Leipzig-Boote wechseln, um damit nach Aufhebung der Sperrung wegen Eisvogelbrut durch den Floßgraben nach Zwenkau zum Shoppen zu fahren. Das wird ein so einmaliges Event, dass die Region allen anderen Wassersportregionen das Wasser abgraben wird: Leipzig, angebunden an die Ozeane!
Gibt es nicht gerade auch in jüngster Vergangenheit Beispiele dafür, dass man – bezogen auf die Baukosten – realistischerweise eher mit mehr als dem Doppelten rechnen muss?
Ach, wissen Sie, wenn man sich immer mit solchem Kleinklein abgeben würde, hätte es in der Geschichte nie solche Monumente menschlicher Größe wie den Leipziger Citytunnel gegeben. Das ist es doch, was von der Größe unserer Zivilisation zeugen wird, wenn die Naturschätze zerstört sind.
…So oder so ähnlich könnte ein kurzer Dialog mit einem Kanalbefürworter Leipzigs aussehen – nur wäre der echte wesentlich emotionaler. In der Geschichte gibt es immer wieder erstaunliche Parallelen zu Vorgängen in der Gegenwart. So kann man auch eine Parallele zu den Bauplänen des Elster-Saale-Kanals finden: den Bau des Main-Donau-Kanals, der 1960 begann und in den achtziger Jahren stark in Kritik geriet. Sicher war dieser Bau viel gewaltiger, bezogen auf den Umfang, die Verluste von Steuermitteln, Landschaft, Natur und von Wohlbefinden der Anwohner. Nach nunmehr zwanzig Jahren seit seiner Fertigstellung muss man eine wirtschaftliche Pleite konstatieren, obwohl bei diesem Kanal zumindest theoretisch die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Nutzens bestanden hätte.
Wirtschaftlichen Nutzen hatte so mancher, so manches (Bau-)Unternehmen, das heute nicht mehr so gerne im Zusammenhang mit dieser gigantischen Verschwendung von Steuermitteln genannt werden will. Die Öffentlichkeit jedenfalls hatte und hat gar nichts davon – außer den entstandenen, nicht reparablen Schäden an Natur und Landschaft und einem massiven Werteverlust des betroffenen Gebietes. Soll das zwischen Leipzig und Halle mit dem Elster-Saale-Kanal in gleicher Weise passieren? Man hört schon “Bei uns ist alles ganz anders. Die Landschaft, durch die der Elster-Saale-Kanal gebaut werden soll, ist zum großen Teil Rübenacker!” Und damit besonders interessant für touristische Nutzung? Wer will schon stundenlang durch Rübenacker fahren?
Die Fahrt von Halle nach Leipzig wäre stinklangweilig (abgesehen vom “Highlight” des Schiffshebewerkes, an dem sich die Besucher 365 Tage im Jahr drängeln werden) und würde in jede Richtung 4 bis 5 Stunden dauern, also immerhin dafür sorgen, dass die geplanten Hotels am Lindenauer Hafen ausgelastet sind von denen, die außer der atemberaubenden Fahrgastschiffsreise auch noch einen Blick auf Leipzig werfen wollen. Und ohne die Verletzung von geschützten Gebieten würde auch diese Strecke nicht gebaut werden können.
Wie aus privatwirtschaftlichen Interessen der mit Steuergeldern finanzierte Main-Donau-Kanal entstand, wie es vorangetrieben und von der Politik auf raffinierte Art und Weise unter der Flagge “wirtschaftliche Entwicklung der Region” und mit dem für alles passenden Argument “Schaffung von Arbeitsplätzen” trotz aller Gegenstimmen durchgesetzt wurde, zeigt eine Sendung von “Scheibenwischer” vom SFB. Dieses Glanzlicht politischen Kabaretts von 1982 mit Dieter Hildebrandt, Gerhard Polt und Gisela Schneeberger beleuchtet ausführlich und auch sehr amüsant die damaligen Überlegungen und Vorgänge. Die Übereinstimmungen zum beabsichtigten Weiterbau des Elster-Saale Kanals sind frappierend: Der Main-Donau-Kanal wurde trotz breiter öffentlicher Kritik gebaut und 1992 fertiggestellt, und Bayern muss seit 20 Jahren mit den Folgen leben. Müssen wir das wiederholen?
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