Manch ein Politiker spielte dieser Tage wieder - mit Gummistiefeln an den Füßen - Macher und Retter in der Not. In Sachsen wird von 2,5 Milliarden Euro Schaden berichtet. Doch ein Umdenken scheint auch elf Jahre nach der "Jahrhundertflut" nicht stattzufinden. Im Gegenteil. Auch Sachsens Ministerpräsident setzt augenscheinlich wieder auf technische Großbauwerke - die zwar teuer sind, aber wenig nützen.

Das war eigentlich die Lehre aus dem Hochwasser an Elbe und Mulde 2002. Punktuell kann man Siedlungen durch technische Bauwerke schützen. Aber sie beseitigen nicht die Ursachen für die verstärkt auftretenden Hochwasser mit ihren immer neuen Rekord-Pegelständen, die nicht dadurch entstehen, dass Rekordwassermassen die Flüsse abwärts rauschen, sondern weil sich das Wasser in den kanalisierten Flüssen staut. An Sachsens Flüssen gingen in den vergangenen Jahrzehnten Tausende Hektar Retensionsraum verloren. Die unvermindert fortschreitende Versiegelung von Böden sorgt extra noch dafür, dass Regenwasser schneller abfließt – und die flutende Wassermenge in den Flüssen verstärkt.

Dass jetzt ausgerechnet Sachsen wieder einen weiteren Abbau von Bürgerbeteiligung bei technischen Großprojekten fordert, findet Volkmar Zschocke, Landesvorsitzender der sächsischen Grünen, geradezu fahrlässig: “In Zeiten, in denen Menschen um ihr Hab und Gut kämpfen, ist es fahrlässig, mit den Fingern auf andere zu zeigen. Die Forderungen nach weniger Bürgerbeteiligung bei Baumaßnahmen klingen nach billigem Aktionismus, während anderswo noch Sandsäcke befüllt werden.”

Ministerpräsident Tillich hat eine Bundesratsinitiative angekündigt, die Individualrechte zugunsten von Gemeinschaftsrechten einschränken soll. Zschocke befürchtet, dass solche Ankündigungen jetzt unnötig Schuldzuweisungen provozieren: “Die Schuld darf jetzt nicht bei jenen gesucht werden, die vor immer stärkerem Kanalisieren der Flüsse warnen. Bauliche Schutzmaßnahmen an den Flüssen sind nötig. Es hilft aber nicht, das Korsett aus Deichen und Dämmen immer höher zu bauen. Hochwasserschutz muss auf der gesamten Fläche erfolgen: Entsiegelung, ein flächendeckendes System von natürlicher Regenrückhaltung und großräumige Überschwemmungsflächen im gesamten unbebauten Bereichen der Fluss- und Bachauen. Da ist in den letzten zehn Jahren einfach viel zu wenig passiert.”

Der Grünen-Vorsitzende verweist darauf, dass nach dem Hochwasser 2002 zwar 49 Deichrückverlegungen mit 7.500 Hektar in Sachsen geplant wurden. Den Flüssen sollte mehr Raum gegeben werden. Doch die bislang eingesetzten 1,6 Milliarden Euro hat man fast ausschließlich in Erneuerung und Verstärkung der technischen Anlagen wie etwa der Deiche investiert. Bisher seien nach Regierungsangaben nur zwei kleinere Maßnahmen mit zusammen 111 Hektar an Deichrückverlegung umgesetzt worden. Dagegen würden in Sachsen täglich 2 Hektar zusätzlich versiegelt.

“Die Antwort auf Verzögerungen beim Hochwasserschutz heißt ernsthafte Bürgerbeteiligung. So können Klagen vermieden werden. Hierfür tragen Kommunen, Landkreise und Freistaat gemeinsam Verantwortung”, so Zschocke abschließend.
Und sie heißt eigentlich auch: Mehr Bildung für die beteiligten Politiker, die immer noch nicht begreifen wollen, dass man der Extremereignisse nicht Herr wird, wenn man Flüsse kanalisiert und Auen verbaut. Die Entspannung für solche Extremereignisse können nur unverbaute Auen und Überflutungsflächen für die Flüsse sein, die das Wasser auch schon an den oberen Flussläufen zurückhalten, damit die Kommunen an den unteren Flussarmen nicht absaufen.

Das kleine Lehrbeispiel: Als am 4. Juni Halle drohte abzusaufen, weil es nicht nur die Wasser aus Saale und Bleilochtalsperre verkraften musste, sondern auch die Fluten aus der Weißen Elster, öffnete die Sächsische Talsperrenverwaltung nicht nur den Überlauf zum Zwenkauer See, sondern auch das Nahlewehr, so dass ein Teil der Wassermassen in seinen natürlichen Retensionsraum – den Auewald – abfließen konnte. Es ist der Auwald, der die Hochwasserlast mindert. Und logischerweise fordert der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder (AHA), dass die Hochwasserschutzkonzepte im Auwald an der Weißen Elster künftig genau das bedenken. Nur eben nicht auf Basis einer “Sturz-Flutung” wie im Januar 2011 zuletzt und jetzt im Juni 2013. Die 277 Hektar große Burgaue wurde dabei geschwemmt. Die Auswirkungen der Schnellflutung war über den Schlobachshof hinaus zu spüren.

Der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) hält diese polderartige Nutzung der Burgaue und der angrenzenden Auenlandschaften für einen nachhaltigen Umgang mit Hochwassersituationen ungeeignet. Wobei die für den Leipziger Hochwasserschutz Verantwortlichen das Wort Polder bislang wohlweislich vermieden haben. Denn das hätte Konsequenzen. Wikipedia dazu: “Ein Hochwasserpolder ist dagegen ein Retentionsgebiet, das bei Flusshochwassern geflutet werden kann, um die Wasserführung flussabwärts gelegener Flussabschnitte vorübergehend zu vermindern und dadurch den Gipfel einer Flutwelle zu erniedrigen. Derartige Polder unterliegen Nutzungsbeschränkungen, beispielsweise einem Bebauungsverbot. Sie sind sowohl vom Flussbett als auch von benachbarten intensiver genutzten Flächen durch Deiche getrennt.”
Was natürlich auch in Leipzig auf die Rückverlegung der so wild umkämpften Deiche hinausliefe. Die Gebiete würden im Hochwasserfall wieder ganz natürlich überflutet – die Hochwasserpegel aber wären deutlich niedriger.

Nicht umsonst habe der AHA immer wieder eine umfassende Hochwasserkonzeption für die Städte Markkleeberg, Leipzig und Schkeuditz angemahnt, um dabei unter anderem Deichrückverlegungen oder gar Deichbeseitigungen prüfen zu können, betont AHA-Vorsitzender Andreas Liste. Damit verbunden sei ein Wiederherstellen der ökologischen und hydrologischen Verbindungen zwischen Fließgewässer und ihrer Aue gewährleistet. In Folge dessen können Hochwasser schrittweise in die Auenlandschaften – so auch in die Burgaue – einströmen und damit ließen sich umfassend Hochwasserwellen in Höhe und Kraft reduzieren. Außerdem hätten Tiere ausreichend Zeit, sich dem Wasser zu entziehen und so in Sicherheit zu bringen.

“Von der Form des Hochwasserschutzes profitieren somit Mensch und Aue. Letztere zieht aus der Überflutung ihren Arten- und Strukturreichtum und reinigt aufgrund der Reduzierung der Fließgeschwindigkeit das Wasser von Schwebstoffen und Transportgut sowie entzieht die Fließkraft und die damit verbundene Wucht”, betont Liste. “Eng damit verbunden haben auentypische Pflanzenarten wieder verstärkt die Möglichkeit sich durchzusetzen. So können Harthölzer wie Stieleiche, Esche und Ulme bis zu 100 Tage und Weichhölzer wie Weiden und Pappeln bis zu 200 Tage unter Wasser stehen. Währenddessen beispielsweise Spitzahorn und Rotbuche nur bis zu 30 Tagen Wasser vertragen.”

Daher teile der AHA die Sorge des Leipziger Stadtförsters Andreas Sickert auch nicht, dass der Gehölzbestand aufgrund der Wassereinströmung Schaden nimmt. Probleme sieht der AHA eher dahingehend, dass zahlreiche Tiere nicht rechtzeitig der massenhaften Schnellflutung entkommen konnten. Selbst größere Tiere wie Rehe und Hasen erleiden dabei oft einen Ertrinkungstod.

“Wenn Herr Sickert die polderhafte Nutzung der Burgaue und anderer Auenwälder anprangert, dann kann der AHA das nur begrüßen und unterstützen”, sagt Liste. “In dem Zusammenhang sind, nach Meinung des AHA, Deichrückverlegungen oder gar Deichbeseitigungen klar zu bevorzugen, wenn dabei das Leben und die Gesundheit von Menschen gewährleistet ist. Dem soll eben die mehrfach und eingangs erwähnte umfassende Hochwasserkonzeption für die Städte Markkleeberg, Leipzig und Schkeuditz dienen.”

Der AHA sei bereit, im Rahmen seiner ehrenamtlichen Möglichkeiten an der Prüfung und Erarbeitung einer aktuellen und nachhaltigen Hoch- und Grundwasserkonzeption mitzuwirken. Darüber hinaus ruft der AHA zur aktiven Mitwirkung interessierter Bürgerinnen und Bürger in den Städten Leipzig, Markkleeberg und Schkeuditz auf, sich mit einzubringen.

Und es wäre auch eine Handlungskonsequenz für das verantwortliche Umweltdezernat der Stadt Leipzig und die Talsperrenverwaltung. Das alte, auf teure Deiche zentrierte Hochwasserschutz-Denken hat nun binnen elf Jahren schon zwei Mal seine Grenzen aufgezeigt bekommen. Die Folgekosten sind enorm – mit einer nachhaltigen Sicherung der Siedlungen vor Hochwassern hat das nicht mehr viel zu tun. Es ist längst Zeit für ein Umdenken. Auch in Leipzig.

Der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder:
www.aha-halle.de

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