Man will mit der dem Leipziger Stadtrat präsentierten Variante des Elster-Saale-Kanals mit aller Macht ein touristisches Projekt aus dem Boden stampfen, für das es nicht mal einen Nutzungsdruck gibt. Die Autoren der "Touristischen Potenzialanalyse" versuchen einfach hochzurechnen, wieviele Männer in der Region nach dem Bau des Kanals vielleicht geneigt wären, sich ein Motorboot zuzulegen.

Genau darum geht es, sonst machen ja alle die fiktiven Einnahmen durch Bootsverkäufe und Reparaturen keinen Sinn und auch nicht die Marina für 45 Millionen Euro am Lindenauer Hafen mit Slipanlage und Bootstankstelle.

Man will den quasi nicht existenten Motorbootverkehr im Raum Halle/Leipzig aus dem Nichts erzeugen. Dazu gehen die kühnen Rechner davon aus, dass sich so ungefähr 1 Prozent aller Männer im Umkreis von 30 Minuten um diese neue Wassersportregion ein Motorboot zulegen. Bei 2 Prozent wären es rund 6.600 zusätzliche Motorboote gewesen. Aber man ist ja vorsichtig – und kommt auf 3.762. Und da man davon ausgeht, dass diese motorbootbegeisterten Männer das Boot auch 50 Mal in einer Saison nutzen, kommt man auf 188.000 zusätzliche Nutzungen.

Wieviele davon werden durch den Elster-Saale-Kanal führen? – Selbst wenn es nur 90.000 sind, wären das in der Saison rund 500 Motorbootfahrten durch den Kanal pro Tag. Im Durchschnitt. An Wochentagen wohl eher weniger, am Wochenende dann wohl eher 1.000.

Aber da ist man schon mitten in den Phantasiewelten dieser Rechnungen. Zu denen auch der Besuch des Elster-Saale-Wasserknotens durch 700 Motorboote aus anderen Regionen gehört. Und 1.500 Touren von Fahrgastschiffen in einer Saison. Zu möglichen Kreuzfahrtschiffen kann man nicht einmal vage Prognosen treffen, denn für die fangen die Probleme schon auf der Elbe und der unteren Saale an. Die Wahl der Dimension für 44-Meter-Schiffe steht nicht mal auf einem auch nur ahnbaren Fundament.

Und die “Analyse” gesteht auch kleinlaut zu, dass diese überregionalen Verkehre für den erwarteten Tourismus praktisch keine Rolle spielen. Die Nettoumsätze, die man so leger auf 18,5 Millionen Euro veranschlagt hat und die vor allem durch Übernachtungen, Camping, Gastronomie usw. erzeugt werden, entspringen selbst nach den lockeren Rechnungen der Analysten zu 55 Prozent aus dem “landseitigen Tagestourismus”, zu 40 Prozent aus dem “regionalen Bootsverkehr” und nur zu 5 Prozent aus überregionalem Tourismus.

Richtigerweise geht man davon aus, dass der Ausflugstourismus in dieser Region auch vor allem aus der Region selbst kommt.Für Touristiker natürlich ein Heidenspaß, denn damit bekommt man ja keinen einzigen Euro zusätzlich in die Region, man verteilt die Ausgaben und Einnahmen nur neu unter den regionalen Spielern. Aber auch hier operiert man gleich mit den ganz großen Zahlen: 6 Millionen Besucher, davon jedoch 4,6 Millionen aus der Region. Dazu rund 500.000 Städteurlauber, also Leute, die sowieso schon attraktive Städte wie Leipzig und Halle und Merseburg ansteuern. Mit weiteren 700.000 Übernachtungsgästen rechnet man.

In der ganzen Region wohlgemerkt. Aber an dieser Stelle fehlt natürlich die Gegenrechnung: Wieviele Touristen dieser Art könnte man mit einer Seenlandschaft anlocken, auf der keine Motorboote dominieren, sondern der sanfte Wassertourismus? Die sich damit sogar deutlich von der Brandenburger Seenplatte unterscheiden würde? Wäre das für erholungsuchende Wassersportler nicht wesentlich attraktiver?

Klare Aussage in dieser “Touristischen Potenzialanalyse”: Es steht nicht drin. Die Analysten haben sich überhaupt nicht einmal die Mühe gemacht, sich mit dem Thema überhaupt zu beschäftigen.

Die Gegenrechnung fehlt komplett – wie an allen anderen Stellen in dieser “Analyse” auch.

Sie ist augenscheinlich nicht gewollt. Die “Nordwestpassage”, mit der man künftig irgendwann motorbetriebenen Booten auch den Zugang vom Leipziger Gewässerknoten zum Cospudener See eröffnen will, taucht dann unter “Visionen” auf. Genauso wie die “Einbindung des Geiseltalsees”.

Und noch etwas steht in den Erläuterungen zur Finanzierung des Kanals mit den derzeit favorisierten 106 Millionen Euro. Die Verfasser gehen nämlich davon aus, dass die Beteiligten die nötige Grundfinanzierung für die zu beantragenden Fördergelder gar nicht aufbringen können, sondern Kredite in Höhe von 60 Millionen Euro aufnehmen müssen. (Und das in Zeiten der “Schuldenverbote” – das klingt schon mutig.) Aber Kredite über eine Laufzeit von 30 Jahren mit einem Zinssatz von 5 Prozent und den nötigen Tilgungen ergeben auch in den vorsichtigen Überschlägen der Verfasser dieser Analyse “Mehrkosten in Höhe von 4 Millionen Euro für Zinsen und Tilgung”. Pro Jahr.

Das kann dann jeder selbst ausrechnen: 4 Millionen Euro x 30 Jahre = 120 Millionen Euro. Das ist die Tücke von Krediten. Aber auch der Grund dafür, warum viele öffentliche Großprojekte finanziell so schnell und heftig aus dem Ruder laufen. Es sieht nur nicht so spektakulär aus, weil die Raten pro Jahr ja im einstelligen Bereich bleiben.

Dafür dürfen die Kinder und Enkel für die Narreteien ihrer Großväter bezahlen. Wieder einmal.

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