"Die Stadt Leipzig steht hinter den Aussagen des WTNK. Auch die Potenzialanalyse berücksichtigt diese Aussagen", sagt Inge Kunath, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer der Stadt Leipzig. Die L-IZ wollte einfach mal wissen, woher die neuen geplanten Dimensionierungen für den Elster-Saale-Kanal kommen. Wer hat den Hut dafür auf? Wer geht hier wie sorgsam mit den Geldern der Steuerzahler um? Denn in der Ratsversammlung am 15. Mai soll der Stadtrat ja immerhin ein 151 Millionen Euro-Projekt abnicken.

Steht zwar einfach da: “Die Stadt Leipzig nimmt die Ergebnisse der Touristischen Potenzialanalyse zur Kenntnis.” Aber der Titel ist eigentlich unmissverständlich: “Weiteres Vorgehen nach Vorlage der Touristischen Potenzialanalyse und Betrachtung der Grobvarianten der Trassen des Projektes ‘Anbindung des Saale-Elster-Kanals an die Saale'”. Das “weitere Vorgehen” ist die Umsetzung eben diesen Projektes. Etwas anderes steht da nicht. Es geht um 151 Millionen für einen großdimensionierten Ausbau des Elster-Saale-Kanals samt Marina und Schiffshebewerk.

Dass der Kanal perspektivisch eine Rolle für den geplanten Gewässerverbund spielen könnte, war auch vorher klar. Doch alle Verlautbarungen dazu versprachen den Leipzigern eine Variantenuntersuchung und eine Potenzialanalyse. Wer sie in der Ratsvorlage sucht, findet beide nicht. Letztere heißt nur so.

Mindestens eine Zahl hätte man hier erwartet: Die zu den erwartenden Bootsbewegungen. Denn warum sollte man 106 Millionen Euro ausgeben, wenn nur zehn Boote am Tag durchfahren? Inge Kunath verwies auf das “Wassertouristische Nutzungskonzept”, das die Stadt Leipzig, der Grüne Ring Leipzig und der Zweckverband Kommunales Forum Südraum Leipzig 2006 herausgegeben haben. Herausgegeben, wohlgemerkt. Es ist von keinem politischen Gremium abgesegnet. Im Impressum wird auch extra darauf hingewiesen: Es ist eine Studie. Kein politischer Beschluss.

Natürlich erwartet man, wenn immer wieder drauf verwiesen wird, dort auch Aussagen zum Elster-Saale-Kanal und zur geplanten Nutzung. Zwei Aussagen stehen drin. Die erste zum so genannten Kurs 2: “Stadthafen, Oberer Elstermühlgraben, Weiße Elster, Karl-Heine-Kanal, Hafen Lindenau, Elster-Saale-Kanal”, 17,5 Kilometer lang, nutzbar für “Fahrgastschiff, Kanu, LeipzigBoot, Ruderboot” und: “langfristige Perspektive – Anbindung an die Saale nicht mit untersucht”.

Die zweite Stelle: “Mit der Herstellung einer neuen Verbindung vom Karl-Heine-Kanal über den Lindenauer Hafen zum Elster-Saale-Kanal kann das Gewässersystem Stadtelster/Neuseenland um weitere 16 km Gewässerstrecke ausgeweitet werden. Dieser Kurs kann dann vom Ruderboot bis zum Fahrgastschiff genutzt werden.”

Auch die Karte zur gedachten Nutzung spricht von “flachgehenden Motorbooten, LeipzigBooten, Fahrgastschiffen”. Wer das WTNK anschaut, sieht diese Bootsklassen auch 2006 schon vertreten. Gemeint waren damit immer LeipzigBoote, die Fahrgastschiffe der Herold-Flotte und die auf Karl-Heine-Kanal und den Tagebauseen mit Sondernutzung verkehrenden Fahrgastschiffe.

Auch heute verkehren diese Schiffe mit Sonderlaubnis.

Irgendwo zwischen WTNK und dem jetzt als Informationsvorlage an die Stadträte ausgereichten Papier hat irgendjemand den Hahn aufgedreht und einen Kanalausbau für Motorschiffe angedacht, die es so auch auf der Saale noch nicht gibt. Im Gegenteil. Aus sachsen-anhaltinischer Sicht betrachtet man den Ausbau des Elster-Saale-Kanals als Initialfunke dafür, danach in Sachsen-Anhalt Druck zu machen, den wirtschaftlich nicht darstellbaren Ausbau der Saale weiter voranzutreiben. Rund 500 Millionen Euro würde der angedachte Saale-Kanal noch einmal kosten.Auf dem Seenlandkongress im Februar sprach Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal davon, dass eine belastbare Potenzialanalyse vielleicht 2014 vorliegt. Heißt im Klartext: Bis auf die so genannte “Machbarkeitsstudie”, die dem 106-Millionen-Euro-Projekt zugrunde liegt, gibt es nichts. Nur die vage Prognose von 3.800 Bootsbewegungen im Jahr. 3.800 Boote für ein 38 Millionen Euro teures Schiffshebewerk?

Was vorliegt, ist das Papier, das meist als als “Touristische Potenzialanalyse” bezeichnet wird. Aber wer hier belastbare Zahlen sucht, findet ebenfalls keine. Ergebnis sind dann solche Aussagen in der Vorlage an den Stadtrat wie: “Mit Anbindung des Saale-Elster-Kanals an die Saale legt die Studie eine viel höhere Qualität offen. Für das Leipziger Neuseenland und das sachsen-anhaltische Saaletal vom Raum Halle bis in den Raum des Saale-Unstrut-Triaslandes würde die Anbindung einen Quantensprung darstellen und die Vision einer gemeinsamen, länderübergreifenden mitteldeutschen Wassersportregion näher rücken lassen, da: – eine überregionale Marktpositionierung als Zielrevier für den motorisierten Wasserwander-/Bootstourismus mit hohen Nachfragepotenzialen ermöglicht wird, – die Fahrgastschifffahrt einen deutlichen Entwicklungsschub erhält und – erhebliche direkte und indirekte Effekte für den Übernachtungs- und Tagestourismus entstehen.”

Womit man wieder bei den Visionen von 2006 wäre, die jetzt einfach wieder aufgegriffen werden, ohne sie durch wirklich belastbare Zahlen zu untermauern.

Warum die Gutachter ein 22-Meter-Schiffshebewerk für sinnvoll halten, steht in der Ratsvorlage nicht. Es wird auch nicht gegen andere Varianten abgewogen. Nur die schon bestehenden 45-Meter-Schleusen in Halle werden als Argument angeführt.

Mit der Vorlage wird eine Weiche gestellt – hin zu einem 151-Millionen-Euro-Projekt, das selbst in der luschigen “Wirtschaftlichkeitsberechnung”, die dem Ganzen anhängt, nicht einmal die Investitionen wieder einspielt. Und das bei 3.800 prognostizierten Bootsbewegungen, von denen die meisten wohl eher Kanus sind, die man auch an einer Wassertreppe problemlos umtragen kann.

Das aber wäre das Mindeste, Zahlen des zu erwarteten Verkehrs zu verifizieren. Erst recht, wenn man ein Projekt stemmen will, bei dem der Bund gerade dabei ist, es endgültig aus dem Netz der Bundeswasserstraßen zu schmeißen. 2003 aber haben die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt es abgelehnt, den unfertigen Kanal in ihre Hoheit zu übernehmen. Es sieht also ganz so aus, als wollten hier ein paar finanziell sowieso schon klamme Kommunen ein Projekt schultern, das nur einen winzigen Effekt für den deutschen Bootstourismus hat. Nach jetzigem Stand würden die großen Motorschiffe im Lindenauer Hafen vor Anker gehen müssen. Weiter dürften sie gar nicht.

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Aber man ahnt schon, wie das Gejammer dann erst so richtig losgeht, wenn die Kapitäne nicht weiter dürfen ins Neuseenland. Oder gar in die Innenstadt zu einem Stadthafen, für den die Stadt auch keinen privaten Investor finden konnte. Denn das, was da jetzt nahe der Schreberbrücke als “Stadthafen” firmiert, ist ja nur ein Provisorium und hat mit dem ursprünglich geplanten Stadthafen mit Marina, Gastronomie und Gewerbe nichts zu tun.

Und genau das ist der Knackpunkt dabei: Weder Leipzig noch das Neuseenland brauchen tatsächlich zusätzlichen Tourismus mit Motorbooten. Beide schreiben jetzt schon alljährlich Touristenrekorde, weil die Besucher mit ganz anderen Verkehrsmitteln anreisen und herumreisen. Die Stärke des Neuseenlandes ist es gerade, dass es vom Motorboottourismus nicht heimgesucht wird. Noch nicht.

Aber wenn private Investoren schon einen Stadthafen für rausgeschmissenes Geld halten, was heißt das erst für einen 106 Millionen Euro teuren Kanal, der maximal sechs Monate im Jahr bespielt werden kann?

Diese Frage sollten sich nicht nur Stadträte, sondern auch ein paar hyperventilierende Bürgermeister stellen. Es geht um eine Menge Geld, das anderswo hundertmal besser eingesetzt wäre.

Eine transparente Analyse sieht anders aus.

Die Ratsvorlage für den 15. Mai: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/529455CDE143D7ACC1257B1A002B46D1/$FILE/V-ds-2851-text.pdf

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