Die "Touristische Potenzialanalyse" ist eigentlich schon zwei Jahre alt. Aber so richtig zur Kenntnis nimmt sie die Leipziger Öffentlichkeit erst jetzt, wo das Leipziger Umweltdezernat sich eine Mega-Variante von 106 Millionen Euro für den Elster-Saale-Kanal abnicken lassen möchte. Am 19. Juni steht das Papier auf der Tagesordnung des Stadtrates.

Der volle Titel: “Weiteres Vorgehen nach Vorlage der Touristischen Potenzialanalyse und Betrachtung der Grobvarianten der Trassen des Projektes ‘Anbindung des Saale-Elster-Kanals an die Saale'”. Als gäbe es überhaupt schon ein “Vorgehen”, auf dem aufgebaut werden könnte. Die Vorlage nimmt direkten Bezug auf die “Touristische Potenzialanalyse” von 2011, und diese 90.000 Euro teure “Analyse” wieder bezieht sich auf das “Wassertouristische Nutzungskonzept” (WTNK) von 2007, das genauso wenig jemals von einem demokratisch legitimierten Gremium abgesegnet wurde. Aber es geht dabei nicht nur um geplante großräumige Überformungen von Landschaft und Eingriffe ins Ökosystem, es geht auch jedes Mal um einige Millionen Euro an Investitionskosten.

Mit der “Potenzialanalyse” wurde erstmals deutlich, wie teuer diese Träume einer touristischen Überformung der Gewässerlandschaft sind – bei den 106 Millionen Euro, die schön deutlich lesbar für die Stadträte in der Vorlage auftauchen, bleibt es ja nicht. Die 45 Millionen Euro für die geplante Marina am Lindenauer Hafen gehören genauso dazu wie die 6 Millionen Euro für die fehlende Verbindung vom Lindenauer Hafen zum schon gebauten Teilstück des Kanals. Und die Kosten für die zwangsläufige Kreditaufnahme kommen auch noch dazu – wohl um die 60 Millionen Euro für 30 Jahre Laufzeit.Für den Leipziger Ökolöwen macht die Vorlage deutlich, wie wenig irdisch die Pläne zum Tourismus-Boom im Gewässerland inzwischen sind. Der Anschluss des Elster-Saale-Kanals an die Saale zum Zweck der touristischen Nutzung und der Güterschifffahrt ist aus Sicht des Ökolöwen nicht tragbar, stellt er jetzt nüchtern fest. “Eine kritische Auseinandersetzung mit den ökonomischen und ökologischen Aspekten der Potenzialanalyse lässt nur einen Schluss zu: Dieses Projekt ist nicht zu rechtfertigen”, sagt Florian Wüstneck, Mitarbeiter im Ökolöwen-Projekt Natur- und Artenschutz.

Der Umweltschutzverein hat dazu inzwischen auch eine umfangreiche Stellungnahme zur Vorlage an die Leipziger Stadträte erarbeitet. Sie sollen im Juni erstmals darüber abstimmen, ob das Großprojekt Saale-Elster-Kanal politisch gewollt ist und weiter verfolgt werden soll.

Aus Sicht des Naturschutzes sei das Gesamtprojekt strikt abzulehnen, so der Ökolöwe. Denn in jedem Fall seien erhebliche Beeinträchtigungen von mehreren europäischen Schutzgebieten (FFH und SPA) zu erwarten. Laut zugrunde liegender FFH- bzw. Vogelschutzrichtlinie gilt für diese generell ein grundsätzliches Verschlechterungsverbot. “Es kann nicht Ziel sein, Gebiete mit strengem Schutzstatus erst auszuweisen, um den Schutz der Biodiversität an diesen Orten später wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen”, kritisiert Wüstneck.

Die Stellungnahme des Ökolöwen zeigt unter anderem auf, dass die Wasserschifffahrtsverwaltung des Bundes keinerlei Interesse an einer Anbindung des Elster-Saale-Kanals an das Bundeswasserstraßennetz zeigt. Nach neuesten Informationen stehen für dieses Projekt keine finanziellen Mittel zur Verfügung, noch weniger für den Bau eines eventuellen Schiffshebewerks.

Zudem müsse für den geplanten Kanalausbau auf sächsischer Seite erst klar sein, dass sich das Land Sachsen-Anhalt eindeutig gegen oder für den Durchstich zur Saale positioniert. Denn die meisten Baumaßnahmen für die analysierten Kanalvarianten wären auf sachsen-anhaltinischer Seite nötig. “Solange dort keine belastbaren politischen Entscheidungen und Finanzierungskonzepte vorliegen, ist die Bindung weiterer finanzieller und personeller Ressourcen in Sachsen daher reine Verschwendung”, gibt Florian Wüstneck zu bedenken. Zu den Gesamtkosten im dreistelligen Millionenbereich kämen jährliche Unterhaltungskosten von 1,1 Millionen Euro hinzu.

www.oekoloewe.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar