Vor einem Jahr schon schrieb der NuKLA e.V. einen ausführlichen Brief an Leipzigs Stadträte. In der Stadtratssitzung am 18. Juli 2012 ging es um den Ausbau des Lindenauer Hafens und den Durchstich des Karl-Heine-Kanals. 17 Millionen Euro - das klingt nicht nach viel Geld. Außerdem wird damit der Grundstein für ein neues Wohnviertel am Lindenauer Hafen gelegt. Aber es geht hinter den Kulissen um mehr. Das belegt die von Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) eingereichte Vorlage zum Elster-Saale-Kanal.

Mit vollem Wortlaut: “Weiteres Vorgehen nach Vorlage der Touristischen Potenzialanalyse und Betrachtung der Grobvarianten der Trassen des Projektes ‘Anbindung des Saale-Elster-Kanals an die Saale'”. Ein Titel, der nicht hält, was er verspricht. Die Potenzialanalyse verdient ihren Namen nicht und die alternativen Variantenuntersuchungen wurden gar nicht erst gemacht. Aus gutem Grund. Hinter dem scheinbar so umweltfreundlichen Projekt steckt ein ganz anderes Projekt, an dem ein paar interessierte Lobby-Gruppen insbesondere in Sachsen-Anhalt seit nunmehr 20 Jahren arbeiten.

Dabei geht es um eine Vision, die einst vom 1. und 2. Weltkrieg genauso begraben wurde wie die Kanal-Pläne im Leipziger Westen. Bis dahin arbeitete man in Halle und Magdeburg durchaus ernsthaft daran, auch die Saale schiffbar zu machen und als preiswerten Transportweg für große Gütermengen zu erschließen. Das war nicht nur weit vor jener Zeit, als in Deutschland Umweltschutz überhaupt ein tragendes politisches Thema wurde. Es war auch noch vor der Zeit der massenhaften Verlagerung von Transportmengen auf die Straßen. Die Schienenwege gab es längst. Und tatsächlich war es in Leipzig schon Carl Heine selbst, der den Weiterbau des später nach ihm benannten Kanals einstellte, als ihm klar wurde, dass die mitteldeutsche Industrie mit Güterzügen viel besser, flexibler und leistungsfähiger vernetzt werden konnte.

Heute erinnern “grüne Finger” an den kleinteiligen Anschluss des Leipziger Westens ans Schienennetz. Ein Netz, das bis zum Zusammenbruch der DDR-Industrie intensiv genutzt wurde und erst mit dem Erlöschen der Leipziger Industriebasis ab 1990 “überflüssig” wurde. Dasselbe trifft auf Halle zu. Die sachsen-anhaltinische Landesregierung operiert zwar immer wieder mit Szenarien größerer Transportmengen, die den Ausbau eines Saale-Kanals als sinnvoll erscheinen lassen. Doch 2010 kam selbst die Bundesregierung in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Bau eines Saale-Kanals, der das letzte Teilstück der Saale, wo der Fluss sich in Mäandern durch die Landschaft bewegt, mit einem 10 Kilometer langen und 500 Millionen Euro teuren Kanal überbrücken soll, sich nicht rentiert.

Halle hat sich für 30 Millionen Euro einen Hafen zugelegt, der einfach keine Nutzer findet. Noch ist die Saale Bundeswasserstraße. Aber selbst die Elbe als größter Fluss im Osten funktioniert nur eingeschränkt als Wasserstraße. Darauf haben sich die Transporteure längst eingestellt, denn die großen Rohstofftransporte, die noch das 19. Jahrhundert dominierten, und wo Schüttgut durchaus auch einmal Wochen unterwegs sein durfte, gibt es heute nicht mehr. Die Produktionsprozesse sind so zeitlich ineinander getaktet, dass schon ein Streiktag bei der Bahn oder im Flugwesen für Störungen im Produktionsablauf sorgen.

Aber ein Kanalausbau macht nur bei einem rentablen Wirtschaftsverkehr Sinn. Und rentabel heißt – gerade in Zeiten knapper Finanzen – dass die Bauprojekte ihre Investitionssummen komplett wieder einspielen. Und zwar binnen weniger Jahre.Dass Politiker in Mitteldeutschland – von den “blühenden Landschaften” der 1990er Jahre geradezu berauscht, anders ticken, können Sachsen und Sachsen-Anhaltiner am Beispiel der Flughäfen Woche für Woche miterleben. Es ist noch gar nicht lange her, dass sich Sachsen-Anhalt ein eigenes Flugplatzabenteuer in Cochstedt leistete. Oder besser: leistet. Man redet nur nicht mehr über die Provinzlandebahn, die sich online als “Sachsen-Anhalts erster internationaler Verkehrsflughafen” vermarktet. Sachsen hat sich ja gleich zwei internationale Flughäfen gegönnt – nach Leipzig/Halle ja auch noch den Flughafen in Dresden. Thüringen spielte mit dem mittlerweile gestrauchelten “internationalen Flughafen” Altenburg noch ein bisschen Konkurrenz. Kleine Provinzfürsten spielten Manager mit den Geldern der Steuerzahler.

Es ist nach wie vor die Landesregierung in Sachsen-Anhalt, die die wilden Pläne zum Ausbau der Saale nicht begraben will. Pläne, die die Blaupause abgeben für den zweiten, unbezahlbaren Traum: den vom Motorboottourismus, der die brandenburgischen Gewässer über die Elbe und die Saale direkt mit Leipzig und dem Neuseenland auf der einen und dem Geiseltalsee auf der anderen Seite verbinden. Mit Verbindungen, die es noch nicht gibt, die erst gebaut werden müssen. Und wenn man dabei – wie beim Elster-Saale-Kanal geplant – Motorboote bis 45 Meter Länge vorsieht, dann wird es richtig teuer. Die 106 Millionen Euro, die in der Vorlage des Leipziger Umweltdezernats stehen, sind ja nur ein Teil der nötigen Kosten, die das Gesamtprojekt erst “rund” machen.

Aber die beigelegte Wirtschaftlichkeitsberechnung zeigt auch, dass man nicht einmal daran denkt, den Kanal wirtschaftlich zu betreiben. Das Projekt hat mit den Plänen eines Carl Heine nichts mehr zu tun. Aber selbst die mageren Umsatzzahlen, die man in der Vorlage als “Wirtschaftlichkeitsberechnung” vorlegt, gehen von unrealistischen Nutzungsfrequenzen aus.

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“Für eine Refinanzierung der bisher berücksichtigten Investitionen geht man von deutlich mehr als 1.000 Bootbewegungen an jedem Kalendertag des Jahres aus. Schiebt man diese Zahlen auf die möglichen Tage einer Saison zusammen, berücksichtigt gar noch Wochen- und Wochenendtage, wird schnell klar, wie unrealistisch diese Rechnung ist”, schreibt Wolfgang Stoiber im Brief an die Stadträte.

Natürlich fordert er die Stadträte auf, die Vorlage abzulehnen. Etwas anderes dürften sie, wenn sie die Verantwortung für die knappen finanziellen Ressourcen Leipzigs wirklich wahrnehmen, gar nicht tun. Obwohl natürlich zu befürchten steht, dass Viele trotzdem wieder brav ihre Hand hoch halten, weil sie glauben, sie täten der Stadt und der Region etwas Gutes, wenn sie die rosarote Brille aufsetzen und den Geldhahn aufdrehen.

Aber wirklich erlauben können sich dieses Spiel weder Leipzig noch die genauso finanziell klammen Nachbarlandkreise. Man schielt zwar mit güldenem Blick nach Dresden, Magdeburg und Berlin und hofft auf Fördermillionen. Aber was kommt danach? Wird man dann die schon in die Landschaft verbauten 151 Millionen Euro oder 200 Millionen Euro als Argument verwenden, weitere Millionen in eine Schiffbarmachung des Gewässerknotens Leipzig zu stecken? Auch so kommt man über kurz oder lang zu 1 Milliarde Euro, die sich nirgendwo wieder einspielt.

“Deutschlandradio” am 12. April über das dahinter schlummernde Gesamtprojekt, “Ein nasser Albtraum”: www.dradio.de/dkultur/sendungen/laenderreport/2071406/

Der Brief des NuKLA e.V. an die Leipziger Stadträte als PDF zum download.

Der NuKla-Brief zur Entscheidung zum Lindenauer Hafen von 2012 als PDF zum download.

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